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Seit seiner Verwundung mußten jetzt sechs Monate vergangen sein und drei seit der Ankunft des Kurierschiffs mit den Anweisungen der Admiralität, die das Schicksal der Insel endgültig regelten.

Bolitho sagte:»Wenn wir England erreichen, wird es dort Frühling sein. Ein volles Jahr ist seit unserem Auslaufen vergangen.»

Dabei beobachtete er Alldays Gesicht, aber der zuckte nur mit den Schultern und antwortete:»Wahrscheinlich hat sich die ganze Aufregung bis dahin wieder gelegt, Sir.»

«Kann sein.»

Allday grübelte also immer noch, fürchtete das Land mehr als die Gefahren auf See. Einem alten Seemann ging es da nicht anders als seinem Schiff: sobald es unnütz festlag und nicht mehr gebraucht wurde, war es zum Verfall verurteilt.

Bootsmannspfeifen schrillten an Deck oben und Befehle wurden gebrüllt, während die Seitenwache an der Pforte aufzog.

Bolitho erhob sich und ließ sich von Ozzard seinen Paraderock bringen. Mit der Fregatte war auch der neue Gouverneur für San Felipe eingetroffen, ein schmächtiger Mann mit einem Vogelgesicht, der im Vergleich zu Rivers farblos wirkte.

Und er brachte die Anweisung mit, daß Rivers auf Achates nach England zurückgeschafft werden sollte. Pech für uns beide, dachte Bolitho.

Oder wie Keen bemerkt hatte:»Hölle und Teufel, warum ausgerechnet wir? Die Pest über diesen Mann!»

Ozzard klopfte an dem goldbetreßten Uniformrock herum und musterte die Goldepauletten mit sachkundigem Interesse. Dann griff er nach dem Prunksäbel an der Wand, ließ aber die Hände sinken, als Bolitho schnell den Kopf schüttelte.

Er wartete darauf, daß Allday die alte Familienwaffe von ihrem Platz nahm und ihm an den Gürtel schnallte, wie immer.

Bolitho hatte Belinda von Alldays Mut geschrieben und auch den Preis erwähnt, den er dafür hatte zahlen müssen. Sie würde besser als jeder andere wissen, was jetzt zu tun war. Mit einem schnellen Kurier mußten seine Briefe lange vor Achates in England sein.

«Danke. Ich gehe und begrüße unseren — an — Gast.»

Allday begleitete ihn an Deck, wo Bolitho Rivers an der Eingangspforte warten sah, flankiert von seiner Eskorte. Er trug Handschellen, und Leutnant Lemoine beeilte sich zu erklären:»Befehl des Obersten,

Sir.»

Bolitho nickte unbeeindruckt.»An Bord befindet sich Sir Humphrey in meinem Gewahrsam, Mr. Lemoine. Und ich wünsche nicht, ihn in Eisen zu sehen. «Die überraschte, fast erschreckte Dankbarkeit in Rivers' Blick blieb ihm nicht verborgen. Dann sah er seine Augen zum Vormasttopp schweifen, wo die Flagge in der frischen Brise auswehte. Da er selbst Vizeadmiral gewesen war, suchte er diesen Anblick wohl bis zuletzt auszukosten.

«Meinen Dank dafür, Bolitho.»

Bolitho sah Keen im Hintergrund die Stirn runzeln.»Das ist aber auch alles, obgleich das mindeste, was ich für Sie tun kann.»

Rivers blickte hinüber zur Stadt, an deren Uferstraße sich eine Menschenansammlung eingefunden hatte, um ihn abreisen zu sehen. Kein Jubel, aber auch keine Schmährufe. Typisch für die Insel, dachte Bo-litho, mit ihrer stürmischen Vergangenheit und Ungewissen Zukunft.

Aber was kümmerte es ihn? Warum sollte er den Mann bedauern, diesen Verräter und Piraten, dessen selbstsüchtige Gier so viele Menschenleben gefordert hatte? Rivers hatte zwei Söhne, die in London lebten und ihm schon einen tüchtigen Verteidiger für seinen Prozeß besorgen würden. Vielleicht konnte er sich sogar noch einmal herausreden. Die im Kriegsfall so wertvolle Wehrhaftigkeit der Insel ging schließlich zum großen Teil auf ihn zurück, auch wenn seine Motive dabei anderer Art gewesen waren.

Bolitho mußte sich eingestehen, daß die Hauptschuld bei den allmächtigen Herren in London lag, die es zugelassen hatten, daß Rivers seine Macht zum eigenen Vorteil immer weiter ausbaute.

Keen sah Rivers nach, der nach unten geführt wurde, und murrte:»Ich hätte ihn in die Arrestzelle gesteckt.»

Bolitho lächelte.»Wenn Sie jemals in Gefangenschaft geraten, Val, was hoffentlich niemals geschehen wird, dann werden Sie mich verstehen.»

