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Die Tage, die Wochen, die Jahre hier vorn werden noch einmal zurückkommen, und unsere toten Kameraden werden dann aufstehen und mit uns marschieren, unsere Köpfe werden klar sein, wir werden ein Ziel haben, und so werden wir marschieren, unsere toten Kameraden neben uns, die Jahre der Front hinter uns: – gegen wen, gegen wen?

* * *

Hier in der Gegend war vor einiger Zeit ein Fronttheater. Auf einer Bretterwand kleben noch bunte Plakate von den Vorstellungen her. Mit großen Augen stehen Kropp und ich davor. Wir können nicht begreifen, daß es so etwas noch gibt. Da ist ein Mädchen in einem hellen Sommerkleid abgebildet, mit einem roten Lackgürtel um die Hüften. Sie stützt sich mit der einen Hand auf ein Geländer, mit der anderen hält sie einen Strohhut. Sie trägt weiße Strümpfe und weiße Schuhe, zierliche Spangenschuhe mit hohen Absätzen. Hinter ihr leuchtet die blaue See mit einigen Wogenkämmen, eine Bucht greift seitlich hell hinein. Es ist ein ganz herrliches Mädchen, mit einer schmalen Nase, mit roten Lippen und langen Beinen, unvorstellbar sauber und gepflegt, es badet gewiß zweimal am Tage und hat nie Dreck unter den Nägeln. Höchstens vielleicht mal ein bißchen Sand vom Strand.

Neben ihm steht ein Mann in weißer Hose, mit blauem Jackett und Seglermütze, aber der interessiert uns viel weniger.

Das Mädchen auf der Bretterwand ist für uns ein Wunder. Wir haben ganz vergessen, daß es so etwas gibt, und auch jetzt noch trauen wir unseren Augen kaum. Seit Jahren jedenfalls haben wir nichts Derartiges gesehen, nichts nur entfernt Derartiges an Heiterkeit, Schönheit und Glück. Das ist der Frieden, so muß er sein, spüren wir erregt.»Sieh dir nur diese leichten Schuhe an, darin könnte sie keinen Kilometer marschieren«, sage ich und komme mir gleich albern vor, denn es ist blödsinnig, bei einem solchen Bild an Marschieren zu denken.

»Wie alt mag sie sein?«fragt Kropp.

Ich schätze:»Allerhöchstens zweiundzwanzig, Albert.«

»Dann wäre sie ja älter als wir. Sie ist nicht mehr als siebzehn, sage ich dir!«

Eine Gänsehaut überläuft uns.»Albert, das wäre was, meinst du nicht?«

Er nickt.»Zu Hause habe ich auch eine weiße Hose.«

»Weiße Hose«, sage ich,»aber so ein Mädchen -«

Wir sehen an uns herunter, gegenseitig. Da ist nicht viel zu finden, eine ausgeblichene, geflickte, schmutzige Uniform bei jedem. Es ist hoffnungslos, sich zu vergleichen.

Zunächst einmal kratzen wir deshalb den jungen Mann mit der weißen Hose von der Bretterwand ab, vorsichtig, damit wir das Mädchen nicht beschädigen. Dadurch ist schon etwas erreicht. Dann schlägt Kropp vor:»Wir könnten uns mal entlausen lassen.«

Ich bin nicht ganz einverstanden, denn die Sachen leiden darunter, aber die Läuse hat man nach zwei Stunden wieder. Doch nachdem wir uns wieder in das Bild vertieft haben, erkläre ich mich bereit. Ich gehe sogar noch weiter.»Könnten auch mal sehen, ob wir nicht ein reines Hemd zu fassen kriegen -«

Albert meint aus irgendeinem Grunde:»Fußlappen wären noch besser.«

»Vielleicht auch Fußlappen. Wir wollen mal ein bißchen spekulieren gehen.«

Doch da schlendern Leer und Tjaden heran; sie sehen das Plakat, und im Handumdrehen wird die Unterhaltung ziemlich schweinisch. Leer war in unserer Klasse der erste, der ein Verhältnis hatte und davon aufregende Einzelheiten erzählte. Er begeistert sich in seiner Weise an dem Bilde, und Tjaden stimmt mächtig ein.

Es ekelt uns nicht gerade an. Wer nicht schweinigelt, ist kein Soldat; nur liegt es uns im Moment nicht ganz, deshalb schlagen wir uns seitwärts und marschieren der Entlausungs anstalt zu mit einem Gefühl, als sei sie ein feines Herrenmodengeschäft.

* * *

Die Häuser, in denen wir Quartier haben, liegen nahe am Kanal. Jenseits des Kanals sind Teiche, die von Pappelwäldern umstanden sind; – jenseits des Kanals sind auch Frauen.

