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Was macht es schon – in kurzer Zeit ist ohnehin alles zerschossen. Für uns selbst holen wir Schokolade aus dem Depot und essen sie tafelweise. Kat sagt, sie sei gut für einen allzu eiligen Bauch. – Fast vierzehn Tage vergehen so mit Essen, Trinken und Bummeln. Niemand stört uns. Das Dorf verschwindet langsam unter den Granaten, und wir führen ein glückliches Leben. Solange nur noch ein Teil des Proviantamtes steht, ist uns alles egal, und wir wünschen bloß, hier das Ende des Krieges zu erleben.

Tjaden ist derartig fein geworden, daß er die Zigarren nur halb aufraucht. Er erklärt hochnäsig, er sei es so gewohnt.

Auch Kat ist sehr aufgemuntert. Sein erster Ruf morgens ist:»Emil, bringen Sie Kaviar und Kaffee.«Es ist überhaupt erstaunlich vornehm bei uns, jeder hält den andern für seinen Burschen, siezt ihn und gibt ihm Aufträge.»Kropp, es juckt mich unter dem Fuß, fangen Sie doch mal die Laus weg«, damit streckt ihm Leer sein Bein hin wie eine Schauspielerin, und Albert schleift ihn daran die Treppen hinauf.»Tjaden!«-»Was?«-»Stehen Sie bequem, Tjaden, übrigens heißt es nicht: Was, sondern: Zu Befehl – also: Tjaden!«Tjaden begibt sich wieder auf ein Gastspiel zu Götz von Berlichingen, der ihm nur so im Handgelenk sitzt.

Nach weiteren acht Tagen erhalten wir Befehl, abzurücken.

Die Herrlichkeit ist aus. Zwei große Lastautos nehmen uns auf. Sie sind hoch bepackt mit Brettern. Aber noch oben darauf bauen Albert und ich unser Himmelbett mit dem blauseidenen Überwurf auf, mit Matratzen und zwei Spitzenoberbetten. Hinten drin am Kopfende liegt für jeden ein Sack mit besten Lebensmitteln. Wir fühlen manchmal darüber hin, und die harten Mettwürste, die Leberwurstbüchsen, die Konserven, die Zigarrenkisten lassen unsere Herzen jubilieren. Jeder Mann hat so einen Sack voll bei sich.

Kropp und ich haben aber außerdem noch zwei rote Samtfauteuils gerettet. Sie stehen im Bett, und wir räkeln uns darauf wie in einer Theaterloge. Über uns bauscht sich die Seide des Überwurfs als Baldachin. Jeder hat eine lange Zigarre im Mund. So schauen wir hoch von oben in die Gegend.

Zwischen uns steht ein Papageienkäfig, den wir für die Katze gefunden haben. Sie wird mitgenommen und liegt drinnen vor ihrem Fleischnapf und schnurrt. Langsam rollen die Wagen über die Straße. Wir singen. Hinter uns spritzen die Granaten Fontänen aus dem nun ganz verlassenen Dorf.

* * *

Einige Tage später rücken wir aus, um eine Ortschaft aufzuräumen. Unterwegs begegnen uns die fliehenden Bewohner, die ausgewiesen sind. Sie schleppen ihre Habseligkeiten in Karren, in Kinderwagen und auf dem Rücken mit sich. Ihre Gestalten sind gebeugt, ihre Gesichter voll Kummer, Verzweiflung, Hast und Ergebenheit. Die Kinder hängen an den Händen der Mütter, manchmal führt auch ein älteres Mädchen die Kleinen, die vorwärts taumeln und immer wieder zurücksehen. Einige tragen armselige Puppen mit sich. Alle schweigen, als sie an uns vorübergehen.

Noch sind wir in Marschkolonne, die Franzosen werden ja nicht ein Dorf beschießen, in dem Landsleute sind. Aber wenige Minuten später heult die Luft, die Erde bebt, Schreie ertönen – eine Granate hat den hintersten Zug zerschmettert. Wir spritzen auseinander und werfen uns hin, aber im selben Moment fühle ich, wie mir die Spannung entgleitet, die mich sonst immer bei Feuer unbewußt das Richtige tun läßt, der Gedanke»Du bist verloren«zuckt auf mit einer würgenden, schrecklichen Angst – und im nächsten Augenblick fegt ein Schlag wie von einer Peitsche über mein linkes Bein. Ich höre Albert schreien, er ist neben mir.

»Los, auf, Albert!«brülle ich, denn wir liegen ungeschützt auf freiem Felde.

Er taumelt hoch und läuft. Ich bleibe neben ihm. Wir müssen über eine Hecke; sie ist höher als wir. Kropp faßt in die Zweige, ich packe sein Bein, er schreit auf, ich gebe ihm Schwung, er fliegt hinüber. Mit einem Satz bin ich hinter ihm her und falle in einen Teich, der hinter der Hecke liegt.

