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Neben notwendigen Kenntnissen bekam man in dieser Schule noch einige Informationen über realer Welt außer der Schule. Mein erster Klassenlehrer zeigte uns, dass man nicht allem vertrauen muss, was man in Fernsehen sieht. Er erzählte uns, dass wir uns um alten Menschen kümmern sollten. Gleichzeitig erzählte er von diesen guten Vorsätzen der Mutter einer unserer Mitschülerin, die zufälligerweise im Fernsehzentrum arbeitete. Eine Woche später berichtete man von unseren Heldentaten und nannte uns „Musterschüler“. Wir waren erschüttert und bewundert, wir haben noch nichts Bemerkenswertes gemacht! Der Klassenlehrer erklärte uns, dass wir nichts mehr tun sollten, sondern ruhig weiter lernen. Das war eine gute Lehre für Schüler: einige zogen daraus die Schlüsse, dass nicht alles, was man sieht oder hört echt ist, andere, die als Parteifunktionären oder Beamten ihre Karriere machen werden, dass gute Beziehungen zu Medien sind wichtiger, als reale Taten. Von dieser Zeit an begannen einige von uns selbstständig zu denken.

Paradoxerweise der nächste Anstoß zum selbstständigen Denken passierte an der Uni in einem Fach, das offensichtlich nicht dazu geplant war, nämlich – „Geschichte der Kommunistischen Partei der UdSSR“. Das Lehrbuch war das langweiligste Buch, das man sich bloß vorstellen kann. Aber den Lehrgang leitete eine bewundernswerte Dozentin. Sie forderte immer von Studenten, dass sie zu erklären versuchten, warum dieser oder jener Parteitag genau in diesem Jahr stattfanden, warum genau diese Fragen besprochen wurden und warum genau diese Genossen die Rede hielten. Das Ergebnis ihrer Bemühungen war, dass Studenten verstanden, dass die höheren Positionen nicht die Begabtesten bekleideten. Studenten wurden nicht gleich zu Dissidenten, doch das Politbüro betrachteten sie mit ganz anderen Augen.

Unser anderer Klassenlehrer, eigentlich, Klassenlehrerin, nahm es vor, dass alle Schüler eine schlechte Kinderstube hatten (sie war damit nicht so weit von Wahrheit). Deswegen zwang sie uns die guten Manieren nicht nur zu kennen, sondern aus dem Effeff zu benutzen. So übten wir, wie man dem Mädchen in den Mantel hilft, wie man galant dem Mädchen die Tür öffnet und wo soll ein Gentleman sein, wenn die Dame die Treppe hoch oder hinuntergeht, als auch wie man der Hand einer Dame nimmt. Zusätzliche körperliche Kontakte waren uns in diesem Alter – das war die siebte Klasse – nicht so widerlich, aber man bekam immer wieder das falsche Mädchen. Wir wollten aber ganz anderen Mädchen in den Mantel helfen! XXXXXX XX XX XX XXX XXXXXX XXXXXXXXXXXXXX XX XXX XX XXXX XX XXX XX.

Alina ruft mich zum Abendessen. Heute haben wir das ganz einfach: „Kraftsdorfer Thüringer Schwarzbier Salami“ mit „Thüringer Heimisches Land-Brot“, dazu Rosen Schwarzbier und gebratene Auberginen mit Wahlnüsse. Nur das letzte Gericht muss man zubereiten. Geschnittene Auberginen brät man in Sonnenblumenöl. Danach nimmt man Wahlnüsse, Chili, Korianderblätter, Knoblauch, Sellerie, Basilikum, Petersilie, Thymian, Salz, zerkleinert und vermischt das alles, gibt etwas Wahlnussöl dazu. Mit dieser Masse muss man jedes Stück der gebratenen Auberginen schmieren und mindestens einen Tag in einem kühlen Platz reifen lassen. Das Ergebnis schmeckt himmlisch, besonders mit Schwarzbier Salami und Rosen Schwarzbier!

Während des Abendessens erzähle ich Alina von meiner Google-Reise und frage sie nach ihren Schulerinnerungen. Sie lernte in einer sogenannten „Spezialschule“, wo man auf Englisch alles unterrichtet. Damals war es sehr prestigevoll unter russischen Akademiker, die man Intelligenzija auf Russisch nennt, ihre Kinder an Spezialschulen zu schicken. Die armen Kinder mussten notwendigerweise Musik lernen, sehr hoch schätzte man noch zusätzlich eine noble Sportart, wie, z. B., Eiskunstlauf oder Tennis. Es gab nicht so viel von diesen sogenannten Spezialschulen und die Konkurrenz zwischen Eltern war enorm. Als erste zum Ziel kamen selbstverständlich Kinder, dessen Eltern gut sozial vernetzt waren, mit anderen Worten, Parteifunktionäre aller Sorten. Um Sozialgerechtigkeit zu demonstrieren oder, ketzerisch gesagt, „bewahren“, nahm man einige Kinder aus einfachem Volk, die im Umgebung der Schule wohnten.

