Cabrillo wagte sich vorsichtig aus der Höhle und ging hinter einem Felsvorsprung in Deckung. Er musste schnellstens die Schneekatze erreichen und sein Gewehr herausholen, doch der zweite Helikopter befand sich unmittelbar vor ihm. Er fischte das Satellitentelefon aus der Tasche und warf einen Blick auf das Display. Gott sei Dank, außerhalb der Höhle fing er endlich wieder ein Signal auf. Er gab eine Kurzwahlnummer ein und brauchte nicht lange zu warten, bis Max Hanley sich meldete.
»Hier oben sieht es aus wie damals nach dem Fall Saigons«, sagte Cabrillo. »Als ich ankam, war schon ein Helikopter da, und gerade eben ist ein zweiter aufgetaucht. Wer sind diese Leute?«
»Einen hat Stony schon identifiziert«, antwortete Hanley.
»Es ist eine Chartermaschine aus Westgrönland, Eigentümer ein gewisser Michael Neilsen. Wir haben den Namen auf mögliche Verbindungen zu irgendeiner Organisation überprüft, bisher aber keinen Treffer gelandet. Daher vermute ich, dass er ein ganz normaler Pilot ist, den man mieten kann.«
»Und was ist mit der zweiten Maschine?«
Eric Stone hatte seine Tastatur mittlerweile wie ein Wilder bearbeitet. »Es ist ein Bell Jet Ranger, der von einer kanadischen Bergbaufirma gechartert wurde.«
»Der Zweite ist ein Bell Jet Rang–«, wollte Hanley das Ergebnis von Eric Stones Recherche weitergeben.
»Ich habe ihn genau vor der Nase«, unterbrach ihn Cabrillo. »Es ist kein Jet Ranger. Eher sieht er nach einem McDonnell Douglas 500 aus.«
Eric Stone tippte weitere Befehle ein, und Sekunden später erschien das Bild eines abgestürzten Helikopters auf dem Monitorschirm. »Jemand hat die Registrierung und die Kennnummer gestohlen, um eine Identifikation zu vermeiden. Kann Juan irgendwelche Zahlen auf dem Schwanzleitwerk erkennen?«
»Eric meint, wir hätten es mit einer gestohlenen Registrierung zu tun«, meldete Hanley. »Kannst du vielleicht ein paar Zahlen lesen?«
Cabrillo angelte ein Minifernglas aus einer anderen Tasche seines Overalls und starrte in die Dunkelheit. »Zweierlei«, sagte er langsam. »Zum einen hängt irgendeine Waffenvorrichtung unter dem Rumpf. Und der zweite Punkt ist, dass am Schwanzleitwerk keine Zahlen zu sehen sind, dafür aber irgendwelche Buchstaben seitlich am Rumpf. Ich sehe ein A, dann ein K und ein B. Die restlichen Buchstaben sind mit Eis bedeckt. Der nächste Buchstabe könnte wieder ein A sein, aber ganz sicher bin ich mir nicht.«
Hanley berichtete Cabrillo, was sie über die Jacht namens Akbar in Erfahrung gebracht hatten.
»Ist das etwa dieser Hurensohn Al-Khalifa?«, fluchte Cabrillo. »Wer sitzt dann in dem anderen Heli? Al Capone?«
Neilsen hatte die Rotorblätter auf hohe Reisegeschwindigkeit eingestellt, nahm nun Gas weg und ließ den Eurocopter in der Luft stehen, während der andere Hubschrauber vor der Windschutzscheibe erschien.
»Sehen Sie dort«, machte er Hughes per Intercom auf die neue Lage aufmerksam.
»Fliegen Sie los, sofort!«, rief Hughes.
»Ich denke, wir sollten lieber landen und abwarten, was geschieht«, erwiderte Neilsen.
Blitzartig zog Hughes eine Pistole aus der Tasche und richtete die Mündung auf Neilsens Kopf. »Ich sagte, Sie sollen losfliegen.«
Ein Blick auf Hughes und auf die Pistole reichte völlig aus. Neilsen schob die Steuersäule nach vorne, und der Eurocopter machte einen Satz vorwärts. Im gleichen Moment schoss eine Flamme unter dem Rumpf des anderen Helikopters hervor, und eine Rakete raste auf den Punkt zu, an dem sie sich soeben noch befunden hatten. Sie verfehlte ihr Ziel und zischte hinaus in die Eiswüste.
Eric Stone holte im Kontrollraum der Oregon ein Bild auf den Monitor. »Das ist eine DOD-Satellitenaufnahme von vor einer Stunde«, erklärte er dazu. »Der zweite Helikopter kam von einem Punkt vor der Ostküste Grönlands auf direktem Kurs zum Mount Forel.«
In diesem Augenblick betrat George Adams den Kontrollraum. »Unser Hubschrauber ist einsatzbereit.«
»Hast du genügend Reichweite, um es von hier hin und zurück zu schaffen?«, wollte Hanley wissen.