Wir haben das Gesicht voll Wasserlinsen und Schlamm, aber die Deckung ist gut. Deshalb waten wir hinein bis zum Halse. Wenn es heult, gehen wir mit dem Kopf unter Wasser.

Nachdem wir das ein dutzendmal gemacht haben, wird es mir über. Auch Albert stöhnt:»Laß uns weg, ich falle sonst um und ersaufe.«

»Wo hast du was gekriegt?«frage ich.

»Am Knie, glaube ich.«

»Kannst du laufen?«

»Ich denke -«

»Dann los.«

Wir gewinnen den Chausseegraben und rennen ihn gebückt entlang. Das Feuer folgt uns. Die Straße hat die Richtung auf das Munitionsdepot. Wenn das hochgeht, findet nie jemand von uns einen Knopf wieder. Wir ändern deshalb unsern Plan und laufen im Winkel querfeldein.

Albert wird langsamer.»Lauf zu, ich komme nach«, sagt er und wirft sich hin.

Ich reiße ihn am Arm auf und schüttele ihn.»Hoch, Albert, wenn du dich erst hinlegst, kannst du nie mehr weiter. Los, ich stütze dich.«

Endlich erreichen wir einen kleinen Unterstand. Kropp schmeißt sich hin, und ich verbinde ihn. Der Schuß sitzt kurz über dem Knie. Dann sehe ich mich selbst an. Die Hose ist blutig, ebenso der Arm. Albert bindet mir seine Päckchen um die Löcher. Er kann sein Bein schon nicht mehr bewegen, und wir wundern uns beide, wie wir es überhaupt bis hierher geschafft haben. Das hat nur die Angst gemacht; wir würden fortgelaufen sein, selbst wenn uns die Füße weggeschossen wären – dann eben auf Stümpfen.

Ich kann noch etwas kriechen und rufe einen vorüberfahrenden Leiterwagen an, der uns mitnimmt. Er ist voller Verwundeter. Ein Sanitätsgefreiter ist dabei, der uns eine Tetanusspritze in die Brust jagt.

Im Feldlazarett richten wir es so ein, daß wir nebeneinander zu liegen kommen. Es gibt eine dünne Suppe, die wir gierig und verächtlich auslöffeln, weil wir zwar bessere Zeiten gewöhnt sind, aber doch Hunger haben.

»Nun geht’s in die Heimat, Albert«, sage ich.

»Hoffentlich«, antwortet er.»Wenn ich bloß wüßte, was ich habe.«

Die Schmerzen werden stärker. Wie Feuer brennen die Verbände. Wir trinken und trinken, einen Becher Wasser nach dem andern.

»Wieviel über dem Knie ist mein Schuß?«fragt Kropp.

»Mindestens zehn Zentimeter, Albert«, antworte ich. In Wirklichkeit sind es vielleicht drei.

»Das habe ich mir vorgenommen«, sagt er nach einer Weile,»wenn sie mir einen Knochen abnehmen, mache ich Schluß. Ich will nicht als Krüppel durch die Welt laufen.«

So liegen wir mit unsern Gedanken und warten.

* * *

Abends werden wir zur Schlachtbank geholt. Ich erschrecke und überlege rasch, was ich tun soll; denn es ist bekannt, daß die Ärzte in den Feldlazaretten leicht amputieren. Bei dem großen Andrang ist das einfacher als komplizierte Flickereien. Kemmerich fällt mir ein. Auf keinen Fall werde ich mich chloroformieren lassen, selbst wenn ich ein paar Leuten den Schädel einschlagen muß.

Es geht gut. Der Arzt stochert in der Wunde herum, daß mir schwarz vor Augen wird.»Stellen Sie sich nicht so an«, schimpft er und säbelt weiter. Die Instrumente blitzen in dem hellen Licht wie bösartige Tiere. Die Schmerzen sind unerträglich. Zwei Krankenwärter halten meine Arme fest, aber ich kriege einen los und will ihn gerade dem Arzt in die Brille knallen, als er es merkt und wegspringt.»Chloroformiert den Kerl!«schreit er wütend.

Da werde ich ruhig.»Entschuldigen Herr Doktor, ich werde stillhalten, aber chloroformieren Sie mich nicht.«

»Na ja«, kakelt er und nimmt seine Instrumente wieder vor. Er ist ein blonder Bursche, höchstens dreißig Jahre alt, mit Schmissen und einer widerlichen goldenen Brille. Ich merke, daß er mich jetzt schikaniert, er wühlt nur so in der Wunde und schielt ab und zu über seine Gläser zu mir hin. Meine Hände quetschen sich um die Griffe, eher verrecke ich, als daß er einen Mucks von mir hört.

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