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Vorläufig stecken wir die Sachen in unsere Stiefel; denn Stiefel müssen wir mitnehmen, damit wir drüben auf dem andern Ufer nicht in Draht und Scherben treten. Da wir vorher schwimmen müssen, können wir weiter keine Kleider brauchen. Es ist ja auch dunkel und nicht weit. Wir brechen auf, die Stiefel in den Händen. Rasch gleiten wir ins Wasser, legen uns auf den Rücken, schwimmen und halten die Stiefel mit dem Inhalt über unsere Köpfe. Am andern Ufer klettern wir vorsichtig hinauf, nehmen die Pakete heraus und ziehen die Stiefel an. Die Sachen klemmen wir unter die Arme. So setzen wir uns, naß, nackt, nur mit Stiefeln bekleidet, in Trab. Wir finden das Haus sofort. Es liegt dunkel in den Büschen. Leer fällt über eine Wurzel und schrammt sich die Ellbogen.»Macht nichts«, sagt er fröhlich.

Vor den Fenstern sind Läden. Wir umschleichen das Haus und versuchen, durch die Ritzen zu spähen. Dann werden wir ungeduldig. Kropp zögert plötzlich.»Wenn nun ein Major drinnen bei ihnen ist?«

»Dann kneifen wir eben aus«, grinst Leer,»er kann unsere Regimentsnummer ja hier lesen«, und klatscht sich auf den Hintern.

Die Haustür ist offen. Unsere Stiefel machen ziemlichen Lärm. Eine Tür öffnet sich, Licht fällt hindurch, eine Frau stößt erschreckt einen Schrei aus. Wir machen»Pst, pst – camarade – bon ami -«und heben beschwörend unsere Pakete hoch.

Die andern beiden sind jetzt auch sichtbar, die Tür öffnet sich ganz, und das Licht bestrahlt uns. Wir werden erkannt, und alle drei lachen unbändig über unsern Aufzug. Sie biegen und beugen sich im Türrahmen, so müssen sie lachen. Wie geschmeidig sie sich bewegen!

»Un moment.«Sie verschwinden und werfen uns Zeugstücke zu, die wir uns notdürftig umwickeln. Dann dürfen wir eintreten. Eine kleine Lampe brennt im Zimmer, es ist warm und riecht etwas nach Parfüm. Wir packen unsere Pakete aus und übergeben sie ihnen. Ihre Augen glänzen, man sieht, daß sie Hunger haben.

Dann werden wir alle etwas verlegen. Leer macht die Gebärde des Essens. Da kommt wieder Leben hinein, sie holen Teller und Messer und fallen über die Sachen her. Bei jedem Scheibchen Leberwurst heben sie, ehe sie es essen, das Stück zuerst bewundernd in die Höhe, und wir sitzen stolz dabei.

Sie übersprudeln uns mit ihrer Sprache – wir verstehen nicht viel, aber wir hören, daß es freundliche Worte sind. Vielleicht sehen wir auch sehr jung aus. Die Schmale, Dunkle, streicht mir über das Haar und sagt, was alle französischen Frauen immer sagen:»La guerre – grand malheur – pauvres garçons -«

Ich halte ihren Arm fest und lege meinen Mund in ihre Handfläche. Die Finger umschließen mein Gesicht. Dicht über mir sind ihre erregenden Augen, das sanfte Braun der Haut und die roten Lippen. Der Mund spricht Worte, die ich nicht verstehe. Ich verstehe auch die Augen nicht ganz, sie sagen mehr, als wir erwarteten, da wir hierher kamen. Es sind Zimmer nebenan. Im Gehen sehe ich Leer, er ist mit der Blonden handfest und laut. Er kennt das ja auch. Aber ich – ich bin verloren an ein Fernes, Leises und Ungestümes und vertraue mich ihm an. Meine Wünsche sind sonderbar gemischt aus Verlangen und Versinken. Mir wird schwindelig, es ist nichts hier, woran man sich noch halten könnte. Unsere Stiefel haben wir vor der Tür gelassen, man hat uns Pantoffeln dafür gegeben, und nun ist nichts mehr da, was mir die Sicherheit und Frechheit des Soldaten zurückruft: kein Gewehr, kein Koppel, kein Waffenrock, keine Mütze. Ich lasse mich fallen ins Ungewisse, mag geschehen, was will – denn ich habe etwas Angst, trotz allem.

