Er knöpfte sein spanisches Hemd auf und betastete das kleine Medaillon an seinem Hals. Kate hatte sich nie daran gestört. Vorsichtig öffnete er es und betrachtete die kastanienbraune Locke. Im Sonnenlicht, das durch die Fenster fiel, glänzte sie so blank wie an dem Tag, als er Cheney zum erstenmal gesehen hatte. Damals noch die Verlobte seines Admirals. Cheney Seton, das Mädchen, das er erkämpft und geheiratet hatte.[24] Er schloß das Medaillon und knöpfte das Hemd wieder zu. Nichts hatte sich geändert. Er liebte sie noch immer. Kein Wunder, daß er im Fieber nach ihr gerufen hatte.
Pascoe kam herein, Hut unterm Arm, Signalbuch in der Hand. Bolitho sah ihn an und versuchte seine plötzliche Niedergeschlagenheit zu verbergen, so gut er konnte.
«Na, Adam, nun wollen wir mal sehen, was wir für neue Tricks erfinden können, eh?»
«Kurs Nordost zu Nord, Sir! Liegt an!»
Bolitho hörte den Master mit seinem Rudergänger flüstern, eilte aber zu den Netzkästen an der Reling, in denen jetzt die sauber gepackten Hängematten verstaut waren. Seltsam bleich schimmerten sie im Mondschein.
Farquhar trat zu ihm und meldete:»Wind ist stetig, Sir. Wir sind etwa zwanzig Meilen südwestlich der Insel. Die Buzzard steht in Luv, Sie können ihre Marssegel in der Mondbahn ausmachen.»
«Nichts von einem Boot zu sehen?»
«Nichts. Vor drei Stunden habe ich den anderen Kutter unter Segel losgeschickt. Ob Veitch ihn gesehen hat, weiß ich nicht — jedenfalls hat er weder durch Pistolenschuß noch mit der Laterne Signal gegeben.»
«Na schön. Wie lange, denkt der Master, können wir auf diesem Kurs bleiben?»
«Höchstens eine Stunde, Sir. Dann muß ich meinen Kutter zurückrufen und wenden. Sonst kommen wir zu dicht unter Land; und wenn wir noch einen großen Bogen schlagen müssen, sind wir bei Morgengrauen weiter von der Durchfahrt entfernt, als mir lieb ist.»
«Einverstanden«, sagte Bolitho zögernd.»Also eine Stunde noch.»
«Halten Sie es wirklich für richtig, die Nicator in die nördliche Einfahrt zu schicken, Sir? Wenn Probyn nicht zur rechten Zeit angreift, gibt es eine Katastrophe.»
«Die Durchfahrt ist eng, ich weiß, aber bei einigermaßen günstigem Wind kann es die Nicator schaffen.»
«Ich rede nicht von der Passage oder von der Gefahr, Sir. «Far-quhars Gesicht lag jetzt im Schatten, aber seine Epauletten schimmerten hell auf dem dunklen Uniformrock.»Ich muß Ihnen gestehen, daß ich kein Vertrauen zum Kommandanten der Nicator habe.»
«Wenn er einsieht, wieviel beim Gelingen der ganzen Aktion von ihm abhängt, wird er seine Pflicht tun.»
Doch Bolitho dachte an Probyns rotes Gesicht, sein Drumherumreden, seine ständigen Bedenken. Aber was konnte er tun? Wenn es so kam, wie er voraussah, würde die Osiris hier das Schlimmste abbekommen und mußte am längsten durchhalten. Er konnte Javal nicht zumuten, seine leichte Fregatte einem schweren Artilleriebeschuß auszusetzen; dessen Anteil an der Aktion war ohnehin schon schwierig genug. Ohne Hilfe der Lysander blieb das Überraschungsmoment eben Sache der Nicator. Anders ging es nicht. Vermutlich war Farquhar jetzt wütend über sich selber, weil er Herrick ohne Unterstützung losgeschickt hatte und nicht nach den Regeln der Geschwadertaktik vorgegangen war. Und dabei hatte er sich schon als Oberkommandierender gefühlt!
«An Deck! Lichtsignal in Luv voraus!»
Eilends trat Bolitho auf der Backbordlaufbrücke und spähte über die bemalte Leinwand.
«Das Signal, bei Gott!«rief Farquhar aus.»Mr. Outhwaite, drehen Sie bei und machen Sie alles klar zum Einholen der Boote!»
Das Schiff wurde lebendig. Wie Gespenster huschten die Matrosen im Mondschein an die Brassen und Fallen.
Hochrufe ertönten, als der erste und gleich danach der zweite Kutter an die Bordwand stieß und Matrosen hinunterkletterten, um mit zuzufassen.
Unter Segeln und Riemen zugleich — das mußte eine zermürbende Fahrt gewesen sein, dachte Bolitho. Er wartete an der Achterdecksreling, die Hände hinterm Rücken fest verschränkt, um seine Ungeduld zu zügeln und nicht mit den anderen zur Fallreepspforte zu rennen. Er sah einen untersetzten, hinkenden Mann und erkannte ihn sofort.
