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Stöhnend öffnete Bolitho die Augen. Alles tat ihm weh, er fühlte sich am ganzen Körper wie zerschlagen. Dann begriff er, daß er auf Neales Stuhl eingeschlafen war.

Doch wurde er sofort hellwach, als er sah, daß Allday sich über ihn beugte.

«Was gibt's?»

Vorsichtig stellte Allday einen Topf Kaffee auf den Tisch.»Der Wind frischt auf, Sir, und in einer halben Stunde wird es hell. «Er trat einen Schritt zurück, den Kopf unter den niedrigen Decksbalken etwas eingezogen, und musterte Bolitho kritisch.»Dachte, Sie wollten vielleicht rasiert werden, ehe es tagt.»

Bolitho streckte die Beine aus und schlürfte Kaffee. Allday dachte wirklich an alles.

Während das Deck unter seinen Füßen im Seegang arbeitete, schien es ihm fast unglaublich, daß sie erst vor wenigen Stunden mit der Brigg Rapid Kontakt aufgenommen hatten, die kurz danach wieder eilig davongesegelt war, um Verbindung mit Phalarope herzustellen.

Der Rest war dann viel einfacher gewesen als erwartet. Beide Fregatten waren wieder über Stag gegangen und hatten SüdostKurs gesteuert, wobei sie den Wind voll ausnutzen konnten, während Rapid sich auf die Suche nach Duncans Sparrowhawk machte.

Besonders eindrucksvoll war seine Streitmacht nicht, mußte Bo-litho sich eingestehen, aber was ihr an Stärke fehlte, machte sie durch Beweglichkeit und Feuerkraft wieder wett. Auf Styx hatte er sie gerade erlebt, diese an Wahnsinn grenzende Wildheit, mit der die Leute auf das Donnern der Kanonen reagierten. Wenn sie die Landungsflotte noch einmal aufspüren und versprengen konnten, dann mußte sich Panik ausbreiten wie ein Steppenbrand.

Danach konnte er der Admiralität berichten, daß Beauchamps Auftrag ausgeführt war.

Es klopfte, und herein trat Neale, das runde Gesicht von Wind und Gischt gerötet.

«Phalarope kommt achteraus allmählich in Sicht, Sir. Der Himmel wird schon hell, aber der Wind hat auf Nord zu West gedreht. Ich habe die Leute bereits frühstücken geschickt, denn mir schwant, daß uns heute allerhand bevorsteht. Falls die Franzosen ausgelaufen sind, meine ich.»

Bolitho nickte.»Und falls nicht, gehen wir genauso vor wie gestern, nur haben wir diesmal Phalaropes Karronaden zur Unterstützung. «Er spürte, daß Allday bei der Nennung dieses Namens mitten in der Bewegung erstarrte, das Rasiermesser einen Moment innehielt. Neale lauschte auf laute Stimmen oben an Deck und entschuldigte sich mit dringenden Aufgaben; Alldays Bestürzung war ihm entgangen.

Bolitho lehnte sich im Stuhl zurück und sagte leise:»Auf See gibt es keinen Spuk, Allday. Wir werden heute diese Landungsboote vernichten, was auch kommt. Und danach…»

Allday fuhr schweigend mit dem Rasieren fort.

Trotzdem, seltsam war es schon, daß Phalarope irgendwo achteraus im Dämmerlicht segelte, wo sie bisher nur von dem scharfäugigen Ausguck im Masttopp gesehen werden konnte. Was erregte ihn mehr, die Aussicht auf Vernichtung der Invasionsflotte oder die Möglichkeit, dieses ganz besondere Schiff wieder unter seinem Kommando zu haben? Er seufzte und dachte statt dessen an

Belinda. Was mochte sie wohl gerade tun? Lag sie im Bett und lauschte auf das verschlafene Zwitschern der ersten Vögel? Dachte sie an ihn und ihre gemeinsame Zukunft? Ihr verstorbener Mann hatte den Kriegsdienst gehaßt und seinen Abschied eingereicht, um statt dessen für die Ostindische Handelskompanie zu fahren. Würde ihr das Leben an der Seite eines Marineoffiziers genauso verhaßt werden? Er konnte von heute auf morgen auf die andere Seite der Welt abkommandiert werden.

Abermals klopfte es, und Bolitho war fast dankbar für die Unterbrechung. Browne trat ein, wieder völlig gesund und so untadelig gekleidet, als trete er vor das House of Lords.

«Ist es soweit?»

Browne nickte.»Der Morgen dämmert, Sir.»

Bolitho sah Allday resigniert die Schultern zucken. Solche Mutlosigkeit war seinem Bootsführer sonst fremd.

