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Er hat einen Splitter herausgeangelt und wirft ihn mir zu.

Scheinbar ist er befriedigt von meinem Verhalten, denn er schient mich jetzt sorgfältig und sagt:»Morgen geht’s ab nach Hause.«Dann werde ich eingegipst. Als ich wieder mit Kropp zusammen bin, erzähle ich ihm, daß also wahrscheinlich morgen schon ein Lazarettzug eintreffen wird.»Wir müssen mit dem Sanitätsfeldwebel sprechen, damit wir beieinander bleiben, Albert.«

Es gelingt mir, dem Feldwebel mit ein paar passenden Worten zwei meiner Zigarren mit Bauchbinden zu überreichen. Er schnuppert daran und fragt:»Hast du noch mehr davon?«

»Noch eine gute Handvoll«, sage ich,»und mein Kamerad«, ich zeige auf Kropp,»ebenfalls. Die möchten wir Ihnen gern morgen zusammen aus dem Fenster des Lazarettzuges überreichen.«

Er kapiert natürlich, schnuppert noch einmal und sagt:»Gemacht.«

Wir können keine Minute nachts schlafen. In unserm Saal sterben sieben Leute. Einer singt eine Stunde lang in einem hohen Quetschtenor Choräle, ehe er zu röcheln beginnt. Ein anderer ist vorher aus dem Bett ans Fenster gekrochen. Er liegt davor, als hätte er zum letztenmal hinaussehen wollen.

* * *

Unsere Bahren stehen auf dem Bahnhof. Wir warten auf den Zug. Es regnet, und der Bahnhof hat kein Dach. Die Decken sind dünn. Wir warten schon zwei Stunden. Der Feldwebel betreut uns wie eine Mutter. Obschon mir sehr schlecht ist, verliere ich unsern Plan nicht aus den Gedanken. So nebenbei lasse ich die Päckchen sehen und gebe eine Zigarre als Vorschuß ab. Dafür deckt der Feldwebel uns eine Zeltbahn über.

»Mensch, Albert«, erinnere ich mich,»unser Himmelbett und die Katze -«

»Und die Klubsessel«, fügt er hinzu. Ja, die Klubsessel aus rotem Plüsch. Wir hatten wie Fürsten abends darauf gesessen und uns vorgenommen, sie später stundenweise abzuvermieten. Pro Stunde eine Zigarette. Es wäre ein sorgenloses Leben und ein Geschäft geworden.

»Albert«, fällt mir ein,»und unsere Freßsäcke.«

Wir werden schwermütig. Die Sachen hätten wir gebrauchen können. Wenn der Zug einen Tag später führe, hätte Kat uns sicher gefunden und uns den Kram gebracht.

Ein verfluchtes Schicksal. Wir haben Mehlsuppe im Magen, dünnes Lazarettfutter, und in unseren Säcken ist Schweinebraten als Konserve. Aber wir sind so schwach, daß wir uns nicht weiter darüber aufregen können.

Die Bahren sind klatschnaß, als der Zug morgens einläuft. Der Feldwebel sorgt dafür, daß wir in denselben Wagen kommen. Eine Menge Rote-Kreuz-Schwestern sind da. Kropp wird nach unten gepackt. Ich werde angehoben und soll in das Bett über ihm.

»Um Gottes willen«, entfährt es mir plötzlich.

»Was ist denn?«fragt die Schwester.

Ich werfe noch einen Blick auf das Bett. Es ist mit schneeweißem Leinen bezogen, unvorstellbar sauberem Leinen, das sogar noch die Plättkniffe hat. Mein Hemd dagegen ist sechs Wochen lang nicht gewaschen worden und sehr dreckig.

»Können Sie nicht allein hineinkriechen?«fragt die Schwester besorgt.

»Das schon«, sagte ich schwitzend,»aber tun Sie doch erst das Bettzeug weg.«

»Warum denn?«

Ich komme mir wie ein Schwein vor. Da soll ich mich hineinlegen? -»Es wird ja -«Ich zögere.

»Ein bißchen schmutzig?«fragt sie ermunternd.»Das schadet nichts, dann waschen wir es eben nachher wieder.«

»Nee, das nicht -«, sage ich aufgeregt. Diesem Ansturm der Kultur bin ich nicht gewachsen.»Dafür, daß Sie draußen im Graben gelegen haben werden wir wohl noch ein Bettlaken waschen können«, fährt sie fort.

Ich sehe sie an, sie sieht knusprig und jung aus, blank gewaschen und fein, wie alles hier, man begreift nicht daß es nicht nur für Offiziere ist, und fühlt sich unheimlich und sogar irgendwie bedroht.

Das Weib ist trotzdem ein Folterknecht, es zwingt mich alles zu sagen.»Es ist nur -«, ich halte ein, sie muß doch verstehen, was ich meine.

»Was denn noch?«

»Wegen der Läuse«, brülle ich schließlich heraus.