«Mr. Plowman! Hierher!»
Der Steuermannsmaat lehnte sich an die Finknetze und versuchte, zu Atem zu kommen.»Bin ganz schön froh, daß ich hier bin, Sir!«Er deutete nach dem unsichtbaren Land, und Bolitho sah, daß er einen fleckigen Verband um die eine Hand trug; das Blut sickerte durch wie schwarzes Öl.
«Haben das zweite Boot kommen sehen, mußten uns aber verstecken. Die Gegend wimmelt von Patrouillen. Einer sind wir in die Arme gerannt. Das gab eine Keilerei. «Kritisch betrachtete er seine verbundene Hand.»Haben sie aber fertiggemacht.»
«Und Mr. Veitch?«Er wartete auf das Unvermeidliche.
«Dem geht's gut, Sir. Er ist an Land geblieben. Hat mir befohlen, ich soll das Schiff suchen und Ihnen berichten.»
Nach dem dämmrigen Mondschein an Deck wirkten die Kajütlaternen viel zu hell. Bolitho sah, daß Plowman von Kopf bis Fuß vor Schmutz starrte; Gesicht und Arme waren von Steinen und Dornen zerkratzt und zerschrammt.
«Hier, trinken Sie. Was Sie wollen. «Inzwischen waren Farquhar, sein Erster Offizier und hinter ihnen Pascoe in die Kajüte getreten.
Plowman seufzte dankbar.»Dann hätte ich gern einen ordentlichen Brandy, wenn ich bitten darf, Sir.»
«Sie haben ein ganzes Faß voll verdient«, lächelte Bolitho. Stumm wartete er, bis Plowman einen Becher von Farquhars gutem Brandy ausgetrunken hatte.»Jetzt erzählen Sie, was los ist.»
Plowman wischte sich den Mund mit dem Handrücken.»Nichts Gutes, Sir. «Er schüttelte den Kopf.»Wir haben's so gemacht, wie Sie sagten, und Mr. Veitch hat 'n ganz schönen Schreck gekriegt. Genau wie Sie sich dachten, Sir, bloß noch schlimmer.»
«Schiffe?«fragte Farquhar hastig.
«Aye, Sir. Mindestens dreißig. Und davor ankert ein Linienschiff, ein Vierundsiebziger. Und 'ne Fregatte, noch 'ne Fregatte, und ein paar Korvetten — wie der Franzmann, den wir mit der Segu-ra erledigt haben.»
«Donnerwetter!«sagte Farquhar leise.»Das ist ja eine kleine Armada!»
Plowman ging nicht darauf ein.»Aber das ist noch nicht alles, Sir. Die haben zwei von den neuen Geschützen auf die Landspitze geschafft. «Er beugte sich ungelenk über die Karte und stieß mit dem Daumen auf die Stelle.»Da! Wir dachten erst, die löschen alle Schiffe, aber sie haben bloß diese zwei Schönheiten an Land gebracht. Bei Sonnenaufgang trafen wir 'n Schäfer; einer von den Jungs, der ein bißchen Griechisch kann, ist mit ihm ins Gespräch gekommen. Die Inselbewohner sind nicht sehr für die Frogs. Die haben die Insel rein abgegrast. Und die Weiber auch, nach allem, was man hört. Jedenfalls machen die Schiffe seeklar, hat er gesagt. Wollen nach Kreta oder so, da sammeln sich noch mehr.»
«Brueys. Aber warum ist Leutnant Veitch an Land geblieben?«fragte Bolitho ernst. Dabei hatte er die Antwort schon erraten.
«Mr. Veitch denkt, Sie wollen trotzdem angreifen, Sir. Er sagte, Sie werden die Nicator vorschicken. «Grimmig zog er die Brauen zusammen.»Hätte ich nicht die kaputte Hand, ich wäre bei ihm geblieben.»
«Daß Sie zurückgekommen sind, ist mir wichtiger. Und ich danke Ihnen.»
Veitch hatte es von Anfang an erkannt: daß Bolitho, da er nicht mehr Schiffe besaß, keine Verbindung mit der Nicator haben konnte und sie auch vor Morgengrauen, wenn der Zeitpunkt zum Angriff gekommen war, nicht erreichen konnte.
Bolitho goß Plowman wieder ein. Der grinste melancholisch und fuhr fort:»Mr. Veitch sagte, er will versuchen zu helfen, Sir. Er hat drei Freiwillige bei sich — alle drei so verrückt wie er, wenn Sie entschuldigen. Mehr kann ich nicht sagen.»
Er schwankte vor Müdigkeit, und Bolitho befahl:»Allday soll ihn auf die Krankenstation bringen, damit die Hand verbunden wird. Und sorgen Sie dafür, daß beide Bootsmannschaften belohnt werden.»