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Einen ganzen Vormittag spielen zwei Schmetterlinge vor unserm Graben. Es sind Zitronenfalter, ihre gelben Flügel haben rote Punkte. Was mag sie nur hierher verschlagen haben; weit und breit ist keine Pflanze und keine Blume. Sie ruhen sich auf den Zähnen eines Schädels aus. Ebenso sorglos wie sie sind die Vögel, die sich längst an den Krieg gewöhnt haben. Jeden Morgen steigen Lerchen zwischen der Front auf. Vor einem Jahr konnten wir sogar brütende beobachten, die ihre Jungen auch hochbekamen.

Vor den Ratten haben wir Ruhe im Graben. Sie sind vorn – wir wissen, wozu. Sie werden fett; wo wir eine sehen, knallen wir sie weg. Nachts hören wir wieder das Rollen von drüben. Tagsüber haben wir nur das normale Feuer, so daß wir die Gräben ausbessern können. Unterhaltung ist ebenfalls da, die Flieger sorgen dafür. Täglich finden zahlreiche Kämpfe ihr Publikum.

Die Kampfflieger lassen wir uns gefallen, aber die Beobachtungsflugzeuge hassen wir wie die Pest; denn sie holen uns das Artilleriefeuer herüber. Ein paar Minuten nachdem sie erscheinen, funkt es von Schrapnells und Granaten. Dadurch verlieren wir elf Leute an einem Tag, darunter fünf Sanitäter. Zwei werden so zerschmettert, daß Tjaden meint, man könne sie mit dem Löffel von der Grabenwand abkratzen und im Kochgeschirr beerdigen. Einem andern wird der Unterleib mit den Beinen abgerissen. Er lehnt tot auf der Brust im Graben, sein Gesicht ist zitronengelb, zwischen dem Vollbart glimmt noch die Zigarette. Sie glimmt, bis sie auf den Lippen verzischt. Wir legen die Toten vorläufig in einen großen Trichter. Es sind bis jetzt drei Lagen übereinander.

* * *

Plötzlich beginnt das Feuer nochmals zu trommeln. Bald sitzen wir wieder in der gespannten Starre des untätigen Wartens.

Angriff, Gegenangriff, Stoß, Gegenstoß – das sind Worte, aber was umschließen sie! Wir verlieren viele Leute, am meisten Rekruten. Auf unserem Abschnitt wird wieder Ersatz eingeschoben. Es ist eines der neuen Regimenter, fast lauter junge Leute der letzten ausgehobenen Jahrgänge. Sie haben kaum eine Ausbildung, nur theoretisch haben sie etwas üben können, ehe sie ins Feld rückten. Was eine Handgranate ist, wissen sie zwar, aber von Deckung haben sie wenig Ahnung, vor allen Dingen haben sie keinen Blick dafür. Eine Bodenwelle muß schon einen halben Meter hoch sein, ehe sie von ihnen gesehen wird.

Obschon wir notwendig Verstärkung brauchen, haben wir fast mehr Arbeit mit den Rekruten, als daß sie uns nützen. Sie sind hilflos in diesem schweren Angriffsgebiet und fallen wie die Fliegen. Der Stellungskampf von heute erfordert Kenntnisse und Erfahrungen, man muß Verständnis für das Gelände haben, man muß die Geschosse, ihre Geräusche und Wirkungen im Ohr haben, man muß vorausbestimmen können, wo sie einbauen, wie sie streuen und wie man sich schützt.

Dieser junge Ersatz weiß natürlich von alledem noch fast gar nichts. Er wird aufgerieben, weil er kaum ein Schrapnell von einer Granate unterscheiden kann, die Leute werden weggemäht, weil sie angstvoll auf das Heulen der ungefährlichen großen, weit hinten einhauenden Kohlenkästen lauschen und das pfeifende, leise Surren der flach zerspritzenden kleinen Biester überhören. Wie die Schafe drängen sie sich zusammen, anstatt auseinanderzulaufen, und selbst die Verwundeten werden noch wie Hasen von den Fliegern abgeknallt.

Die blassen Steckrübengesichter, die armselig gekrallten Hände, die jammervolle Tapferkeit dieser armen Hunde, die trotzdem vorgehen und angreifen, dieser braven, armen Hunde, die so verschüchtert sind, daß sie nicht laut zu schreien wagen und mit zerrissenen Brüsten und Bäuchen und Armen und Beinen leise nach ihrer Mutter wimmern und gleich aufhören, wenn man sie ansieht!

Ihre toten, flaumigen, spitzen Gesichter haben die entsetzliche Ausdruckslosigkeit gestorbener Kinder.