»Nein.« Adams schüttelte den Kopf. »Für die Rückkehr dürften uns an die vierzig Gallonen fehlen.«
»Welchen Treibstoff benutzt du?«
»Hundert Oktan bleifrei.«
»Juan«, sagte Hanley übers Satellitentelefon, »George ist bereit und kann sofort starten, aber der Sprit reicht nicht für den Rückflug. Hast du auf der Schneekatze vielleicht eine Notration?«
»Ich denke, es dürften um die hundert Gallonen sein, die übrig sind«, antwortete Cabrillo.
Max Hanley blickte fragend zu George Adams, der aufmerksam zugehört hatte.
»Wenn ich irgendeinen Octane-Booster mitnehme, können wir den Sprit veredeln, damit mein Vogel damit betankt werden kann. Egal wie oder was, ich werde auf jeden Fall hinfliegen und Juan helfen.«
»Ich rufe gleich in der Werkstatt an und lasse den Booster zum Flugdeck raufbringen«, entschied Hanley. »Zieh deine Vorbereitungen durch und starte so bald wie möglich.«
Adams nickte und eilte zur Tür.
»Ich schicke dir die Kavallerie, Juan«, sagte Hanley ins Telefon. »George dürfte in zwei Stunden bei dir sein.«
Cabrillo beobachtete, wie der zweite Helikopter in Position ging, um einen weiteren Schuss auf den Eurocopter abzufeuern. »Das ist gut«, erwiderte Cabrillo, »denn die Kiste mit der gefälschten Registrierung hat den Mietvogel soeben mit einer Rakete unter Beschuss genommen.«
»Du machst wohl Witze.« Hanley verstand gar nichts mehr.
»Und das ist noch nicht alles, mein lieber Freund«, fuhr Cabrillo fort. »Die richtig schlechte Nachricht bin ich noch gar nicht losgeworden.«
»Was könnte noch schlimmer sein?«
»Der Meteorit befindet sich an Bord des gemieteten Helikopters«, sagte Cabrillo. »Sie haben ihn vor mir eingesackt.«
Im Eurocopter richtete Hughes mit einer Hand die Pistole auf Neilsens Kopf und hielt das Telefon in der anderen.
»Fliegen Sie nach Westen zur Küste«, befahl er. »Der Plan hat sich geändert.«
Neilsen nickte und führte die notwendigen Manöver durch.
Gleichzeitig gab Hughes eine Kurzwahlnummer ein und wartete.
»Sir«, meldete er sich, während Neilsen beschleunigte und über die Schneelandschaft jagte, »ich habe das Objekt geborgen und seinem Wächter fristlos gekündigt, aber jetzt gibt es ein Problem.«
»Welcher Art?«, fragte der Mann am anderen Ende.
»Wir werden von einem unbekannten Hubschrauber angegriffen.«
»Sie sind unterwegs zur Küste, richtig?«
»Ja, Sir, genau so, wie es geplant war.«
»Das Team ist auf dem Posten und erwartet Sie«, sagte der Mann. »Wenn Ihnen der Helikopter aufs Meer hinausfolgt, wird sich das Team um die Lösung des Problems kümmern.«
Ehe Hughes eine Antwort geben konnte, traf die zweite Rakete den Schwanz des Eurocopters und trennte ein Blatt des Heckrotors ab. Neilsen bemühte sich, die Maschine unter Kontrolle zu halten, doch der Eurocopter geriet ins Trudeln und schraubte sich der Erde entgegen.
»Wir stürzen ab«, konnte Hughes gerade noch rufen, ehe die Zentrifugalkraft des Eurocopters, der sich immer schneller drehte, seine Hand gegen das Seitenfenster schleuderte, das Glas zerschmetterte und das Telefon zerbersten ließ.
Während sich die Hubschrauber entfernten, war Cabrillo zu der Stelle am Berghang zurückgekehrt, wo er die Schneeschuhe deponiert hatte. Er befestigte sie an seinen Füßen, als ihn der dumpfe Knall der Rakete, die den Eurocopter traf, aufblicken ließ. Es war dunkel, und er hatte für einen Moment Schwierigkeiten, etwas zu erkennen. Dann, ein paar Sekunden später, erschien ein pulsierender Lichtschein in der Ferne auf dem Boden. Er tanzte dort herum wie ein Unglück verheißendes Nordlicht und erlosch gleich darauf.
Cabrillo zurrte die Schneeschuhe fest, stapfte so schnell es ging zur Pistenraupe hinüber und lenkte sie in Richtung des Lichtscheins. Zehn Minuten später, als er den Schauplatz des Geschehens erreichte, brannte das Feuer noch. Der Hubschrauber selbst lag wie ein zerbrochenes Windrad auf der Seite. Cabrillo kletterte aus der Schneekatze und hebelte die verklemmte Tür des Hubschrauberwracks auf. Pilot und Passagier waren tot. Nachdem er alles entfernt hatte, anhand dessen die Leichen oder der Helikopter hätten identifiziert werden können, durchsuchte er das Wrack nach der Kiste, in der sich der Meteorit befand.