Und obwohl er das alles ganz klar vor sich sah, merkte Studdart zu seiner Überraschung, daß er Bolitho beneidete;
An Bord des Ostindienfahrers Duchess of Cornwall herrschte systematisches Chaos, so daß die Begrüßungszeremonie für den Besucher, Konteradmiral oder nicht, eher nachlässig vonstatten ging.
Einen grollenden Allday in der Barkasse zurücklassend und dicht gefolgt von Browne, ging Bolitho mit seinem Führer, einem offenbar überforderten Leutnant, nach achtern.
Die Duchess war ein feines Schiff, das mußte der Neid ihr lassen. Wen wunderte es, wenn Matrosen die gute Heuer und die Bequemlichkeit der Indienfahrt dem Hundeleben auf einem Kriegsschiff vorzogen?
Längsseits lagen Leichter, zu denen schwingende Flaschenzüge hinabführten, über die mit der Akkuratesse langer Übung Fracht an Bord gehievt wurde; die Kisten und Netzballen verschwanden anschließend durch die Ladeluken unter Deck: Vorräte für die nächste Etappe.
Besonders befremdlich waren für Bolitho die vielen vergnügt schwatzenden Passagiere, die sich überall drängten, entweder frisch an Bord gekommen oder in Erwartung des Fährboots, das sie zur Garnison an Land bringen sollte. Die meisten waren Angehörige der Offiziere und Beamten jener unsichtbaren Armee, die Gibraltar besetzt hielt, ohne daß man in der Heimat sonderlich Notiz von ihr nahm. Dazu sicherlich die doppelte Anzahl an Händlern und Küpern, Segelmachern und Takelmeistern, Agenten und Glücksrittern, dachte Bolitho.
«Dort steht der Kapitän, Sir«, sagte der Leutnant.
Aber Bolitho hörte ihn kaum. Denn drüben an der Reling stand sie und hielt mit einer Hand den Hut so, daß ihr die Sonne nicht in die Augen stach. Das Hutband leuchtete hellblau wie ihr Kleid, und als sie über eine Bemerkung des Kapitäns auflachte, glaubte Bo-litho, sein Herz müsse vor Freude einen Schlag aussetzen.
Sie schien seinen Blick zu spüren und wandte sich um. Ihre braunen Augen ließen seine nicht mehr los, während er auf sie zuschritt. Der Kapitän des Indienfahrers war untersetzt und wirkte zuverlässig. Bolitho erinnerte er ein bißchen an seinen Freund Herrick.»Willkommen an Bord, Sir«, begrüßte er Bolitho.»Ich habe Mrs. Laidlaw gerade versichert, daß ich gern jeden Penny opfern würde, den mir diese Indienfahrt einbringt, wenn ich sie dafür an Bord behalten dürfte.»
Der Kapitän lachte herzhaft, und sie stimmte mit ein, aber in ihren Augen konnte Bolitho lesen, wie unwichtig ihr das alles war und daß nur er für sie zählte.
Er küßte ihr die Hand. Als er ihre Haut berührte und ihren frischen Duft roch, wäre es um seine Beherrschung fast geschehen gewesen. Vielleicht hätte er sich vor allen Leuten zum Narren gemacht, wenn.
Leise sagte sie:»Um dieses Wiedersehen habe ich mit aller Kraft gebetet, mein Liebster. «Ihre Lippen zitterten, doch mit einem Anflug von Trotz warf sie das Haar in den Nacken.»Trotzdem habe ich keinen Augenblick daran gezweifelt, daß du zurückkommen wirst.»
Mit einer gemurmelten Entschuldigung, die sie beide gar nicht wahrnahmen, zog sich der Kapitän des Indienfahrers zurück und wandte sich seinen anderen Passagieren zu.
Belindas Blick fiel auf Browne.»Ich freue mich, Sie in Sicherheit zu wissen, Leutnant«, sagte sie lächelnd.»Und in Freiheit.»
Dann nahm sie Bolithos Arm und führte ihn beiseite, alle anderen aus ihrem Zwiegespräch ausschließend.
«Thomas Herrick hat mir eine Nachricht an Bord gesandt, Richard«, erzählte sie.»Von ihm weiß ich, jedenfalls ungefähr, was du erdulden mußtest. Und daß du deinen Freund Neale verloren hast. Du mußt deinen Kummer vor mir nicht verbergen, Liebster. Wirklich nicht.»
«Ich wollte ihn unbedingt durchbringen«, sagte Bolitho.»Aber vielleicht war dieser Wunsch nur deshalb so stark, weil ich mich verantwortlich fühlte für das, was Neale zugestoßen war. Ich dachte, ich hätte dazugelernt; aber vielleicht geht mir immer noch alles zu sehr unter die Haut. Jetzt werde ich mich wohl nicht mehr ändern, genausowenig wie ich bedenkenlos Menschenleben opfern kann, bloß weil mein Auftrag dies verlangt. «Er wandte sich ihr zu und blickte so aufmerksam in ihr Gesicht, als wolle er es sich für immer einprägen.»An meiner Liebe zu dir ändert sich auch nichts. Die wird immer gleichbleiben. Allerdings hatte ich befürchtet.»