Sie lacht.»Die müssen auch mal gute Tage haben.«

Nun kann es mir ja gleich sein. Ich krabbele ins Bett und decke mich zu. Eine Hand fingert über die Decke. Der Feldwebel. Er zieht mit den Zigarren ab. Nach einer Stunde merken wir, daß wir fahren.

* * *

Nachts erwache ich. Auch Kropp rührt sich. Der Zug rollt leise über die Schienen. Es ist alles noch unbegreiflich: ein Bett, ein Zug, nach Hause. Ich flüstere:»Albert!«

»Ja -«

»Weißt du, wo hier die Latrine ist?«

»Ich glaube, drüben rechts die Tür.«

»Ich werde mal sehen.«Es ist dunkel, ich taste nach dem Bettrand und will vorsichtig hinuntergleiten. Aber mein Fuß findet keinen Halt, ich gerate ins Rutschen, das Gipsbein ist keine Hilfe, und mit einem Krach liege ich auf dem Boden.

»Verflucht«, sage ich.

»Hast du dich gestoßen?«fragt Kropp.

»Das könntest du doch wohl gehört haben«, knurre ich,»mein Schädel -«

Hinten im Wagen öffnet sich die Tür. Die Schwester kommt mit Licht und sieht mich.

»Er ist aus dem Bett gefallen -«

Sie fühlt mir den Puls und faßt meine Stirn an.»Sie haben aber kein Fieber.«

»Nein -«, gebe ich zu.

»Haben Sie denn geträumt?«fragt sie.

»So ungefähr«, weiche ich aus. Jetzt geht die Fragerei wieder los. Sie sieht mich mit ihren blanken Augen an, sauber und wunderbar ist sie, um so weniger kann ich ihr sagen, was ich will.

Ich werde wieder nach oben gehoben. Das kann ja gut werden. Wenn sie fort ist, muß ich sofort wieder versuchen, hinunterzusteigen. Wäre sie eine alte Frau, so ginge es eher, ihr Bescheid zu sagen, aber sie ist ja ganz jung, höchstens fünfundzwanzig Jahre, es ist nichts zu machen, ich kann es ihr nicht sagen.

Da kommt Albert mir zu Hilfe, er geniert sich nicht, er ist es ja auch schließlich nicht, den die Sache angeht. Er ruft die Schwester an. Sie dreht sich um.»Schwester, er wollte -«, aber auch Albert weiß nicht mehr, wie er sich tadellos und anständig ausdrücken soll. Unter uns draußen ist das mit einem einzigen Wort gesagt, aber hier, einer solchen Dame gegenüber – - Mit einem Male jedoch fällt ihm die Schulzeit ein, und er vollendet fließend:»Er möchte mal hinaus, Schwester.«

»Ach so«, sagt die Schwester.»Dazu braucht er doch nicht mit seinem Gipsverband aus dem Bett zu klettern. Was wollen Sie denn haben?«wendet sie sich an mich.

Ich bin tödlich erschrocken über diese neue Wendung, denn ich habe keine Ahnung, wie man die Dinge fachmännisch benennt. Die Schwester kommt mir zu Hilfe.»Klein oder groß?«Diese Blamage! Ich schwitze wie ein Affe und sage verlegen:»Na, also nur klein -«

Immerhin, wenigstens noch etwas Glück.

Ich erhalte eine Flasche. Nach einigen Stunden bin ich nicht mehr der einzige, und morgens haben wir uns gewöhnt und verlangen ohne Beschämung, was wir brauchen.

Der Zug fährt langsam. Manchmal hält er, und die Toten werden ausgeladen. Er hält oft.

* * *

Albert hat Fieber. Mir geht es leidlich, ich habe Schmerzen, aber schlimmer ist es, daß wahrscheinlich unter dem Gipsverband noch Läuse sitzen. Es juckt fürchterlich, und ich kann mich nicht kratzen.

Wir schlummern durch die Tage. Die Landschaft geht still durch die Fenster. In der dritten Nacht sind wir in Herbesthal. Ich höre von der Schwester, daß Albert an der nächsten Station ausgeladen werden soll, wegen seines Fiebers.

»Wie weit fährt der Zug?«frage ich.

»Bis Köln.«

»Albert, wir bleiben zusammen«, sage ich,»paß auf.«Beim nächsten Rundgang der Schwester halte ich die Luft an und presse den Atem in den Kopf. Er schwillt und wird rot. Sie bleibt stehen.»Haben Sie Schmerzen?«

»Ja«, stöhne ich,»mit einem Male.«

Sie gibt mir ein Thermometer und geht weiter. Ich müßte nicht bei Kat in der Lehre gewesen sein, um nicht Bescheid zu wissen. Diese Soldatenthermometer sind nicht für erfahrenes Militär berechnet. Es handelt sich nur darum, das Quecksilber hochzutreiben, dann bleibt es in der dünnen Röhre stehen und sinkt nicht wieder.

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