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Keen starrte Bolitho an.»Allein das reicht schon völlig!»

Bolitho beobachtete, wie das Seitenboot zum Anbordhieven in die Taljen gehängt wurde. Er brauchte Zeit zum Nachdenken, wollte Glück, Zufall und einen beiläufigen Akt der Menschlichkeit gegeneinander abwägen.

Schließlich sagte er:»Diesmal hat uns der Sturm einen Gefallen getan, Val.»

Keen sah zu, wie Bolitho eine Handvoll Pistolenkugeln aus dem Briefumschlag schüttelte: Ballast, der ihn eher auf den Meeresgrund sinken als in falsche Hände geraten lassen sollte. Aber der Leutnant war zu schnell gestorben und seine Crew zu ahnungslos oder zu furchtsam gewesen.

Keen sagte:»Jetzt handelt es sich also nicht mehr nur um eine Drohung. Wir haben tatsächlich Krieg.»

Bolitho lächelte nachdenklich.»Zumindest wissen wir es früher als andere; das ist immer von Vorteil.»

Mit neu getrimmten Rahen und hartgelegtem Ruder wandte Achates ihren Bugspriet von den treibenden Wrackteilen und dem voll Wasser gelaufenen Boot ab, das binnen kurzem sinken mußte.

Nach Sonnenuntergang wurde der französische Leutnant mit allen Ehren der See übergeben. Bolitho wohnte der Bestattung mit Adam und Allday bei und hörte Keen ein Gebet sprechen, ehe der Tote von der Gräting rutschte und im Kielwasser versank.

Der nächste Franzose, den sie trafen, würde nicht so friedlich sein, dachte Bolitho.

«Also, Sir Humphrey, wie ich hörte, wollen Sie mich sprechen.»

Bolitho ließ sich nichts anmerken, war aber entsetzt über den Wandel in Rivers' Aussehen und Benehmen. Er wirkte um zehn Jahre gealtert und hielt sich gebeugt wie unter einer schweren Last. Er schien überrascht, als Bolitho ihn zu einem Sessel winkte, ließ sich aber dankbar hineinsinken und blickte sich gierig in der Kajüte um.

Schließlich sagte er:»Ich habe alles, was ich weiß, über die Verschwörung niedergeschrieben, die zur Übernahme meiner…«Er verhedderte sich.»Zur Übernahme von San Felipe durch die Spanier führen sollte. Konteradmiral Burgas, der das Geschwader in La Guaira kommandiert, sollte die Insel regieren, bis das Besitzrecht Spaniens endgültig anerkannt war.»

«Wußten Sie, daß die spanische Mission als Tarnung für die Invasionsflotte diente?»

«Nein. Ich vertraute dem spanischen Oberbefehlshaber. Er versprach mir eine Ausweitung des Handels mit dem südamerikanischen Festland. Mir schien das alles nur vorteilhaft.»

Bolitho nahm die Aufzeichnungen entgegen und überflog sie nachdenklich.

«Das könnte für Ihre Verteidigung in London von Nutzen sein, obwohl.»

Rivers hob die Schultern. »Obwohl. Ich verstehe. «Dann sah er Bo-litho direkt an und fragte:»Wenn Sie zur Zeit meines Prozesses in England sind, würden Sie dann für mich aussagen?»

Bolitho konnte ihn nur anstarren.»Da verlangen Sie aber allerhand von mir. Nach dem Angriff auf mein Schiff und meine Männer.»

Aber Rivers ließ sich nicht beirren.»Sie sind Frontoffizier. Für mein Verhalten suche ich keine Entschuldigung, sondern Verständnis. Sie begriffen, was ich beabsichtigte: die Insel für England zu erhalten. Genau das, was durch Ihr Verdienst jetzt auch geschah.»

Als Bolitho nur schwieg, fuhr Rivers fort:»Schließlich — hätten die Spanier den Angriff noch vor Ihrem Eintreffen begonnen, wäre vielleicht meinen Abwehrmaßnahmen der Erfolg zu verdanken gewesen. Dann sähe mich alle Welt jetzt in ganz anderem Licht.»

Bolitho musterte ihn mitfühlend.»Aber der spanische Angriff kam später. Sie wissen doch aus Erfahrung, Sir Humphrey, wie es dem Kommandanten ergeht, der ein feindliches Schiff versenkt oder erobert — eben ein Schiff, das er für feindlich hält — und dann im Hafen erfährt, daß ihrer beider Länder längst Frieden geschlossen haben. Der Kommandant konnte das unmöglich wissen, und doch.»

Rivers nickte.»Und doch ist er der Schuldige. «Er erhob sich.»Ich möchte jetzt in meine Zelle zurückkehren.»

Auch Bolitho stand auf.»Ich muß Ihnen mitteilen, daß wir noch in dieser Woche England erreichen werden. Danach liegt Ihr Schicksal nicht mehr in meiner Hand.«»Verstehe. Danke.»