Sie hob die Hand und legte sie auf seine Lippen.»Nicht doch. Ich fuhr mit nach Gibraltar, weil ich wenigstens den Versuch machen wollte, dir zu helfen. Es muß Schicksal gewesen sein, daß wir uns unterwegs begegneten. «Wieder schüttelte sie ihr Haar in den Nacken.»Jetzt bin ich glücklich. Und ich werde auch dich wieder froh machen.»
Bolitho strich über ihr Haar und erinnerte sich daran, wie es in der umgestürzten Kutsche ihr Gesicht verborgen hatte. Auch damals hatte das Schicksal sie zusammengeführt. Also gab es eine höhere Macht und damit auch eine Hoffnung für sie alle.
Ein Steuermann drückte sich hinter ihnen herum und griff immer wieder nervös an seinen Hut. Er mied Bolithos Blick, woraus dieser schloß, daß der Mann von der Kriegsmarine desertiert war, um bei der Ostindischen Handelskompanie bequem unterzuschlüpfen.
«Mit Verlaub, Madam, aber das Boot wartet. Ihre Zofe und Ihr Gepäck sind schon an Bord.»
«Ja, danke. «Noch einmal drückte sie Bolithos Arm, bis ihm ihre Nägel durch den Stoff in die Haut drangen, und flüsterte:»Sei mir nicht böse, mein Liebster, aber wenn ich jetzt nicht gehe, breche ich in Tränen aus. Die Freude ist fast zuviel für mich. «Lächelnd strich sie sich eine Haarsträhne aus den Augen.»Und ich muß mich noch vom Kapitän verabschieden, er war äußerst aufmerksam zu mir. Dein Erscheinen auf der Benbow hat ihn wohl ziemlich eingeschüchtert, fürchte ich.»
Bolitho lächelte.»Ich hätte nie gedacht, daß ich einen Gemüseschiffer wie ihn noch einmal beneiden würde. Aber seit er dich unter seinen Passagieren hatte.»
Fasziniert beobachtete Browne, wie sich die scharfen Linien um Bolithos Augen und Mund milderten. Das mußte Belinda zu verdanken sein, auch wenn sie erst wenige Minuten beisammen waren. Eines Tages würde auch er eine Frau wie Belinda Laidlaw finden, sagte er sich. Dann brauchte er nicht mehr nur von ihr zu träumen.
Dabei kam ihm ein Einfall. Als Bolitho schließlich zur Schanzkleidpforte ging, blickte er auf das größte Boot der Benbow hinab, in dem Belindas Zofe neben einem Berg Gepäck saß und Allday strahlend zu ihm aufschaute.
Verlegen erläuterte Browne:»Na ja, Sir, ich dachte — die Lady des Admirals sollte auch in der Barkasse des Admirals an Land gehen.»
Bolitho sah seinen Adjutanten lange an und legte ihm schließlich dankbar die Hand auf den Arm.»Das war ein guter Einfall, Oliver. Ich werde es Ihnen nicht vergessen.»
Browne errötete.»Da kommt sie schon, Sir.»
Belinda trat zu ihnen an die Pforte und starrte eine ganze Weile auf die grüngestrichene Admiralsbarkasse hinunter. Dann sah sie mit verschleiertem Blick zu Bolitho auf.»Wartet dieses Boot auf mich, Richard?»
Er nickte.»Wenn ich könnte, würde ich dir die ganze Welt zu Füßen legen.»
Mit viel Umsicht half man ihr ins Boot, während die Matrosen mit den geteerten Hüten und karierten Hemden um das Rundholz ihrer senkrecht gestellten Riemen schielten, als sei ein Wesen aus einer anderen Welt zu ihnen herabgestiegen.
Allday reichte Belinda die Hand und führte sie zu einem Kissen auf der Heckducht. Sie ergriff seine mit beiden Händen und sagte leise:»Es macht mich froh, Sie gesund wiederzusehen, John All-day.»
Allday mußte schlucken und wandte den Blick ab. Sie war zu ihnen gekommen; sie erinnerte sich sogar noch an seinen vollen Namen. Da fiel ihm die Zofe ein, und er zwinkerte ihr zu.
«Absetzen vorn!»
Allday dachte an die gut geschulte Mannschaft des stattlichen Indienfahrers, die ihm oben an der Reling zusah, und dann an seine eigene Bootscrew, die aus Englands Kerkern und Gossen stammte und vom Seekrieg gestählt worden war. Er kam zu dem Schluß, daß er keinen einzigen seiner Männer gegen einen dieser Handelsmatrosen eingetauscht hätte.