Die Schmale, Dunkle bewegt die Brauen, wenn sie nachdenkt; aber sie sind still, wenn sie spricht. Manchmal auch wird der Laut nicht ganz zum Wort und erstickt oder schwingt halbfertig über mich weg; ein Bogen, eine Bahn, ein Komet. Was habe ich davon gewußt – was weiß ich davon? – Die Worte dieser fremden Sprache, von der ich kaum etwas begreife, sie schläfern mich ein zu einer Stille, in der das Zimmer braun und halb beglänzt verschwimmt und nur das Antlitz über mir lebt und klar ist. Wie vielfältig ist ein Gesicht, wenn es fremd war noch vor einer Stunde und jetzt geneigt ist zu einer Zärtlichkeit, die nicht aus ihm kommt, sondern aus der Nacht, der Welt und dem Blut, die in ihm zusammenzustrahlen scheinen. Die Dinge des Raumes werden davon angerührt und verwandelt, sie werden besonders, und vor meiner hellen Haut habe ich beinahe Ehrfurcht, wenn der Schein der Lampe darauf liegt und die kühle braune Hand darüberstreicht. Wie anders ist dies alles als die Dinge in den Mannschaftsbordells, zu denen wir Erlaubnis haben und wo in langer Reihe angestanden wird. Ich möchte nicht an sie denken; aber sie gehen mir unwillkürlich durch den Sinn, und ich erschrecke, denn vielleicht kann man so etwas nie mehr loswerden.

Dann aber fühle ich die Lippen der Schmalen, Dunklen, und dränge mich ihnen entgegen, ich schließe die Augen und möchte alles damit auslöschen, Krieg und Grauen und Gemeinheit, um jung und glücklich zu erwachen; ich denke an das Bild des Mädchens auf dem Plakat und glaube einen Augenblick, daß mein Leben davon abhängt, es zu gewinnen. – Und um so tiefer presse ich mich in die Arme, die mich umfassen, vielleicht geschieht ein Wunder.

* * *

Irgendwie finden wir uns alle nachher wieder zusammen. Leer ist sehr forsch. Wir verabschieden uns herzlich und schlüpfen in unsere Stiefel. Die Nachtluft kühlt unsere heißen Körper. Groß ragen die Pappeln in das Dunkel und rauschen. Der Mond steht am Himmel und im Wasser des Kanals. Wir laufen nicht, wir gehen nebeneinander mit langen Schritten.

Leer sagt:»Das war ein Kommißbrot wert!«Ich kann mich nicht entschließen zu sprechen, ich bin gar nicht einmal froh.

Da hören wir Schritte und ducken uns hinter einen Busch.

Die Schritte kommen näher, dicht an uns vorbei. Wir sehen einen nackten Soldaten, in Stiefeln, genau wie wir, er hat ein Paket unter dem Arm und sprengt im Galopp vorwärts. Es ist Tjaden in großer Fahrt. Schon ist er verschwunden. Wir lachen.

Morgen wird er schimpfen. Unbemerkt gelangen wir zu unseren Strohsäcken.

* * *

Ich werde zur Schreibstube gerufen. Der Kompanieführer gibt mir Urlaubsschein und Fahrschein und wünscht mir gute Reise. Ich sehe nach, wieviel Urlaub ich habe. Siebzehn Tage – vierzehn sind Urlaub, drei Reisetage. Es ist zuwenig, und ich frage, ob ich nicht fünf Reisetage haben kann. Bertinck zeigt auf meinen Schein. Da sehe ich erst, daß ich nicht sofort zur Front zurückkomme. Ich habe mich nach Ablauf des Urlaubs noch zum Kursus im Heidelager zu melden.

Die anderen beneiden mich. Kat gibt mir gute Ratschläge, wie ich versuchen soll, Druckpunkt zu nehmen.»Wenn du gerissen bist, bleibst du da hängen.«Es wäre mir eigentlich lieber gewesen, wenn ich erst in acht Tagen hätte fahren brauchen; denn so lange sind wir noch hier, und hier ist es ja gut. – Natürlich muß ich in der Kantine einen ausgeben. Wir sind alle ein bißchen angetrunken. Ich werde trübselig; es sind sechs Wochen, die ich fortbleiben werde, das ist natürlich ein mächtiges Glück, aber wie wird es sein, wenn ich zurückkomme? Werde ich sie hier noch alle wiedertreffen? Haie und Kemmerich sind schon nicht mehr da – wer wird der nächste sein?

Wir trinken, und ich sehe einen nach dem andern an. Albert sitzt neben mir und raucht, er ist munter, wir sind immer zusammen gewesen; – gegenüber hockt Kat mit den abfallenden Schultern, dem breiten Daumen und der ruhigen Stimme, Müller mit den vorstehenden Zähnen und dem bellenden Lachen; – Tjaden mit den Mauseaugen; – Leer, der sich einen Vollbart stehen läßt und ausschaut wie vierzig.

Über unsern Köpfen schwebt dicker Qualm. Was wäre der Soldat ohne Tabak! Die Kantine ist eine Zuflucht, Bier ist mehr als ein Getränk, es ist ein Zeichen, daß man gefahrlos die Glieder dehnen und recken darf. Wir tun es auch ordentlich, die Beine haben wir lang von uns gestreckt, und wir spucken gemütlich in die Gegend, daß es nur so eine Art hat. Wie einem das alles vorkommt, wenn man morgen abreist!

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