Die Häuser auf unserer Seite sind geräumt worden. Auf der andern jedoch sieht man ab und zu noch Bewohner. Abends schwimmen wir. Da kommen drei Frauen am Ufer entlang. Sie gehen langsam und sehen nicht weg, obschon wir keine Badehosen tragen.

Leer ruft zu ihnen hinüber. Sie lachen und bleiben stehen, um uns zuzuschauen. Wir werfen ihnen in gebrochenem Französisch Sätze zu, die uns gerade einfallen, alles durcheinander, eilig, damit sie nicht fortgehen. Es sind nicht gerade feine Sachen, aber wo sollen wir die auch herhaben. Eine Schmale, Dunkle ist dabei. Man sieht ihre Zähne schimmern, wenn sie lacht. Sie hat rasche Bewegungen, der Rock schlägt locker um ihre Beine. Obschon das Wasser kalt ist, sind wir mächtig aufgeräumt und bestrebt, sie zu interessieren, damit sie bleiben. Wir versuchen Witze, und sie antworten, ohne daß wir sie verstehen; wir lachen und winken. Tjaden ist vernünftiger. Er läuft ins Haus, holt ein Kommißbrot und hält es hoch.

Das erzielt großen Erfolg. Sie nicken und winken, daß wir hinüberkommen sollen. Aber das dürfen wir nicht. Es ist verboten, das jenseitige Ufer zu betreten. Überall stehen Posten an den Brücken. Ohne Ausweis ist nichts zu machen. Wir dolmetschen deshalb, sie möchten zu uns kommen; aber sie schütteln die Köpfe und zeigen auf die Brücken. Man läßt auch sie nicht durch.

Sie kehren um, langsam gehen sie den Kanal aufwärts, immer am Ufer entlang. Wir begleiten sie schwimmend. Nach einigen hundert Metern biegen sie ab und zeigen auf ein Haus, das abseits aus Bäumen und Gebüsch herauslugt. Leer fragt, ob sie dort wohnen.

Sie lachen – ja, dort sei ihr Haus.

Wir rufen ihnen zu, daß wir kommen wollen, wenn uns die Posten nicht sehen können. Nachts. Diese Nacht.

Sie heben die Hände, legen sie flach zusammen, die Gesichter darauf, und schließen die Augen. Sie haben verstanden. Die Schmale, Dunkle macht Tanzschritte. Eine Blonde zwitschert:»Brot – gut -«

Wir bestätigen eifrig, daß wir es mitbringen werden. Auch noch andere schöne Sachen, wir rollen die Augen und zeigen sie mit den Händen. Leer ersäuft fast, als er»ein Stück Wurst«klarmachen will. Wenn es notwendig wäre, würden wir ihnen ein ganzes Proviantdepot versprechen. Sie gehen und wenden sich noch oft um. Wir klettern an das Ufer auf unserer Seite und achten darauf, ob sie auch in das Haus gehen, denn es kann ja sein, daß sie schwindeln. Dann schwimmen wir zurück.

Ohne Ausweis darf niemand über die Brücke, deshalb werden wir einfach nachts hinüberschwimmen. Die Erregung packt uns und läßt uns nicht los. Wir können es nicht an einem Fleck aushaken und gehen zur Kantine. Dort gibt es gerade Bier und eine Art Punsch. Wir trinken Punsch und lügen uns phantastische Erlebnisse vor. Jeder glaubt dem andern gern und wartet ungeduldig, um noch dicker aufzutrumpfen. Unsere Hände sind unruhig, wir paffen ungezählte Zigaretten, bis Kropp sagt:»Eigentlich könnten wir ihnen auch ein paar Zigaretten mitbringen.«Da legen wir sie in unsere Mützen und bewahren sie auf.

Der Himmel wird grün wie ein unreifer Apfel. Wir sind zu viert, aber drei können nur mit; deshalb müssen wir Tjaden loswerden und geben Rum und Punsch für ihn aus, bis er torkelt. Als es dunkel wird, gehen wir unsern Häusern zu. Tjaden in der Mitte. Wir glühen und sind von Abenteuerlust erfüllt. Für mich ist die Schmale, Dunkle, das haben wir verteilt und ausgemacht.

Tjaden fällt auf seinen Strohsack und schnarcht. Einmal wacht er auf und grinst uns so listig an, daß wir schon erschrecken und glauben, er habe gemogelt, und der ausgegebene Punsch sei umsonst gewesen. Dann fällt er zurück und schläft weiter.

Jeder von uns dreien legt ein ganzes Kommißbrot bereit und wickelt es in Zeitungspapier. Die Zigaretten packen wir dazu, außerdem noch drei gute Portionen Leberwurst, die wir heute abend empfangen haben. Das ist ein anständiges Geschenk.

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