Kanonenschuß gehört. Pascoe, der jüngste Leutnant an Bord, hat mehr Gefechtserfahrung als alle anderen zusammen. «Herrick sprach jetzt rasch, die Worte flossen unaufhaltsam.»Ich habe ausgezeichnete Deckoffiziere, zum Teil die besten, mit denen ich je gesegelt bin. Aber Sie wissen selbst, wie das ist, Sir: die Befehle müssen vom Achterdeck kommen.»
Bolitho durfte sich nichts anmerken lassen. Wie gern hätte er Herrick beiseite genommen, mit in seine Kajüte, aus dem Bannkreis der neugierigen Augen, ihm gesagt, wie gut er ihn verstand. Aber dann wäre alles genauso geworden wie früher: Bolitho hätte sich wieder mit dem Schiffsalltag und den gedrängt vollen unteren Decks befaßt, und Herrick hätte nur darauf gewartet, seine Gedanken in Handlungen umzusetzen: ganz der ausgezeichnete Untergebene, der er immer gewesen war.
«Ja«, sagte Bolitho endlich,»so soll es auch sein. Das Schiff verläßt sich auf seinen Kommandanten. Und ich auch.»
Herrick seufzte.»Ich mußte das einmal ansprechen.»
«Ich habe Ihre Ernennung zu meinem Flaggkapitän nicht aus alter Freundschaft befürwortet, sondern weil ich glaubte, daß Sie der richtige Mann sind. «Bolitho sah, daß seine Worte Herrick wie ein Schlag ins Gesicht trafen, und fuhr fort:»Und dieser Meinung bin ich immer noch.»
Aus dem Augenwinkel sah er die massige Gestalt des Masters die beflissenen Midshipmen mit ihren Sextanten für das tägliche Ritual der Standortbestimmung um sich versammeln. An der Reling stand Leutnant Fitz-Clarence, Offizier der Wache, und tat ziemlich überzeugend so, als beobachte er aufmerksam die im Großmast arbe i-tenden Matrosen; doch verrieten seine angespannten Schultern, daß er versuchte, der Unterhaltung seiner Vorgesetzten zu lauschen.
«Also wollen wir nicht mehr so düster in die Zukunft sehen, ja? Wenn wir erst Feindberührung bekommen, haben wir Sorgen genug. Daran hat sich bestimmt nichts geändert.»
Herrick trat einen Schritt zurück.»Aye, Sir. «Sein Gesicht war grimmig.»Tut mir leid, wenn ich Sie enttäuschte. «Er sah Bolitho nach, der sich zur Kampanjeleiter gewandt hatte, und schloß:»Es wird nicht wieder vorkommen.»
Bolitho schritt zur Heckreling und packte verzweifelt das vergoldete Schnitzwerk. Er konnte versuchen, was er wollte, sie fanden nicht mehr zueinander; die Kluft zwischen ihnen war nicht zu überbrücken.
«An Deck!«hallte der heisere Ruf des Ausgucks, und Bolitho fuhr herum.»Die Harebell signalisiert!»
Bolitho wartete ungeduldig, bis Mr. Fitz-Clarence, Zweiter Offizier der Lysander, aus tiefem Sinnen erwachte und rief:»Mr. Faulkner! In die Wanten mit Ihrem Teleskop! Ich will wissen, was sie meldet, und zwar gleich!»
Der Midshipman der Wache, der eben noch bei den Netzen gedöst hatte, froh darüber, daß er sich Mr. Grubbs tiefschürfende Ausführungen über Navigation nicht mitanhören mußte, rannte zu den Leewanten und enterte rasch zum Großmast auf.
Fitz-Clarence sah ihm nach, Hände in die Hüften gestemmt, als erwarte er jeden Moment, daß der Junge abrutschte und fiel. Anscheinend hatte er eine Vorliebe für eindrucksvolle Posen. Er war ein eifriger, schneidiger Offizier, und was ihm an Körpergröße fehlte, pflegte er durch ständige Betonung seiner Autorität zu ersetzen.
Herrick stand dicht neben ihm, die Hände auf dem Rücken. Bo-litho bemerkte, daß er sie nicht stillhalten konnte, was seine äußerliche Ruhe Lügen strafte.
Endlich kam die schrille Knabenstimme von oben: «Harebell an Flagschiff, Sir: Buzzard im Nordosten gesichtet!»
Bolitho stieß die Hände in die Taschen und griff nach seiner Uhr, um seine plötzliche Erregung zu beherrschen. Kapitän Javal war also auf Gegenkurs gegangen und kam zum Geschwader zurück. Folglich hatte er entweder feindliche Kräfte gesichtet, die für ihn zu stark waren; oder er wollte seinem Kommodore melden, daß der Gegner bereits hinter ihm hersegelte.
Bolitho sah Herrick zur Leiter eilen, und im nächsten Moment stand er neben ihm an der Reling.