Es sitzt einem in der Kehle, wenn man sie ansieht, wie sie aufspringen und laufen und fallen. Man möchte sie verprügeln, weil sie so dumm sind, und sie auf die Arme nehmen und wegbringen von hier, wo sie nichts zu suchen haben. Sie tragen ihre grauen Röcke und Hosen und Stiefel, aber den meisten ist die Uniform zu weit, sie schlottert um die Glieder, die Schultern sind zu schmal, die Körper sind zu gering, es gab keine Uniformen, die für dieses Kindermaß eingerichtet waren.

Auf einen alten Mann fallen fünf bis zehn Rekruten. Ein überraschender Gasangriff rafft viele weg. Sie sind nicht dazu gelangt, zu ahnen, was ihrer wartete. Einen Unterstand voll finden wir mit blauen Köpfen und schwarzen Lippen. In einem Trichter haben sie die Masken zu früh losgemacht; sie wußten nicht, daß sich das Gas auf dem Grunde am längsten hält; als sie andere ohne Maske oben sahen, rissen sie sie auch ab und schluckten noch genug, um sich die Lungen zu verbrennen. Ihr Zustand ist hoffnungslos, sie würgen sich mit Blutstürzen und Erstickungsanfällen zu Tode.

* * *

In einem Grabenstück sehe ich mich plötzlich Himmelstoß gegenüber. Wir ducken uns in demselben Unterstand. Atemlos liegt alles beieinander und wartet ab, bis der Vorstoß einsetzt.

Obschon ich sehr erregt bin, schießt mir beim Hinauslaufen doch noch der Gedanke durch den Kopf: Ich sehe Himmelstoß nicht mehr. Rasch springe ich in den Unterstand zurück und finde ihn, wie er in der Ecke liegt mit einem kleinen Streifschuß und den Verwundeten simuliert. Sein Gesicht ist wie verprügelt. Er hat einen Angstkoller, er ist ja auch noch neu hier. Aber es macht mich rasend, daß der junge Ersatz draußen ist und er hier.

»Raus!«fauche ich.

Er rührt sich nicht, die Lippen zittern, der Schnurrbart bebt.

»Raus!«wiederhole ich.

Er zieht die Beine an, drückt sich an die Wand und bleckt die Zähne wie ein Köter.

Ich fasse ihn am Arm und will ihn hochreißen. Er quäkt auf. Da gehen meine Nerven durch. Ich habe ihn am Hals, schüttele ihn wie einen Sack, daß der Kopf hin und her fliegt, und schreie ihm ins Gesicht:»Du Lump, willst du ‘raus – du Hund, du Schinder, du willst dich drücken?«Er verglast, ich schleudere seinen Kopf gegen die Wand -»Du Vieh«- ich trete ihm in die Rippen -»Du Schwein«- ich stoße ihn vorwärts mit dem Kopf voran hinaus.

Eine neue Welle von uns kommt gerade vorbei. Ein Leutnant ist dabei. Er sieht uns und ruft:»Vorwärts, vorwärts, anschließen, anschließen -!«Und was meine Prügel nicht vermocht haben, das wirkte dieses Wort. Himmelstoß hört den Vorgesetzten, sieht sich erwachend um und schließt sich an.

Ich folge und sehe ihn springen. Er ist wieder der schneidige Himmelstoß des Kasernenhofes, er hat sogar den Leutnant eingeholt und ist weit voraus. -

* * *

Trommelfeuer, Sperrfeuer, Gardinenfeuer, Minen, Gas, Tanks, Maschinengewehre, Handgranaten – Worte, Worte, aber sie umfassen das Grauen der Welt.

Unsere Gesichter sind verkrustet, unser Denken ist verwüstet, wir sind todmüde; – wenn der Angriff kommt, müssen manche mit den Fäusten geschlagen werden, damit sie erwachen und mitgehen; – die Augen sind entzündet, die Hände zerrissen, die Knie bluten, die Ellbogen sind zerschlagen.

Vergehen Wochen – Monate – Jahre? Es sind nur Tage. – Wir sehen die Zeit neben uns schwinden in den farblosen Gesichtern der Sterbenden, wir löffeln Nahrung in uns hinein, wir laufen, wir werfen, wir schießen, wir töten, wir liegen herum, wir sind schwach und stumpf, und nur das hält uns, daß noch Schwächere, noch Stumpfere, noch Hilflosere da sind, die mit aufgerissenen Augen uns ansehen als Götter, die manchmal dem Tode entrinnen können.

In den wenigen Stunden der Ruhe unterweisen wir sie.»Da, siehst du den Wackeltopp? Das ist eine Mine, die kommt! Bleib liegen, sie geht drüben hin. Wenn sie aber so geht, dann reiß aus! Man kann vor ihr weglaufen.«

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