»Willkommen in England«, sagte der Zollbeamte und bedeutete dem Kapitän mit einer Geste, er solle hinausgehen.
Während der Beamte die Tür abermals verriegelte, fragte der Kapitän: »Wissen Sie, ob ich in der Nähe einen Arzt finden kann?«
»Zwei Straßen weiter den Hügel hinauf«, antwortete der Zollbeamte, »und dann nach links. Aber er hat jetzt geschlossen. Sie können morgen hingehen — nachdem Sie hier waren und Ihre Zollerklärung abgegeben haben.«
Der Beamte entfernte sich, und der Kapitän kehrte auf die Larissa zurück, um sich in Geduld zu fassen und zu warten.
Den Stammgästen in der Hafenbar auf der Isle of Sheppey musste Nebile Lababiti vorkommen wie ein Schwuler auf der Suche nach einem Liebhaber. Und was sich daraus ergeben könnte, gefiel ihnen ganz und gar nicht. Lababiti trug einen kurzen italienischen Mantel, eine matt glänzende Seidenhose und ein Seidenhemd, dessen obere Knöpfe offen standen und den Blick auf mehrere goldene Halsketten zuließen. Er roch nach Haarpomade, Zigaretten und zu viel Eau de Cologne.
»Ich möchte ein Bier«, sagte er zu dem Barkeeper, einem untersetzten, muskulösen und tätowierten Mann mit glatt rasiertem Schädel, der ein schmuddeliges T-Shirt trug.
»Bist du sicher, das du nicht lieber einen Fruchtsaft haben willst, Kumpel?«, fragte der Barkeeper leise. »Ein Stück die Straße rauf ist ein Laden, wo man einen teuflischen Bananendaiquiri bekommt.«
Lababiti griff in die Tasche seines Mantels, holte eine Packung Zigaretten heraus, zündete sich eine an und blies dem Barkeeper den Rauch ins Gesicht. Der Mann sah aus wie ein ehemaliger Kirmeshelfer, den man gefeuert hatte, weil er mit seinem Aussehen die Kunden abschreckte.
»Nein«, sagte Lababiti, »ein Guinness wäre jetzt genau das Richtige.«
Der Barkeeper ließ sich das offensichtlich durch den Kopf gehen, machte aber keinerlei Anstalten, ein Glas zu füllen.
Lababiti zauberte einen Fünfzig-Pfund-Schein hervor und schob ihn über die Theke. »Und servieren Sie den anderen Gentlemen auch einen Drink«, sagte er und deutete mit einer ausholenden Geste auf die zehn weiteren Gäste. »Sie sehen aus, als hätten sie es verdient.«
Der Barkeeper blickte zum Ende der Theke, wo der Eigentümer, ein pensionierter Fischer, an dessen rechter Hand zwei Finger fehlten, vor einem Glas Bier saß. Der Eigentümer gab mit einem Kopfnicken sein Okay, also griff der Barkeeper nach einem Glas.
Auch wenn der Orientale ein Schwuler auf Partnersuche war, galt für dieses Etablissement, dass er es sich nicht leisten konnte, einen zahlenden Gast rauszuekeln. Sobald das Glas Bier vor ihm auf der Theke stand, griff Lababiti danach und trank einen Schluck. Dann wischte er sich die Oberlippe mit dem Handrücken ab und schaute sich um. Die Bar war der reinste Schweinestall. Stühle unterschiedlichster Machart standen vor ramponierten und wackligen Holztischen. Ein Kohlefeuer brannte in einem offenen, rußgeschwärzten Kamin am Ende des Raums. Die Theke selbst war im Laufe der Jahre von unzähligen Messern misshandelt worden.
Es roch nach Schweiß, Fischinnereien, Dieselöl, Urin und Wagenschmiere.
Lababiti trank einen weiteren Schluck und blickte auf seine goldene Piaget-Armbanduhr.
Nicht weit von der Bar entfernt, auf einer Anhöhe oberhalb der Docks, standen zwei von Lababitis Männern und beobachteten durch Nachtsichtgläser die Larissa. Die meisten Mannschaftsmitglieder hatten das Schiff bereits verlassen, um die Nacht an Land zu verbringen. Nur in der achtern gelegenen Kabine brannte noch Licht.
Auf dem Kai schoben zwei andere Araber einen Karren vor sich her, der offenbar mit Abfall gefüllt war. Während sie an der Larissa entlangtrotteten, richteten sie einen Geigerzähler auf den Rumpf des Frachters. Der Ton des Messgeräts war ausgeschaltet, doch die Anzeige verriet ihnen, was sie wissen mussten. Langsam setzten sie den Weg zum Ende des Kais fort.
