Als sie endlich gemerkt hatten, was geschah, war es schon zu spät. Stokes trank und trank, Gesicht und Brust trieften von verschüttetem Wein, aber die Soldaten forderten ihn auf, noch mehr zu trinken; schließlich hielten sie ihn aufrecht und gossen ihm Wein in den offenen Mund.
Halbverhungert, ausgedörrt und in Angst vor dem Ungewissen Schicksal, verlor Stokes völlig den Verstand. Er taumelte, brüllte, tanzte, erbrach sich und fiel ständig hin — ein jammervoller Anblick. Doch sobald er keuchend am Boden lag, rissen sie ihn hoch und zwangen ihm noch mehr Wein auf.
Morgens, als die Gefangenen losgebunden und auf dem rauhen Weg zusammengetrieben wurden, hatte Stokes immer noch dagelegen, wie er zuletzt hingefallen war, in einem großen Flecken ausgetrockneten Weines wie in einer Blutlache. Und sein Gesicht war eine Maske von Fliegen.
Als Pascoe zu ihm treten wollte, stießen sie ihn weg. Keiner der Soldaten kümmerte sich darum, ob Stokes noch atmete. Als wären sie ihres Spielzeugs müde geworden und wollten nur noch weiter.
Allday beschattete die Augen und musterte die blaue See jenseits der Hügel. Was für eine öde Gegend: Berge im Landesinneren, und hier an der Küste zerklüftetes Gelände mit Felsbrocken und Schotterrinnen. Kein Wunder, daß seine Füße so zerfetzt waren.
Ein Peitschenknall, und wieder schlurften sie weiter. Als sie den letzten Hang hinangekeucht waren, stieß Allday atemlos hervor:»Schiffe, bei Gott!»
Pascoe nickte.»Ja — drei Stück!«Er packte Allday beim Arm.»Sehen Sie doch — all diese Menschen!»
Der Pfad, der zum Strand hinabführte und sich dort mit einem anderen, besser gebauten Weg vereinte, wimmelte von Menschen. Von fern sah es aus, als liefen sie so ziellos herum wie Ameisen, doch beim Näherkommen wurde deutlich, daß es sich um ein Arbeitskommando handelte. Hier und da waren bewaffnete Soldaten und Aufseher in Zivil zu unterscheiden, die wie Felsen in der wimmelnden Menschenflut standen.
«Gefangene«, sagte Pascoe.
«Ich glaube, eher Sklaven.»
Die Wachen hatten Peitschen, und die zerlumpten Arbeiter wichen ihnen angstvoll aus.
Allday sah sich die Schiffe genauer an. Zwei Briggs und ein größeres Fahrzeug, wohl ein Transporter. Alle drei ankerten dicht unter Land; zwischen ihnen und an dem neuerbauten Pier fuhren ständig Leichter und Ruderboote hin und her. Zelte standen in sauberen Reihen am Fuß der Hügel. Auf der anderen Seite der Bucht, einem niedrigen, mit Gras und Heidekraut bewachsenen Vorland, war anscheinend eine Batterie, über der die spanische Flagge lebhaft flatterte.
«Die Schiffe müssen schwer geladen haben«, murmelte Pascoe.
Sie verstummten, als der Anführer der Reiter herangetrabt kam. Die Peitsche hing an seinem Bein herab, und die Schnur schleifte am Boden. Er deutete auf die Matrosen und brüllte einen Befehl.
Zwei Reiter saßen ab und wiesen mit gezogenen Säbeln auf die erste Zeltreihe. Mit einem Peitschenschnippen wurden Pascoe und Allday von den Matrosen getrennt und zu einer anderen, kürzeren Reihe von Zelten gewiesen.
Vor einem dieser Zelte sah Allday einen Offizier stehen, der ihnen entgegensah, die Augen mit dem Unterarm beschattend. Der Reiter brachte sie zu ihm. Gott sei Dank, dachte Allday. Der Offizier mochte zwar Spanier sein, war aber immer noch besser als diese Halbwilden.
Der Reiter saß ab und machte dem Offizier Meldung, der nach kurzem Zögern auf sie zukam. Er war sehr schlank und trug einen weißen Uniformrock zu roter Kniehose. Als er näher kam, sah Allday, daß die elegante Uniform und die blanken Reitstiefel schon ziemlich abgewetzt waren; auch der Mann selbst sah aus, als habe er an diesem elenden Ort geraume Zeit verbracht.
Ganz langsam ging er um die beiden herum. Sein gebräuntes Gesicht war sehr nachdenklich, doch ohne jede Gemütsbewegung.
