Bolitho hielt sich an der Kampanjeleiter fest. Das Schiff erschauerte; jedes Stag, alle Wanten summten vor Anspannung, als die mächtigen Rahen knarrend überkamen. Keuchend vor Anstrengung warfen sich die Rudergasten mit ihrem ganzen Gewicht in die Speichen und holten das Ruder immer weiter herum.
Veitch überschrie das Donnern der Leinwand:»Steuerbordbatterie — ausrennen!»
Bolitho blickte zu seinem Stander hoch, wie um ihn zu beschwören, daß er die Richtung hielt. Eilends gehorchten Matrosen und Marine-Infanteristen den Befehlen der Bootsmannsmaaten.
Mit gesenktem Kopf beobachtete er das vorderste französische Schiff. War es Einbildung? Er hielt den Atem an; und dann, als sich das Deck unter seinen Schuhsohlen nach der anderen Seite legte, sah er, daß das französische Schiff mehr Fahrt aufzunehmen schien, am Bugspriet und dem schlagenden Klüver der Lysander vorbeischwang wie bei einer Segelregatta.
«Stütz!«schrie Grubb wütend.»Noch ein Mann ans Ruder!»
Die Rahen knarrten nicht mehr und kamen auf dem Steuerbordbug zur Ruhe; die Marssegel bekamen wieder harte Bäuche und legten das Schiff schräg, bis der Gischt an die Gülls der untersten Stückpforten flog, wo die Geschützführer bereits Feuerbereitschaft meldeten.
Herrick setzte seinen Dreispitz fester, denn der Wind blies Sprühwasser durch die Wanten. Es trocknete fast so schnell, wie es fiel; gleich einem Sommerregen, dachte Bolitho.
«Kurs Nordost liegt an, Sir!»
«Recht so!»
Bolitho hob sein Glas und stellte es auf den Feind ein. Der Wind zerrte an seinen Rockschößen. Auf diese plötzliche Kursänderung waren die französischen Kommandanten nicht gefaßt gewesen. Schon glitt das reichornamentierte Heck des vordersten Schiffes am Steuerbordbug der Lysander vorbei, die Lücke wurde breiter und breiter, und schließlich sah er den Klüverbaum des zweiten Vierundsiebzigers am linken Rand in seine Linse ragen.
Blitzend schoß eine Reihe gelbroter Flammenzungen aus der Bordwand des vordersten Schiffes. Bolitho hörte mehrere Kugeln hoch oben vorbeisausen; irgendwo brach mit peitschenartigem Knall ein getroffenes Stag. Er ging zur anderen Seite und ergriff Herrick beim Arm.»Der Dummkopf schießt viel zu früh. «Er deutete zu den wartenden Matrosen hinunter.»Die Steuerbordbatterie, Thomas. Gebt ihnen 'ne Breitseite! Wenn wir Glück haben, ist noch Zeit zum Nachladen, bevor wir an seinem Heck vorbei sind!»
Herrick senkte den Arm.»Feuer frei!»
Das ohrenzerreißende Brüllen der Breitseite, die mächtig herausquellende Wolke aus beißendem Qualm, die zum Feind hinübertrieb, veranlaßte mehrere Marine-Infanteristen, ihre Musketen abzufeuern. Sie hatten keine Aussicht, irgendetwas zu treffen, und Sergeant Gritton blaffte:»Der nächste Idiot, der ohne Befehl schießt, wird bestraft!»
Bolitho stand auf einem Poller und spähte durch die Webleinen nach den Schäden beim Feind, bis ihm die Augen schmerzten. Die Segel des Franzosen waren pockennarbig von Schußlöchern, im Bootsgestell klaffte ein mächtiges Loch, eine Barkasse war in zwei Stücke gespalten. Aber die Trikolore wehte noch, und das Schiff hielt unbeirrt Kurs.
Er hörte Hoch- und Hurrarufe seiner Männer und befahl unwillig:»Nachladen! Drei Schuß pro Minute will ich hören!«Und als Gil-christ ihn entsetzt anstarrte.»Jawohl! Artillerie ist jetzt alles, was wir haben!»
Ein unregelmäßiges Krachen von Backbord her: der zweite Franzose versuchte, die Lysander mit seinen Buggeschützen zu treffen, den einzigen, die jetzt Schußfeld hatten.
«Backbordbatterie — Achtung!«brüllte Veiten mit erhobenem, blitzendem Säbel. Ein Midshipman eilte zum Niedergang, um den Befehl weiterzugeben.
Der Säbel fuhr nieder.»Feuer!»
Wieder erzitterte das Schiff und bockte heftig. Beide Batteriedecks feuerten eine langsame, regelmäßige Breitseite. Schon warfen sich die Männer wieder in die Züge und Handspeichen, tappten blind nach Kartuschen und neuen Kugeln; viele husteten in dem binnenbords ziehenden Qualm, durch den das Deck kaum noch zu sehen war.