Unter Deck nahm Milos Coustas, Kapitän der Larissa, mit einem Kamm letzte Korrekturen an seiner Frisur vor. Dann schmierte er sich Salbe auf seinen Arm. Er wusste nicht so recht, weshalb er das eigentlich tat — seit er die Salbe gekauft hatte und regelmäßig anwendete, schien sie kaum geholfen zu haben. Er konnte nur hoffen, dass ihm der Arzt, den er am nächsten Tag aufsuchen sollte, etwas Wirkungsvolleres verschrieb.
Nachdem er seine Toilette beendet hatte, verließ Coustas die Kabine und stieg an Deck.
Er war mit seinem Kunden in der Bar verabredet, ein Stück die Anhöhe hinauf.
Lababiti hatte soeben sein zweites Glas Guinness bestellt und einen ersten Schluck daraus getrunken, als Coustas die Bar betrat. Lababiti wandte den Kopf, um zu sehen, wer hereingekommen war, und wusste sofort, dass dies sein Mann war. Hätte Coustas ein T-Shirt mit der Aufschrift »Griechischer Schiffskapitän« getragen, er hätte nicht deutlicher auffallen können. Er trug eine weit geschnittene Bauernhose, ein weites weißes Baumwollhemd, das am Hals mit einer Schnur verschlossen wurde, und die Art von Mütze, wie offenbar alle Griechen, die am Wasser wohnten, sie bevorzugten.
Lababiti bestellte beim Barkeeper einen Ouzo für Coustas, dann winkte er ihn zu sich herüber.
Sie waren zwar Terroristen, aber keine Dilettanten. Sobald die Männer mit den Nachtsichtgeräten bestätigten, dass Coustas die Bar betreten hatte, machten die beiden Männer mit dem Karren auf dem Kai kehrt und hielten neben der Larissa an. Schnell kletterten sie an Bord und begannen zu suchen. Schon nach wenigen Minuten hatten sie die Kiste lokalisiert, die die Atombombe enthielt, und meldeten ihren Fund dem Beobachtungsteam, das in einem gemieteten Lieferwagen saß. Der Lieferwagen rollte bis zum Ende des Kais, während die beiden Terroristen an Bord der Larissa gleichzeitig die Kiste über die Reling wuchteten. Sie hoben die mit Abfall beklebte Abdeckung hoch und deponierten die Kiste in dem mit einer zusätzlichen Bleipanzerung versehenen Karren.
Indem einer der beiden den Karren zog und der andere schob, bewegten sie sich ohne auffällige Eile über den Kai.
Lababiti und Coustas hatten sich an einen Tisch im hinteren Teil der Bar zurückgezogen. Toilettengerüche wehten über sie hinweg. Coustas hatte mittlerweile seinen zweiten Drink und wurde immer lebhafter.
»Was ist denn nun diese spezielle Fracht, für deren Transport Sie so viel Geld bezahlt haben?«, fragte er Lababiti und lächelte verschwörerisch. »Da Sie Araber sind und die Kiste so schwer ist, nehme ich an, dass Sie Gold schmuggeln.«
Lababiti nickte, womit er die Anschuldigung weder bestätigte noch zurückwies.
»Wenn es so ist«, sagte Coustas, »dann finde ich, dass jetzt ein stattlicher Bonus angesagt wäre.«
Sobald die Kiste mit der Bombe in den Lieferwagen eingeladen war, rasten die beiden Beobachter davon. Die anderen beiden Männer rollte den Karren zum Wasser hinunter und stießen ihn hinein. Dann rannten sie zu einem in der Nähe geparkten Motorrad und schwangen sich darauf. Sie starteten die Maschine und fuhren den Hügel hinauf zur Bar.
Lababiti hasste die Griechen nicht so sehr wie die Bewohner der westlichen Hemisphäre, aber besonders gut leiden konnte er sie auch nicht.
Er empfand sie als laut, aufdringlich und meist sittenlos. Außerdem kannten sie keine Umgangsformen. Coustas hatte bereits zwei Drinks spendiert bekommen, jedoch keinerlei Anstalten gemacht, sich bei Lababiti zu revanchieren. Während er dem Barkeeper durch eine Geste zu verstehen gab, er solle noch eine Runde bringen, erhob sich Lababiti von seinem Stuhl.
»Über einen Bonus unterhalten wir uns, wenn ich zurückkomme«, sagte er. »Vorher muss ich kurz die sanitären Einrichtungen aufsuchen. Dar Barkeeper ist gerade unterwegs — warum machen Sie sich nicht nützlich und holen die Gläser selbst von der Theke?«