Unter Deck hatte es Kevin Nixon im Zauberladen ausgesprochen warm. Die letzten Tage hatte er sich ausschließlich mit Al-Khalifas gerettetem Satellitentelefon befasst. Der Apparat war im Seewasser gelandet, als die Leiche über Bord geworfen worden war. Da die thermalen Kamine den Körper sehr schnell aufgebläht hatten und er daher mit dem Telefon in der Tasche schnell wieder an die Wasseroberfläche aufgestiegen war, hatte das Innenleben des Mobiltelefons kaum Gelegenheit zum Korrodieren gehabt.
Kevin Nixon hatte das Gerät auseinandergenommen und sorgfältig gereinigt. Nachdem er das Telefon wieder zusammengesetzt hatte, funktionierte es jedoch noch immer nicht. Daher hatte er entschieden, einen Minibackofen aus der Küche zu zweckentfremden und darin die Leiterplatinen zu erhitzen, um sichergehen zu können, dass wirklich jeder Tropfen Feuchtigkeit verdunstete. Mit einer medizinischen Pinzette hatte er die Bauelemente aus dem Ofen gefischt, das Telefon wieder zusammenmontiert und dann frische Batterien eingelegt.
Nach dem Einschalten wurde die Tastaturbeleuchtung aktiviert, und auf dem Display erschien der Hinweis auf eingegangene Nachrichten und Anrufe.
Kevin Nixon lächelte zufrieden und streckte die freie Hand nach dem Intercom aus.
Max Hanley und Eric Stone hatten sich die Information vorgenommen, die Eddie Seng und Bob Meadows übermittelt hatten. Ihnen war es gelungen, mit einem Hackerprogramm in die Datenbank der British Motor Vehicles Registry einzudringen und zu dem Motorradkennzeichen einen Namen und eine Adresse ausfindig zu machen. Danach verglichen sie die Information über Nebile Lababiti mit einer anderen Datenbank und erhielten nähere Angaben über seine Bankverbindungen und sein Besuchervisum. Im Augenblick war Stone damit beschäftigt, die erhaltenen Daten abzugleichen.
»Die Bankschecks, mit denen er seine Miete bezahlt, passen nicht zu der Adresse, die er bei der Passkontrolle angegeben hat«, stellte Eric fest. »Ich habe den Namen des Gebäudes, auf den seine Mietschecks ausgestellt wurden, durch ein Kartografieprogramm laufen lassen und die Adresse gefunden. Der Passkontrolle hat er erklärt, er wohne in Belgravia in London. Das Haus, für das er Miete zahlt, ist jedoch ein paar Kilometer weiter entfernt, und zwar in der Nähe des Strandes.«
»Diese Straße kenne ich«, sagte Max Hanley. »Als ich das letzte Mal in London war, habe ich in einem Restaurant, das Simpson’s hieß, an dem Strand gegessen.«
»Und war es gut?«.
»Das Restaurant existiert seit 1828«, sagte Hanley. »Kein Laden kann sich so lange halten, wenn das Essen schlecht ist. Roastbeef, Lammbraten, gute Desserts.«
»Und wie ist die Straße«, fragte Stone, »der Strand, meine ich?«
»Viel Betrieb«, antwortete Hanley, »Hotels, Restaurants, Theater. Nicht gerade der ideale Ort für eine Geheimoperation.«
»Aber offenbar bestens geeignet für einen Terroranschlag.«
Max Hanley nickte. »Such mal den nächsten Hubschrauberlandeplatz.«
»Bin schon dabei«, sagte Eric Stone.
Dann summte das Intercom, und Kevin Nixon bat Hanley, in den Zauberladen herunterzukommen.
Lababiti hatte sich zwei Glas Bier und einen doppelten Pfefferminzschnaps genehmigt. Er warf einen Blick auf seine goldene Armbanduhr und zündete sich eine Zigarette an. Als er sie aufgeraucht hatte, drückte er sie im Aschenbecher aus, legte ein paar Ein-Pfund-Münzen auf die Theke und ging hinaus.
Der Jemenit, der die Bombe an Ort und Stelle bringen sollte, musste in den nächsten Minuten mit dem Flughafenbus eintreffen. Lababiti fand die Bushaltestelle ein Stück die Straße hinauf, lehnte sich dort an die Hauswand und vertrieb sich die Wartezeit mit einer weiteren Zigarette.