Wütend brüllte Veitch:»Schneller! Los da, Nummer drei! Ausputzen!»
Bolitho wischte sich das dampfende Gesicht; sein Mund wurde staubtrocken, als er sah, daß die Fock des Franzosen wie ein zerrissenes Bettlaken nach allen Richtungen flatterte und daß mehrere ihrer Kugeln das Vorschiff getroffen und lange schwarze Narben hinterlassen hatten. Das vorderste Feindschiff war noch immer auf Kurs; der Kommandant wollte offenbar sein Heck erst im allerletzten Moment exponieren. Oder er hoffte, das andere Schiff würde irgendein Wunder zustande bringen.
Herrick meldete:»Alles geladen und ausgerannt. «Sein Gesicht war fleckig vor Pulverrauch.»Unter zwei Minuten, nach meiner
Uhr!»
«Feuer!»
Wieder fuhren die Steuerbordgeschütze im Rückstoß binnenbords, gelbrot gefärbter Rauch rollte mit dem Wind auf den Franzosen zu, der jetzt Steuerbord voraus lag.
Bolitho biß die Zähne zusammen: die Rauchwolke der Lysander blitzte auf unter der unmittelbaren Antwortsalve des Franzosen. Das Deck schulterte unter ihm; er sah, wie einige Männer sich duckten, als die Kugeln flach über das Hauptbatteriedeck jaulten — manche schlugen erst eine Meile vom Schiff entfernt in die See.
«Jetzt, Thomas!«brüllte er.»Die Karronaden im Vorschiff!»
Herrick nickte mit starrem Gesicht, denn weitere Geschosse krachten in die Bordwand oder flogen zwischen den Segeln durch.
Bolitho schritt zur Leeseite, wo sich die Heckaufbauten des vordersten Franzosen wie ein goldenes Hufeisen über den wirbelnden Rauch erhoben. Das Vorschiff der Lysander war bereits in der Lücke zwischen den beiden Feindschiffen. Obwohl er darauf gefaßt gewesen war, fuhr er zusammen, als die Karronaden ihre großen, mit Eisenschrot gefüllten Kugeln abfeuerten, unterstützt von Veitchs vordersten Achtzehnpfündern, die jetzt die verwundbarste Stelle des Feindes vor den Rohren hatten: das Heck.
Veitchs Stimme überschlug sich fast:»Stopfen! Ausputzen, laden!»
Der Kanonendonner, das Quietschen und Rumpeln der ausgefahrenen Geschütze, das endlose Rufen und Hurrageschrei schienen aus einer anderen Welt zu kommen — oder direkt aus den Tiefen der
Hölle.
Gebrochene Stage peitschten wie Schlangen auf den übers Deck gespannten Schutznetzen, die nackten Oberkörper der Kanoniere hatten lange Streifen aus Schweiß und Pulver; sie sahen aus wie die Sklaven, nicht wie die Herren ihrer bellenden schwarzen Rohre.
«Feuer!»
Bolitho hörte einen Mann aufschreien, sah einen Körper aus dem Großtopp hart von Deck abprallen und dann ins Meer stürzen. Wieder krachten Schüsse durch den Rauch, trotzdem hörte er
Grubbs heiser triumphierenden Ausruf:»Der alte Nußknacker hat's geschafft, Sir!«Er schwenkte seinen zerbeulten Hut.»Muß das Ruder drüben erwischt haben!»
Obwohl die Lysander inzwischen durch die Lücke gestoßen war, befand sich das Heck des vordersten französischen Schiffes immer noch direkt in ihrem Schußfeld. Die mörderische Schrotladung aus der Karronade, unterstützt von den Kanonen im Vorschiff, bei denen man schon an dem tiefen Bellen des Abschusses hörte, daß sie doppelt geladen waren, mußte durch das Heck hindurch die Ruderanlage getroffen und havariert haben. Das Schiff drehte steuerlos in den Wind; Bolitho sah, daß die reichgeschnitzte Galerie in Trümmern, die Kampanje zerlöchert und gesplittert war.
Und da geriet auch schon der Besanmast, zwar noch eine Zeitlang von Wanten und Stagen aufrecht gehalten, ins Wanken und fiel. Winzige Gestalten rutschten aus dem Topp hinunter; unten rannten sie wie die Verrückten, um nicht von der ungeheuren Masse der Takelage erschlagen zu werden, die jetzt mit einem Krachen, das sogar den Kanonendonner übertönte, mitsamt der flatternden Trikolore in den Qualm stürzte.
«Der andere versucht, mit uns abzudrehen, Sir. «Grubbs Augen trieften vor beißendem Rauch.»Er will uns den Wind wegnehmen!»