«Signal an Geschwader«, sagte Bolitho.»>Zum Flaggschiff auf-schließen!< Und wir kürzen Segel, damit sie es leichter haben.»
Herrick starrte mit seinen klaren blauen Augen nach achtern über die glitzernde See.»Die Osiris kommt bereits auf. Kapitän Farquhar muß Augen haben wie ein Luchs. «Das klang so bitter, daß
Bolitho ihn überrascht und wortlos von der Seite ansah. Er wußte, was Herrick dachte, so genau, als hätte er es herausgeschrien: Wäre Farquhar Bolithos Flaggkapitän gewesen, so hätte es keine Verzögerung gegeben. Ihm hätte der Kommodore nicht erst sagen müssen, was sich von selbst verstand.
Herrick faßte an den Hut und ging wieder zur Leiter. Doch Gil-christ war bereits auf dem Achterdeck, Sprechtrompete in der Hand, und blaffte:»Bootsmannsmaat! Pfeifen Sie >Alle Mann zum Segelkürzen!< Den letzten, der oben ist, schreiben Sie auf!»
Dann wandte er sich zu Herrick um.»Lagebesprechung, Sir?«Es klang irgendwie herausfordernd.
Herrick nickte.»Aye, Mr. Gilchrist. «Und nach kurzem Zögern:»Geben Sie Signal: >Kommandanten an Bord
Bolitho wandte den Blick ab. Herrick hätte Gilchrist zurechtstauchen sollen, um ihm seine Arroganz ein für allemal auszutreiben.
Eilig rannten die Matrosen von ihren Arbeiten an und unter Deck herbei und sahen sich kaum an, während sie auf ihre Stationen rannten. Bolitho sah Pascoe, der sich im Laufen den Rock zuknöpfte, aufs Achterdeck eilen und vor Gilchrist den Hut lüften. Dieser wies ihn an:»Seien Sie schärfer zu Ihren Leuten, Mr. Pascoe!»
Pascoe sah ihn fragend an, seine Augen glitzerten im Sonnenlicht. Schließlich nickte er.»Jawohl, Mr. Gilchrist, das will ich sein.»
«Das bitte ich mir auch aus, zum Donnerwetter!«sagte Gilchrist so laut, daß mehrere Matrosen stehenblieben und hinaufschauten.»Auf meinem Schiff gibt es keine Günstlinge!»
Pascoe blickte kurz zur Kampanje hinauf, wo Bolitho noch stand, und drehte sich dann auf dem Absatz um; seine Leute scharten sich um Pascoe wie ein Schutzwall. Bolitho sah sich nach Herrick um, doch der stand an der Luvseite, weit entfernt von allem.
Es dauerte eine Weile, bis die Spannung aus Bolitho wich. Gil-christ zeigte seine Absichten offen, aber zu früh. Er hatte seine Erwartung klar zum Ausdruck gebracht, daß der Kommodore die Autorität eines vorgesetzten Offiziers auch gegen den eigenen Neffen unterstützte. Gilchrist war ein bemerkenswerter Mann. In ihm steckte viel mehr, als der arglose Herrick sich träumen ließ. Normalerweise hätte kein Leutnant es gewagt, mit seinem Kommandanten, den er erst kurze Zeit kannte, so zu sprechen, wie Gil-christ vorhin. Und keine noch so wichtige private Beziehung konnte einen Leutnant vor einem Flaggoffizier retten, selbst vor einem Kommodore nicht, wenn der sich entschloß, in eigener Sache aufzutrumpfen. Bolitho war noch nie mit Gilchrist gefahren. Der Erste Offizier der Lysander wußte andererseits eine ganze Menge über seinen Kommodore. Offenbar auch genug, um davon überzeugt zu sein, daß Bolitho nie einen Verwandten oder persönlichen Freund begünstigen würde. Doch warum ließ er sich das alles anmerken?
Bolitho schritt zur anderen Seite des Decks und spürte eine Hitzewelle im Gesicht, als das Großsegel aufgegeit wurde und die Sonne sich wie eine erstickende Faust auf die Decksplanken senkte.
Was gab Gilchrist so viel Selbstvertrauen? Er schaute nach den beiden anderen Zweideckern aus, die in ungerader Formation, aber unaufhaltsam aufschlossen. Farquhar vielleicht? War der so wild auf die Beförderung zum Flaggkapitän, daß er sich einen Verbündeten gewonnen hatte? Farquhar besaß bestimmt Verbindungen und auch Geld genug, um einen Mann in Versuchung zu führen. Oder war es Probyn? Unwahrscheinlich. Danach sah Probyn nicht aus. Der konnte von Glück sagen, daß er überhaupt ein Schiff in diesem Geschwader bekommen hatte, und würde sich schwer hüten, mit einer Intrige seinen guten Namen zu riskieren. Herrick? Ausgeschlossen.