Als er wieder vor ihnen stand, sagte er in sorgfältigem Englisch:»Ich bin Capitan Don Camilo San Martin, vom Gardedragonerregiment Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien. «Er hatte ein sensibles Gesicht, zu dem der schmale, fast grausame Mund wenig paßte.»Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mir die Ehre erweisen würden, mir Ihren Namen und Ihren, äh, Rang zu nennen. «Er hob die Hand.»Doch ehe Sie beginnen — ich warne Sie vor Lügen. Dieser Dummkopf da hat mir berichtet, wie sein Spähtrupp auf Sie gestoßen ist. Daß er Sie nach hartem Kampf überwältigen und herschaffen konnte. «Er richtete sich selbstbewußt auf.»Ich bin zur Zeit Befehlshaber dieses, äh, Unternehmens hier.»
Langsam atmete Allday aus, als Pascoe antwortete:»Ich bin Leutnant Adam Pascoe von der Marine seiner Britannischen Majestät.»
Die melancholischen Augen des Spaniers ruhten jetzt auf Allday.»Und dieser? Ich nehme an, er ist ebenfalls Offizier?«Er verzog leicht den Mund.»Von etwas niedrigerem Rang vielleicht?»
«Ja. «Pascoe schwankte, doch seine Stimme blieb fest.»Deckoffizier.»
Allday staunte über Pascoes Geistesge genwart, nach allem, was er durchgemacht hatte. Der Spanier schien die Lüge zu glauben. Wenn sie jetzt getrennt worden wären, hätte das jede Aussicht auf Flucht zunichte gemacht, wenn es überhaupt eine gab.
«Gut«, lächelte Capitan San Martin.»Sie sind sehr jung, Tenien-te. Ich gehe daher wohl nicht fehl in der Annahme, daß Sie nicht auf eigene Faust handelten. Daß Sie von einem englischen Schiff kommen?«Mit der gleichen müden Bewegung wie eben hob er die Hand.»Ich weiß, Sie sind Offizier und an Ihren Eid gebunden. Das respektiere ich. Aber es muß ja einen Grund dafür geben, daß Sie hier sind.»
Heiser sagte Pascoe:»Meine Leute, Capitan — können Sie anordnen, daß sie verpflegt werden?»
Der Spanier schien zu überlegen.»Alles zu seiner Zeit. Im Augenblick haben Sie und ich einiges zu besprechen. «Er deutete auf das Zelt.»Dort drin. Die Sonne brennt heute verflucht heiß.»
Im Zelt war es kühl, und als sich Alldays Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah er, daß er auf einem dicken Teppich stand. Nach dem rauhen Weg war das Balsam für seine wunden, blasenbedeckten Füße.
«Ich sehe an Ihrem Rücken«, bemerkte San Martin,»daß Sie unterwegs etwas rauh behandelt wurden. «Er zuckte die Achseln.»Es sind unwissende Wilde, aber gute Kämpfer. Mein Großvater pflegte noch Jagd auf sie zu machen, rein aus Sport. «Der Gedanke schien ihn zu amüsieren.»Aber die Zeiten ändern sich.»
Eine Ordonnanz brachte Becher und schenkte Wein ein. San Martin nickte ihnen zu.»Setzen Sie sich doch, wenn Sie wollen. Sie sind jetzt Kriegsgefangene. Ich schlage vor, Sie genießen meine Gastfreundschaft, so gut Sie können. «Wieder lächelte er.»Ich war selbst Gefangener der Engländer und wurde vor einem Jahr ausgetauscht. Dabei lernte ich Ihr Volk verstehen, und auch die Sprache wurde mir geläufig.»
«Ich muß darauf bestehen, Sir…«fing Pascoe an.
Weiter kam er nicht. San Martin, mit einem Blick zum Zeltdach, schrie ihn an:»Bei mir haben Sie auf gar nichts zu bestehen, Te-niente!«Bei diesem Ausbruch rann ihm der Schweiß übers Gesicht.»Es kostet mich nur ein Wort, und Sie sind tot! Wie würde Ihnen das passen, eh? Diese Tiere da, die Sie draußen an der Straße und den Anlagen arbeiten sehen, sind Verbrecher; wäre die Arbeit hier nicht so wichtig, würden wir sie an die Ruderbänke der Galeeren ketten, wo sie hingehören, oder am Galgen verfaulen lassen. Zu denen könnte ich Sie stecken, Teniente. Wie würde es Ihnen gefallen, an einen großen Besen gekettet zu arbeiten, Stunde um Stunde nach Trommelwirbel und Peitschenhieb zu leben — eh?«Er war immer noch außer sich.»Da hätten Sie wenig Zeit, auf etwas zu bestehen, das kann ich Ihnen sagen!»
Allday sah, daß der Soldat mit der Weinflasche heftig zitterte. Er kannte und fürchtete anscheinend die Wutanfälle seines Vorgesetzten.
Etwas ruhiger fuhr dieser fort:»Ihr Schiff — oder vielleicht sogar Ihre Schiffe — sind in diesen Gewässern, um uns Schaden zuzufügen. «Wieder lächelte er gelassen.»Ihren Kommandanten — ob ich den wohl kenne?»