Ungerührt grinste Keen.»Aber bis dahin, Sir, kann ich ihn nicht ausstehen.»

Fähnrich Ferrier trat heran, grüßte und meldete Keen:»Mr. Tyrrell ist an Bord gekommen, Sir.»

Bolitho wandte sich um. Tyrrell hatte sich seit dem Verlust seiner Vivid überwiegend an Land aufgehalten, wohl um — wie Bolitho vermutete — nicht darüber sprechen zu müssen. Oder hatte er, — unabhängig wie immer, sich einen Platz auf einem anderen Schiff gesucht?

Nun mußte er gehört haben, daß Achates bald auslaufen würde. Schließlich war das ein offenes Geheimnis auf der Insel. Wenn Achates erst den Ozean überquert hatte, würde es auf San Felipe einige neugeborene Kinder geben, hell- oder dunkelhäutige. Es stimmt Bo-litho froh, die Abschiedsrufe zu hören, die zwischen den Booten und dem Kai gewechselt wurden. Achates hatte über die Toppen geflaggt und war bis zum Rand voll frischer Früchte und Geschenke, überreicht von der Inselbevölkerung, die das Schiff einst so gehaßt und gefürchtet hatte.

Tyrrells wettergegerbter Kopf erschien auf der Leiter zum Achterdeck, und Bolitho ging ihm entgegen.

«Will mich nur schnell verabschieden, Dick. Von Ihnen und dem Junior. Wenn ich ihn das nächste Mal sehe, ist er bestimmt Kapitän.»

Wie Allday tat sich auch Tyrrell schwer; er würde im nächsten Augenblick auf seinem verhaßten Holzstumpf schleunigst das Weite suchen. Bolitho dachte über die rechten Worte nach, denn er wußte, daß Tyrrell jede wohlgesetzte Rede als Beweis für Mitleid, ja sogar Herablassung auffassen würde.

«Fahren Sie jetzt nach Hause zurück, Jethro?»

«Hab kein Zuhause, ist alles hin. Das wissen Sie doch, verdammt noch mal!«Aber er beherrschte sich sofort wieder.»Tut mir leid. Unser Wiedersehen hat mich ziemlich aus dem Gleis geworfen.»

«Mich auch.»

«Tatsächlich?«Mißtrauisch starrte Tyrrell ihn an, einer Lüge gewärtig.

«Ich habe mir überlegt…«Aus dem Augenwinkel sah er Knocker zum Ersten Offizier hasten, der sich seinerseits an den Kommandanten wandte. Bolitho wußte den Grund, auch er hatte den Wechsel der Windrichtung im Gesicht gespürt, schon als er mit Rivers sprach. Viel half das nicht, aber in dieser wetterwendischen Weltgegend mußte man aus allem das Beste machen. Doch er untersagte sich den Blick zur Windfahne im Masttopp, weil er sich nicht ablenken lassen wollte, sondern fuhr fort:»Wie wär's mit England?»

Tyrrell warf den Kopf zurück und lachte rauh.»Mann Gottes, was sagen Sie da? Was soll ich in England?»

Bolitho blickte an ihm vorbei zum Land hinüber.»Ihr Vater stammt aus Bristol, wie ich mich erinnere. Das ist nicht weit von Cornwall, von uns.»

Auch Tyrrell war die plötzliche Aktivität an Bord nicht entgangen, er interpretierte sie richtig: ein Schiff vor dem Auslaufen. Aber in die Heimat.

Verzweifelt antwortete er:»Ich bin ein Krüppel, Dick, wozu wäre ich schon nütze?»

«Westengland hat eine Menge Schiffe wie die Vivid.»

Bolitho sah Keen herankommen. Er konnte nicht länger warten.»Jedenfalls möchte ich, daß Sie mitfahren«, sagte er abschließend.

Tyrrell blickte sich um, als könne er seinen Augen und Ohren nicht mehr trauen.

«Aber Hand für Koje, darauf bestehe ich.»

Bolitho lächelte.»Dann ist das also abgemacht.»

Sie tauschten einen Händedruck, wobei Tyrrell versprach:»Bei Gott, Sir, das sollen Sie niemals zu bereuen haben!»

Bolitho wandte sich an seinen Flaggkapitän.»Bringen Sie das Schiff in Fahrt, Val, wenn Sie soweit sind.»

Keen drehte sich um und rief:»Alle Boote einsetzen! Beide Wachen an Deck, Mr. Quantock!»

Ein letztes Mal blickte er hinüber zu Bolitho und dem Einbeinigen, die an der Querreling standen, und schüttelte den Kopf.

Die Toppsgasten enterten behende auf und legten auf den Rahen aus, das Ankerspill wurde bemannt, und bald zeigte Achates dem Land das Heck und glitt langsam seewärts, auf ihren Anker zu.

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