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Bolitho ging in seinen Schlafraum und packte das Fußbrett seiner Koje, in der Allday beinahe gestorben wäre. Dann wartete er ab, bis das Deck sich wieder zu heben begann, und hievte sich voll angekleidet auf sein Lager.

Es war ihm verhaßt, so am Rande des Geschehens bleiben zu müssen, wenn das Schiff seinen Kampf mit dem naturgegebenen Feind austrug. Sich bei dieser Gelegenheit kaum wichtiger als ein Passagier zu fühlen, war ein Aspekt seines Admiralsranges, mit dem er sich nur schwer abfand.

Trotzdem blieb er angekleidet und ließ nur die Schuhe zu Boden poltern. Den Schatten, die in einem makabren Tanz über Schotten und Decke huschten, zog er eine Grimasse. Ob nun Passagier oder nicht, wenn das Schiff unterging, sollte die Besatzung ihren Admiral nicht in Unterhosen sehen.

Aber in dieser Nacht verausgabte der Sturm seine Kraft; gegen Morgen drehte der Wind, obwohl immer noch sehr stark, nach Süden, so daß Keen mehr Segel setzen lassen konnte und seine Männer sich an die Beseitigung der Sturmschäden machten. In den Zwischendecks wurde gepumpt, getrocknet und aufgeklart, und als zum Frühstück gepfiffen wurde, stieß der Kombüsenschornstein wieder seine üblichen, fettig schwarzen Rußwolken aus.

Bolitho saß am Tisch, trank dampfenden Kaffee und kaute auf dünnen Schweinefleischscheiben, die in Zwiebackkrümeln hellbraun geröstet waren. Auf See war das eines seiner Lieblingsgerichte, und niemand konnte es besser zubereiten als Ozzard.

Trotz des ungünstigen Wetters und ihrer dadurch bedingten Verzögerung sollten sie Kap Lizard, die Südwestspitze Englands, in vierzehn Tagen in Sicht bekommen.

Es überraschte ihn selbst, daß er sich bei diesem Gedanken so unsicher, so nervös fühlte. Voraus lag alles, wonach er sich gesehnt, was er sich erhofft hatte, und trotzdem war ihm zumute wie einem schüchternen Seekadetten.

Er erhob sich und trat vor den Spiegel, der über seinem Schreibpult hing. Schließlich war er um ein Jahr älter geworden. Die Strähne, die über sein rechtes Auge fiel und die tiefe Narbe verdeckte, war zwar noch rabenschwarz, aber trotzdem argwöhnte er, daß irgendwo graue Haare sein mußten. Er zuckte die Schultern. Immerhin war er der jüngste Vizeadmiral der britischen Marine — wenn man von Old Nel absah, natürlich.

Aber auch das war ihm kein Trost. Er hatte 46 Jahre auf dem Buckel und eine um zehn Jahre jüngere Frau. Angenommen.

Fast dankbar fuhr Bolitho herum, als Keens Eintreten ihn aus seinen Gedanken riß.

«Nehmen Sie sich Kaffee, Val, wenn. «Jetzt fiel ihm Keens grimmige Miene auf, und er fragte:»Probleme?»

Keen nickte.»Der Ausguck hat Wrackteile gesichtet, Sir, in Nordost«, berichtete er.»Wahrscheinlich ein Opfer des letzten Sturms.»

«Möglich. «Bolitho schlüpfte in seinen ausgeblichenen Dienstrock.»Doch nicht die Kurierbrigg, die vor uns ausgelaufen ist?»

«Nein, Sir. So weit könnte sie nicht getrieben sein. «Gespannt beobachtete Keen seinen Admiral.»Wenn wir über Stag gehen, um die Wrackteile zu untersuchen, verlieren wir wertvolle Zeit, Sir.»

Bolitho biß sich auf die Lippen. Er hatte schon einmal ein treibendes Boot gefunden, in dem nur noch ein Mann am Leben gewesen war, umgeben von lauter Leichen. Auch dachte er an den kleinen Evans in seinem Kutter, mit Verwundeten und Toten als Bordkameraden. Wie fühlte man sich als letzter Überlebender?

Er sagte:»Es gibt immer noch eine Hoffnung, Val. Ändern Sie Kurs und lassen Sie ein Boot aussetzen, wenn wir nahe genug sind.»

Eine Stunde später, als Achates unter verringerter Segelfläche unruhig hoch am Wind lag, pullte das große Seitenboot hastig auf die Stelle zu, wo ein Teppich dunkler Wrackteile im Wasser trieb.

Bolitho stand mit einem Teleskop auf dem Hüttendeck und studierte die kläglichen Überreste, auf die Achates' Bugspriet zeigte. Ein großes Schiff konnte es nicht gewesen sein, überlegte er. Wahrscheinlich hatte eine von achtern kommende Monstersee sein ungeschütztes Heck so unter Wassermassen begraben, daß es sich nicht mehr aufrichten konnte.