Rivers ging zur Tür, vor der zwei Seesoldaten ihn erwarteten.

Adam, der Zeuge des kurzen Gesprächs gewesen war, ergriff jetzt das Wort.»Mir tut er nicht leid, Onkel.»

Bolitho fuhr sich über die Stirn und betastete die Narbe unter der Haarsträhne.»Jemanden zu verurteilen, ist nur allzu leicht, Adam.»

Aber sein Adjutant grinste.»Wenn du Gouverneur der Insel gewesen wärst, hättest du dich dann so verhalten wie Rivers?«Als er Bo-lithos Verwirrung sah, nickte er.»Na bitte, da hast du's.»

Bolitho setzte sich.»Frechdachs. Allday hatte ganz recht, was dich betrifft.»

Adam war plötzlich ernst geworden,»Ich bin sehr froh, daß ich dein Flaggleutnant werden durfte, Onkel. Die vielen Monate an deiner Seite haben mich eine Menge gelehrt. Über dich, aber auch über mich selbst. «Wehmütig sah er sich in der Kajüte um.»Diese Freiheit werde ich schmerzlich vermissen.»

Bolitho war gerührt.»Mir geht es genauso. Man hat mich vor dir gewarnt. Zu nahestehend für einen Adjutanten, sagte Oliver Browne. Vielleicht hatte er in gewisser Beziehung sogar recht, aber wenn wir erst in Falmouth sind, wird.»

Beide blickten zum Oberlicht auf, weil draußen die Stimme des Ausguckpostens erklang:»An Deck! Segel in Südost!»

Bolitho starrte das Viereck blauen Himmels an und spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte, sein Mund trocken wurde. Er fühlte sich wie ein Jäger, der in einem Augenblick der Unachtsamkeit ertappt wurde.

Schnell trat er zum Tisch mit der Seekarte und studierte sie, folgte den sauberen Kursberechnungen, der zielstrebigen Kurslinie mit den Blicken bis zur Küste von Cornwall. Unwahrscheinlich, daß ein Handelsschiff jetzt, da gerade ein neuer Krieg ausgebrochen war, von England oder Frankreich nach Übersee auslaufen würde.

Es dauerte immer einige Zeit, ehe die neuen Spielregeln festgelegt und dann mißachtet wurden.

«Ich gehe an Deck.»

Draußen empfing ihn warmer Sonnenschein. Die See war bewegt mit weißen Kämmen, der Wind kam immer noch stetig aus Süd, so daß Achates mit vollgebraßten Rahen über Backbordbug segelte.

Die Männer standen in Gruppen herum oder starrten zum Krähennest hinauf.

Keen rief den Ausguck an:»Was für ein Schiff?«»Kriegsschiff, Sir!»

Ungeduldig gestikulierte der Kommandant.»Entern Sie mit Ihrem Glas auf, Mr. Mountsteven, der Mann da oben ist ein Narr!»

Da gewahrte er Bolitho und grüßte.»Entschuldigen Sie, Sir.»

Bolitho ließ den Blick über die noch leere See schweifen und spürte so etwas wie eine schlimme Vorahnung. Aber weshalb? Machte es einen solchen Unterschied, daß sie kurz vor der Heimat standen?

Keen informierte ihn:»Scheint aus Südost zu kommen und ist schon zu weit draußen für einen Zielhafen in der Biskaya.»

Mountsteven hatte seinen luftigen Platz neben dem Ausguckposten erreicht. Er rief hinunter an Deck:»Sieht aus wie 'ne verdammte Fregatte, Sir. Franzose, würde ich sagen.»

Bolitho zwang sich, ruhig an die Querreling zu treten, während rund um ihn Stimmengewirr erklang.

Also eine französische Fregatte weit draußen im Atlantik, wahrscheinlich mit Nordkurs auf den Ärmelkanal — oder auf Brest? Ihm fiel wieder der Briefumschlag des toten Leutnants ein, die Depesche aus Lorient für Martinique.

«An Deck! Zweites Segel folgt der Fregatte, Sir!»

Knocker, der lautlos neben das Ruder getreten war, murmelte:»Pech und Schwefel über sie! Ich wette, die bringen uns Ärger!»

Keen sagte:»Sie segeln auf konvergierendem Kurs zu uns, Sir. Und — bei Gott — sie haben die Luvposition.»

Bolitho wandte sich nicht um, sondern starrte weiterhin über die ganze Länge des Schiffs hinweg nach vorn. So nah — und doch so fern. Noch zwei Tage, vielleicht sogar weniger, und sie wären auf die Schiffe der englischen Kanalflotte gestoßen, die ihren eintönigen Blockadedienst versahen. Schließlich sagte er zu Keen:»Die Franzosen gehen ein Risiko ein, Val. «Und als er das Begreifen im Gesicht seines Flaggkapitäns sah:»Vielleicht hat die Neuigkeit sie noch nicht erreicht, und es geht ihnen, wie es uns gegangen wäre, hätten wir nicht La Prudente gefunden.»

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