Dabei fielen ihm die beiden Soldaten ein, die unter Alldays Entermesser gestorben waren. Sie mußten ausdrücklichen Befehl gehabt haben, die Gefangenen zu exekutieren, wenn die Ceres erobert wurde. Es war wirklich um Sekunden gegangen.
Aber die Ankunft der Franzosen hatte Ganymede zum Rückzug gezwungen. Ceres konnte weder abgeschleppt noch vernichtet werden, und bald mußte das französische Oberkommando davon unterrichtet sein, daß die Gefangenen entkommen waren und das Geheimnis der sprechenden Türme gelüftet war.
Leutnant Wolfe betrat die Kajüte und wandte taktvoll den Blick ab, als der Schiffsarzt Bolitho die zerrissenen Kleider abstreifte; der lehnte sich derweil bequem zurück und schlürfte seine fünfte Tasse heißen Kaffees.
Wolfe meldete:»Sir, der Konvoi ist gesichtet. Im Südosten. Alle Schiffe vollzählig und intakt.»
Herrick lächelte.»Danke. Ich komme gleich an Deck.»
Sobald die Tür sich hinter Wolfe geschlossen hatte, sagte Bo-litho:»Sie haben allerhand riskiert, Thomas. Wenn der Konvoi in Gefahr geraten wäre, hätte es Sie den Kopf kosten können.»
Herrick grinste reuig.»Ich war mir aber so gut wie sicher, daß wir auf etwas stoßen würden, wenn wir Ganymede nur halfen, das Gefecht zu gewinnen. «Mit einem warmherzigen Blick zu Bolitho schloß er:»Freilich hätte ich mir nie träumen lassen.»
«Ich auch nicht.»
Ozzard trat mit frischen Kleidern und Bolithos zweitem Galarock ein, dicht gefolgt von Allday.
Müde sagte Bolitho:»Hol mir lieber den alten Uniformrock, Ozzard. Mir ist nicht nach Feiern zumute.»
Allday starrte Herrick ungläubig an.»Sie haben es ihm noch nicht erzählt, Sir?»
«Was erzählt?«Bolitho sehnte sich danach, endlich allein zu sein, um nachdenken zu können, sich über seine nächsten Schritte klarzuwerden.
Herrick griff sich an den Kopf.»O Gott, ich Tölpel! Vor lauter Aufregung habe ich das ganz vergessen.»
Endlich begann er zu erzählen, und Bolitho hörte zu, ohne ihn auch nur einmal zu unterbrechen, als fürchte er, Herricks wundersame Neuigkeiten könnten sich in Nichts auflösen, sobald er eine Frage stellte.
Erst als Herrick schließlich schwieg, vergewisserte er sich:»Und sie ist wirklich auf der Duchess of Cornwall, Thomas? Sie segelt mit uns, in unserem Konvoi?»
«Aye, Sir«, stammelte Herrick.»Sie müssen wissen, ich machte mir solche Sorgen.»
Bolitho stand auf und ergriff Herricks beide Hände.»Gott segne Sie dafür, mein Freund. Heute morgen fürchtete ich, am Ende zu sein, aber jetzt. «Immer noch ungläubig, wiegte er den Kopf.»Sie haben mich mit dieser Nachricht wieder aufgerichtet.»
Bolitho wandte sich zu den Heckfenstern, als könne er die anderen Schiffe erspähen. Also hatte sich Belinda nach Gibraltar eingeschifft. Gefahr und Unbequemlichkeit hatten sie nicht abschrecken können, ebensowenig hatte sie sich von der Nachricht seines wahrscheinlichen Todes entmutigen lassen. Und jetzt segelte sie hier mit ihnen durch die Biskaya.
Herrick schritt zur Tür, zwischen Erleichterung und Sorge schwankend.»Ich lasse Sie jetzt in Ruhe. Es dauert noch eine Weile, ehe wir der Duchess signalisieren können. «Er zögerte.»Und was Kapitän Neale betrifft…»
«Wir bestatten ihn im Morgengrauen. Seine Familie und seine Freunde daheim werden ihn so in Erinnerung behalten, wie er war. Aber ich glaube, es wäre sein Wunsch gewesen, hier unter seinen Männern bestattet zu werden.»
Lautlos schloß sich die Tür, und Bolitho konnte sich endlich entspannt zurücklehnen und sich von der Sonne wärmen lassen.
Er dachte an Neale, der von Anfang an gewußt hatte, daß er würde sterben müssen. Nur sein eiserner Wille hatte ihn noch so lange am Leben gehalten, bis er in Freiheit und Frieden die Augen schließen konnte.
John Neale war tot. Aber Bolitho schwor sich, daß sein Tod nicht ungerächt bleiben sollte.