Spezialschule forderte Speziallehrer, die von KGB geprüft waren. Solch eine Selektion brachte der Schule nicht gutes, weil die ideentreuen Lehrer nicht unbedingt die begabtesten Lehrer waren. Kinder der Parteifunktionäre hatten meistens auch nicht die hellsten Köpfe. Diese Kinder waren in der Sowjetunion praktisch wie die Kinder der Millionäre im Abendland. Sie hatten alles, was alle andere Kinder nicht hatten: westliche Klamotten in großer Menge, Kaugummi (so eine Rarität!), Zigaretten und Alkohol (Whisky u.s.w.). Es haperte ihnen an nichts. Vielleicht waren sie nicht so reich, wie Kinder der richtigen Millionäre, aber einige waren genauso verdorben. Hin oder her, man brauchte keinen Schülern zu erzählen, dass man einen Diener des Volkes nicht immer als Vorbild benutzen kann, weil sie solche wichtige Dinge des Lebens schon von ihren Eltern lernten. Sie glaubten nicht an Kommunismus, nicht an Führerfiguren, wurden aber nicht zu Dissidenten, sondern zu Funktionären und Moralprediger. Die schamlosesten von ihnen wurden später zu Millionären. Kurz gesagt, man bekam manchmal nicht die beste Ausbildung in Spezialschulen. Obwohl, ungeachtet der KGB-Kontrolle, waren in Alinas Schule talentierte Englischlehrer, die den Schülern ermöglichten, die Sprache gut zu beherrschen.

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Schura Nogilevskij geht zum seinen Arbeitsplatz. Er arbeitet in einer moskauer Bank. Die Bank ist klein, ehrlich gesagt, sogar sehr klein. Die Klientel besteht aus einem Klienten und drei Angestellten: Schura selbst fungiert als Bankdirektor, seine Frau bekleidet alle anderen denkbaren in einer Bank Positionen und eine Putzfrau, die nebenberuflich Schuras Mutter ist. Die Bank befindet sich am Rand der Stadt, in einem sechzehnstöckigen Plattenbau, im Erdgeschoss. Das ist eigentlich eine Dreizimmerwohnung. Im Schlafzimmer hat Schura sein Office, im Kinderzimmer verweilt seine Frau, Esszimmer dient als Empfangszimmer und in der Küche hantiert Schuras Mutter. Also, kurz zu fassen, ein florierendes Familiengeschäft. XXX XX XX XX XXX XXXXXXXXXXXX XX XXX XX XXXXXX XXX XXXXXXXX XXX XX XXX XXX XXXXX XX XXXXXX XXX XX.

Es erübrigt sich zu zagen, dass Schura Nogilewskij nicht als Bankier geboren wurde. Er erschien zur Welt in Rostow-am-Don als ein einziger Sohn der höheren Tiere der Nordkaukasuseisenbahn. Die Dichten und Trachten der Eltern bestanden darin, dass er zu seiner Zeit auch eine hohe Position bekleidet. So wusste Schura schon mit zwölf Jahren, dass er den einfachen Mädchen den Hof nicht machen sollte. Dieses Wissen und ehe retardante hormonelle Entwicklung half ihm die Schule mit einer goldenen Medaille zu absolvieren, während seine Altersgenossen die Schule schwänzten und erste Liebeserfahrungen sammelten. Schura verachtete dumme Männchen, stattdessen las er viel und entwickelte bewusst Soft Skills.

Er wurde zu einem Studenten der historischen Fakultät der Uni. Schura studierte mit Leichtigkeit dank seinem ausgezeichneten Kurzgedächtnis. Er mochte es, anderen mit seinen umfangreichen Kenntnissen zu überraschen (auf Deutsch gesagt – jemandem etwas unter die Nase zu reiben), so begann er wissenschaftliche Zeitschriften zu lesen und die gelesenen Artikel passend zu zitieren. Dann kam er zur Idee wissenschaftliche Bahn zu wählen und versuchte in wissenschaftlicher Arbeit teilzunehmen. Die Rostower Uni hat einen eigenen Platz, um junge Historiker auf wissenschaftlichem Schicksal vorzubereiten. Dieser Platz heißt Tanais. So nannte man die nördlichste griechische Siedlung aus archaischen Zeiten. Tanais liegt ganz in der Nähe von Rostow und man schickt dort Studenten in die sogenannten Expeditionen hin. Als angehende Archäologen wühlten Studenten die ganzen Sommerferien in der Erde, genauso wie unzählige Generationen der Studenten davor. Man könnte glauben, dass es nichts mehr im Boden von Tanais gibt, doch manchmal findet man etwas, was die alten Griechen in Mülleimer wegschmissen oder in altgriechischer Latrine verloren. Das ist echte Knochenarbeit für besessene Archäologen, was Schura nicht war. Nach einer Woche verließ er Tanais und traf die Entscheidung, sich zu theoretischer Arbeit in der Bibliothek zu widmen. Die Arbeit lief gut, doch dann fand er heraus, dass man nicht nur Fakten sammeln musste, sondern auch eigene wissenschaftliche Ideen zu produzieren. Schura mangelte aber an Ideen. Deshalb war er mit wissenschaftlicher Tätigkeit quitt, aber Doktortitel wollte er immer noch.

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