Beim Aufstehen spürte Bolitho stärker die abrupten Schiffsbewegungen. Der Wind hatte also noch weiter gedreht. Sie mußten höllisch auf der Hut sein, wenn sie bei dieser Windrichtung nicht an einer Leeküste stranden wollten. Er lächelte grimmig. Aber das galt auch für die Franzosen.

Er schlüpfte in seinen Rock.»Fertig. «Und zu Allday:»Ein Morgen wie jeder andere.»

Allday riß sich zusammen.»Aye, Sir. Und ich hoffe, wenn es das nächstemal tagt, haben wir Frankreich das Heck zugekehrt.

Ich hasse diesen verfluchten Golf, der uns schon so viel Unglück gebracht hat.»

Bolitho ließ es dabei bewenden. Wenn Allday eine seiner seltenen Anwandlungen von Trübsinn hatte, ließ man ihn am besten in Ruhe. Heute standen andere Dinge auf dem Spiel.

Nach der stickigen Wärme in der Kajüte war es auf dem Achterdeck eiskalt. Bolitho erwiderte Neales Gruß und nickte den anderen Wachoffizieren zu. Das Schiff war schon gefechtsklar oder würde es doch sein, sobald erst die letzte Wand zwischen der Kommandantenkajüte und dem Batteriedeck abgeschlagen war.

Aber noch räkelten sich die Geschützmannschaften unter den Seitendecks herum; die schlagenden Segel und das dunkle Rigg verbargen noch die Scharfschützen oben in den Marsen.

Bolitho trat nach achtern ans Heckgeländer, vorbei an den Seesoldaten, die ihre Musketen an die prall gestopften Hängemattsnetze gelehnt hatten, während sie sich selbst daneben ausstreckten. Im fahlen Licht der Morgendämmerung leuchteten ihre weißen Brustriemen gespenstisch, während die roten Uniformröcke jetzt schwarz wirkten.

Dann erblickte er zum erstenmal die alte Fregatte in Styx' Kielwasser und erstarrte.

Bramrahen und Stander fingen schon einen ersten Lichtschimmer ein, während die unteren Segel und der Rumpf selbst noch völlig im Dunkeln lagen: wirklich ein gespenstischer Anblick.

Er schüttelte sich und dachte statt dessen an den Rest seines Geschwaders. Rapid mochte Duncan inzwischen aufgespürt haben. Andere Schiffe konnten zu ihrer Unterstützung eintreffen, wie Beauchamp das ursprünglich verfügt hatte. Aber wie Browne hegte auch er einige Zweifel daran.

Neale trat an die Reling neben ihn, und gemeinsam sahen sie zu, wie das Licht von Land her auf sie zukroch: eine feurige Morgenröte. Bolitho mußte lächeln, weil ihm einfiel, was seine Mutter immer gesagt hatte:»Morgenrot — Schlechtwetterbot'. «Ihn fröstelte plötzlich, und er drehte sich nach Allday um. Aber dann ärgerte er sich selbst über seinen Aberglauben.

«Nehmen Sie so bald wie möglich Kontakt mit Phalarope auf«, wies er Browne an.»Signalisieren Sie, daß sie in Luv bleiben soll.»

Browne eilte zu seinen Signalflaggen, und Bolitho fuhr, an Neale gewandt, fort:»Wenn Phalarope bestätigt hat, gehen wir dichter unter Land.»

Neale hatte Bedenken.»Dann wird man uns sofort entdecken,

Sir.»

Bolitho hob die Schultern.»Bis dahin ist es ohnehin zu spät. «Plötzlich vermißte er Herrick. Standhaft wie ein Fels in der

Brandung, aber jederzeit bereit, auf seine dickköpfige Art zu widersprechen. Neale würde seinem Admiral blindlings und ohne Zögern in die Hölle folgen, ganz im Gegensatz zu Herrick. Aber wenn der Plan einen Fehler enthielt, konnte man sicher sein, daß Herrick ihn fand.

Bolitho blickte zum Stander im Masttopp auf: steif wie ein Brett. Der Wind legte immer noch zu.

Gedankenverloren spielten seine Finger mit dem Griff seines alten Säbels, während er sich sagte, daß er Neale und Allday gegenüber unfair war. Und auch gegenüber Herrick.

Da oben im Besantopp wehte seine Flagge, und die Verantwortung lag bei ihm, bei niemandem sonst.

Überraschenderweise fühlte er sich danach ruhiger. Als er seinen gewohnten Fußmarsch begann, immer hin und her auf der Luvseite des Achterdecks, verriet nichts mehr an seinem Benehmen, daß er eben noch gefürchtet hatte, das Vertrauen in sich selbst zu verlieren.

Der Erste Offizier ging quer übers Deck zum Kompaß und las ihn ab, ehe er aufblickte und den Stand jedes einzelnen Segels überprüfte.

20
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