Fast ohne ihr schwarz-gelbes Spiegelbild mit einem Wellenkräuseln zu verzerren, glitt Benbow langsam an verankerten Schiffen vorbei auf die Reede von Gibraltar. Die riesige natürliche Felsenfestung überragte sie alle und ließ sie klein wie Spielzeug erscheinen.
Morgendunst verhüllte teilweise den Felsen und die Küstenlandschaft rundum und versprach einen sehr heißen Tag.
Bolitho stand auf dem Achterdeck etwas abseits von den anderen Offizieren, um Herrick in Ruhe sein Ankermanöver fahren zu lassen. Benbow hatte nur noch Bramsegel und Klüver stehen und setzte sich jetzt leicht vom Konvoi ab, dessen größtes Schiff bereits Signalkontakt mit dem Land aufnahm.
Die Reise nach Gibraltar hatte neun Tage gedauert und war nach
Grubbs Worten glatt und schnell verlaufen. Aber für Bolitho war es die längste Etappe seines Lebens gewesen; nicht einmal der tägliche Anblick von Belinda auf der hohen Poop des Indienfahrers konnte seine Ungeduld und sein Verlangen zügeln.
Vom ersten Tag an, gleich nachdem Herrick das Signal für die Duchess of Cornwall absetzen ließ, hatten sie sich beide ohne besondere Absprache zur gleichen Zeit an Deck eingefunden. Es war, als spüre sie seine Anwesenheit, als müsse sie ihn leibhaftig sehen, sei es auch über eine ganze Strecke Wasser hinweg, um sich zu vergewissern, daß es nicht nur ein Traum war, sondern eine Laune des Schicksals, was sie wieder vereint hatte.
Bolitho blickte durchs Teleskop zu ihr hinüber, ohne sich der umstehenden Offiziere oder anderen Wachgänger auch nur bewußt zu sein. Und stets winkte sie ihm zu, das lange Haar von einem Strohhut gebändigt, den eine breite Schleife festhielt. Jetzt, da die Wartezeit fast vorbei war, spürte Bolitho eine seltsame Nervosität. Aber Herricks Befehl riß ihn aus seinen Gedanken.»Klar zum Ankern!»
Mit langen Schritten eilte Wolfe aus dem Schatten des Besan-mastes.»Bemannt die Brassen! An die Bramsegelschoten!»
Bolitho beschattete seine Augen und sah zu einem verankerten Kriegsschiff hinüber. Der Signalfähnrich hatte es bereits als die Dorsetshire identifiziert: das mit achtzig Kanonen bestückte Flaggschiff von Vizeadmiral Sir John Studdart. Die Admiralsflagge hing leblos von ihrem Fockmast herab, und Bolitho fragte sich, was der Wachoffizier drüben wohl davon halten mochte, daß an Benbows Besan statt Herricks Kommodorewimpel seine eigene Admiralsflagge wehte.
«Gei auf Bramsegel!«kam das nächste Kommando.
«Alles klar, Sir«, meldete Grubb.
Dann:»Leeruder!«[15]
Müde, aber würdevoll drehte die Benbow langsam in den Wind und verlor auch das restliche bißchen Fahrt, als die letzten noch stehenden Segel schlaff und leer zu killen begannen, bis sie endlich von den Toppsgasten an den Rahen aufgetucht wurden.
«Laß fallen Anker!»
Gischt spritzte am Bug auf, als der große Anker ins klare Wasser klatschte; Seeleute trabten zum Ladebaum, um die Barkasse so schnell wie möglich auszuschwingen. Denn alle wußten: Schon seit ihrer ersten Annäherung, seit sie mit fünfzehn dröhnenden Salutschüssen die Admiralsflagge gegrüßt hatten, waren überall Ferngläser auf die Benbow gerichtet, durch die jedes ihrer Manöver kritisch beobachtet wurde.
«Bootsbesatzung — antreten!«Das war Allday, dessen Gesicht keinerlei Spuren der Gefangenschaft mehr trug.
Herrick trat zu Bolitho an die Webeleinen und berührte grüßend seinen Hut.»Setzen Sie sofort zum Flaggschiff über, Sir?«»Aye, Thomas, bringen wir es hinter uns. Sonst findet noch jemand bei Sir John Gehör, der uns nicht wohlgesonnen ist. «Bolithos Blick glitt zu dem großen Indienfahrer hinüber.»Und ich habe noch viel zu tun.»
Herrick entging der Blick nicht, wie ihm auch Bolithos tägliche Versuche nicht entgangen waren, auf dem anderen Schiff die schlanke Gestalt mit dem schattenspendenden Strohhut zu erspähen.
«Barkasse ist längsseit, Sir. «Wolfe trat herzu und musterte die beiden Freunde neugierig.
An der Schanzkleidpforte warteten schon Major Clintons Seesoldaten, während die Bootsmannsmaaten ihre silbernen Trillerpfeifen an die Lippen setzten.