London war in Feiertagsstimmung. Die Schaufenster der Läden waren dem Anlass entsprechend dekoriert, und die Straßen waren schwarz von Menschen. Die meisten Hotels waren ausgebucht, da die Menschen in Scharen nach London strömten, um dort Silvester zu feiern. Unter anderem sollte im Hyde Park ein Konzert mit Elton John stattfinden. Und im Green und im St. James’s Park in der Nähe des Buckingham-Palastes waren die Bäume mit Tausenden farbiger Lichter geschmückt worden. Die Straßen in der Umgebung des Hyde Parks würden abgesperrt werden, um dort Imbissbuden, Getränkestände und Toilettenwagen für die Riesenparty aufzubauen. Auf Lastkähnen, die in der Themse vor Anker lagen, sollten Feuerwerke abgebrannt werden. Und der Himmel wäre ein einziges festliches Lichtermeer.
Lababiti musste grinsen, als er an das Geheimnis dachte, das nur er kannte. Er würde das imposanteste Feuerwerk beisteuern, und wenn es erlosch, wäre von der Party und allen Menschen, die daran teilnahmen, nichts mehr übrig. Der Bus näherte sich, und Lababiti wartete, während er sich leerte.
Der Jemenit war fast noch ein Kind, und er schien wegen der ungewohnten Umgebung verängstigt und verwirrt zu sein. Nachdem die meisten anderen Fahrgäste den Bus an der Haltestelle verlassen hatten, stieg er ängstlich aus. Dabei umklammerte er mit beiden Händen einen billigen Reisekoffer. Bekleidet war er mit einem zerschlissenen schwarzen Wollmantel, der wahrscheinlich aus einem Secondhandladen stammte. Der dünne Streifen eines Barts, dem nicht mehr genügend Zeit bliebe, sich richtig zu entwickeln, zierte seine Oberlippe wie ein dunkler Schaumrest nach dem Genuss eines Glases Schokoladenmilch.
Lababiti trat auf ihn zu. »Ich bin Nebile.«
»Amad«, stellte sich der Junge leise vor.
Lababiti bugsierte ihn die Straße hinunter zu seiner Wohnung.
Sie hatten ein Kind geschickt, das den Job eines Erwachsenen erledigen sollte. Aber das war Lababiti egal — auf keinen Fall würde er die Ausführung selbst in die Hand nehmen.
»Hast du schon gegessen?«, fragte er den Jungen, als sie sich ein Stück von der Haltestelle entfernt hatten.
»Ein paar Feigen«, antwortete Amad.
»Dann sollten wir dein Gepäck in mein Apartment bringen. Anschließend führe ich dich ein wenig herum.«
Amad nickte nur. Es war deutlich zu sehen, dass er zitterte und Schwierigkeiten hatte, ein Wort über die Lippen zu bringen.
Max Hanley hörte sich Al-Khalifas Botschaften an, dann speicherte er sie.
»Seine Mailboxansage ist sehr kurz«, stellte Hanley fest.
»Es könnte reichen«, meinte Kevin Nixon.
»Dann nichts wie an die Arbeit«, entschied Hanley.
»Bin schon dabei, Max.«
Hanley verließ den Zauberladen, kehrte zum Fahrstuhl zurück und fuhr wieder nach oben. Nach ein paar Schritten durch den Korridor erreichte er den Kontrollraum und trat ein. Eric Stone deutete auf einen Bildschirm, der eine Straßenkarte von London zeigte.
»Wir können sie dorthin bringen«, sagte er. »In den Battersea Park.«
»Wie weit ist es von Belgravia und vom Strand entfernt?«, fragte Hanley.
»Der Heliport ruht auf Pfeilern in der Themse«, erklärte Eric Stone, »und zwar zwischen der Chelsea Bridge im Osten und der Albert Bridge im Westen. Wenn sie die Queenstown Road benutzen und die Albert Bridge überqueren, sind sie sofort in Belgravia. Von dort ist es nur noch ein Katzensprung bis zum Strand.«
»Wunderbar«, sagte Hanley.
Bob Meadows hatte den Telefonhörer bereits nach dem ersten Klingeln am Ohr.
»Fahrt zum Battersea Park«, sagte Max Hanley ohne Einleitung, »dort gibt es einen Hubschrauberlandeplatz mitten in der Themse. Juan wird dort in Kürze mit dem Robinson eintreffen.«
»Hast du dich schon um ein Hotel gekümmert?«
»Noch nicht«, erwiderte Hanley, »aber ich werde gleich ein paar Zimmer im Savoy buchen.«
»Heißt das, dass ihr unseren Mann aufgestöbert habt?«
»Wir gehen davon aus«, sagte Hanley. »Wenn uns nicht alles täuscht, müsste er sich irgendwo auf der anderen Straßenseite aufhalten.«
»Perfekt«, sagte Meadows und beendete das Gespräch.