Keen ließ sein Glas sinken.»Dort ist ein Boot, Sir!»

Bolitho schwenkte sein Fernrohr in die angezeigte Richtung und starrte zu dem halb überspülten, mit Schlagseite im Wasser liegenden Ding hinüber, das einst eine Barkasse gewesen war.

«Mit Überlebenden«, rief Keen.»Zwei jedenfalls.»

Leutnant Scott, der Achates' Seitenboot befehligte, trieb seine Rudergänger bereits zu noch größerer Anstrengung an; auch er hatte die Schiffbrüchigen gesichtet.

Bolitho hörte Tyrrells Holzbein auf den Planken hinter sich und fragte:»Was halten Sie davon, Jethro?»

Tyrrell mußte keinen Augenblick überlegen.»Das ist ein Franzose. Oder war jedenfalls einer.»

Keen richtete sein Glas aus und sagte erregt:»Sie haben recht! Und außerdem war's kein Handelsschiff.»

Bolitho sah den Arzt Tuson mit seinen Gehilfen an der Eingangspforte warten, wo ein Flaschenzug aufgeriggt worden war, mit dem die Schiffbrüchigen an Bord gehievt werden sollten.»Wer spricht von uns am besten französisch?«fragte er.

Keen zögerte keinen Augenblick.»Mr. Mansel, der Zahlmeister. Er war vor dem Krieg Weinhändler.»

Bolitho mußte lächeln. Er hatte es anders im Gedächtnis, nämlich daß Mansel Schmuggler gewesen war.

«Gut, er soll sich bereithalten. Vielleicht erfahren wir, was hier passiert ist.»

Insgesamt retteten sie zehn Überlebende. Der wilde Seegang hatte sie so lange geschunden und herumgestoßen, daß sie — fast blind und halb bewußtlos — so weit von Land schon jede Hoffnung auf Rettung aufgegeben hatten. Ihr Schiff war die Brigg La Prudente gewesen, unterwegs von Lorient in Richtung Martinique. Eine See hatte ihren Kommandanten über Bord gerissen; der Erste hatte es zwar noch geschafft, ein Boot auszusetzen, war aber dann von einem herabstürzenden Wrackteil erschlagen worden. Der Tote lag noch im Boot, sein Gesicht leuchtete gespenstisch weiß aus dem Wasser, das schon fast bis zum Dollbord stand.

Der Bootsmann rief:»Soll ich es treiben lassen, Sir?»

Aber Leutnant Scott griff nach einem Bootshaken und zog den toten Leutnant heran.

Die Schiffbrüchigen mochten zu benommen und erschöpft gewesen sein, als daß sie ihren toten Offizier hätten über Bord werfen können. Bolitho sah zu, wie man sie nun zu einem Niedergang trug oder geleitete; sie schienen immer noch nicht zu begreifen, was mit ihnen geschah.

Keen meldete:»Mr. Scott hat etwas gefunden, Sir.»

Der tote Leutnant wurde gerade über das Schanzkleid gehievt, Wasser floß ihm aus Mund und Uniform, als er wie ein Gehenkter am Galgen pendelte, bis er auf das Seitendeck niedersank.

Scott kam nach achtern gelaufen und griff salutierend zum Hut.»Dies hier hatte er um seine Taille gebunden, Sir. Ich konnte es sehen, als das Boot rollte.»

Bolitho sah Keen an und kam sich vor wie ein Leichenfledderer. Arme und Beine gespreizt, lag der französische Leutnant auf dem Deck, das eine Augenlid halb geöffnet, als sei ihm das Licht zu hell.

Black Joe Langtry, der Schiffsprofos, breitete ein Stück Segeltuch über den Leichnam, zog ihm aber vorher noch eine Pistole aus dem Gürtel.

Keen sah die Adresse des Umschlags.»Wie vermutet: von Lorient nach Martinique«, sagte er.

Bolitho nickte. Er brauchte einige Zeit, bis er den dicken Leinenumschlag aufgerissen und die eindrucksvollen, scharlachroten Siegel erbrochen hatte. Dann reichte er den Inhalt an Mansel weiter.

Die Lippen des Zahlmeisters bewegten sich, während er die gewählten Wendungen der Depesche las, die an den kommandierenden Ad-miral der westindischen Flotte in Fort de France gerichtet war.

Kein Wunder, daß der Leutnant den Brief unter allen Umständen hatte retten wollen.

Unter den beobachtenden Blicken wurde es dem Zahlmeister unbehaglich; er blickte auf und sagte:»Soweit ich es verstehe, Sir, steht hier, daß sofort nach Empfang dieser Depesche die Feindseligkeiten gegen England und seine überseeischen Besitzungen wieder aufzunehmen sind.»

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