Литмир - Электронная Библиотека

Zum Beispiel damals, als er in Gibraltar sein Geschwader übernommen hatte — das hätte eigentlich der stolzeste Augenblick seiner bisherigen Laufbahn sein müssen. Doch er hatte nur von Adams verbotswidrigem Duell erfahren, von seinem noblen Eintreten für ihn, womit der Junge dienstlichen Nachteil und obendrein Verwundung riskiert hatte.

Das muß in der Familie liegen, dachte er bitter. Viele Bolithos hatten sich als Naturtalente im Degenfechten erwiesen, ohne richtigen Lehrer, ohne viel Übung. Er konnte sich genau daran erinnern, wie er damals in Westindien an Bord eines Kaperschiffes dem französischen Leutnant gegenübergestanden hatte — Auge in Auge, beide noch von der Wildheit erfüllt, die man nur in der Schlacht verspürt. Beinahe hatte ihm der Mann leidgetan. Wenn er sich doch nur ergeben hätte! Noch bei der Parade vor dem letzten tödlichen Stich wußte Bolitho: er konnte nicht anders.

«Also dann wollen wir, Thomas«, sagte er schroff.

Die Offiziersmesse der Lysander war voll. Während Bolitho hinter Herrick herschritt, dachte er an seine Zeit als junger Leutnant auf einem Linienschiff wie diesem. Damals hatte er darüber nachgegrübelt, was so ein Mann, der in der großen Achterkajüte über der Messe wohnte, wohl für ein Leben führen, wovon er träumen mochte. Kapitän oder Admiral, das galt ihm damals gleich hoch.

Die Männer traten beiseite, um ihn vorbeizulassen, und sein Blick schweifte über ihre erwartungsvollen Gesichter. Manche kannte er flüchtig vom Dienst, andere noch überhaupt nicht: die jugendlichen Gesichter der Leutnants und die zerfurchten der Deckoffiziere. Der mächtige Grubb neben Yeo, dem Bootsmann; und am Heck-Neunpfünder lehnte ein streng aussehender älterer Mann — Stückmeister Corbyn, wie er sich zu erinnern glaubte.

Hinter den scharlachroten Röcken der Marine-Infanteristen verschwand der unordentliche Haufe der Midshipmen beinahe; acht oder neun waren anwesend. Edgar Mewse, der Zahlmeister, und der Schiffsarzt Shacklock hielten sich ein wenig abseits.

«Alle anwesend, Sir«, meldete Gilchrist,»außer Mr. Kipling, dem Vierten Offizier, und Mr. Midshipman Blenkarne — beide auf Wache.«»Danke.»

Herrick räusperte sich und legte seinen Hut auf den Tisch.

«Nehmen Sie Platz, Gentlemen«, nickte Bolitho.»Ich werde mich so kurz wie möglich fassen.»

Gelassen sah er zu, wie sie sich auf Stühlen und Seekisten drängten; die Dienstältesten bekamen die bequemsten Plätze, und für die Midshipmen blieben als Sitz nur die nackten Planken.

«Der Flaggkapitän wird Ihnen bereits angedeutet haben, was wir beabsichtigen«, begann Bolitho.»Kurz gesagt: wir werden übermorgen beim ersten Tageslicht die Küste ansegeln, möglichst viele feindliche Schiffe kapern und die übrigen vernichten.»

Er sah, wie zwei Midshipmen einander vergnügt in die Seite stießen. Den einen kannte er: es war Saxby, und sein zahnlückiges Grinsen war so breit, als hätte man ihm soeben einen Monat Urlaub bei vollem Sold versprochen.

«Wenn der Wind ungünstig ist, halten wir uns von der Küste frei und variieren den Plan entsprechend. «Er warf einen Blick auf Grubbs wettergegerbtes Gesicht.»Aber der Master hat mir volle Unterstützung der höheren Autorität, als meine es ist, versprochen.»

Sie lachten, und es gab allerlei Scherze auf Kosten Grubbs. Der verzog keine Miene, doch offensichtlich hatte ihn diese Bemerkung gefreut. Bolitho wußte auch, daß Herrick ihn ständig beobachtete. Nur er begriff, wie schwer es Bolitho fiel, den versammelten Offizieren zu zeigen, daß ihr Kommodore sich von seinem tiefen privaten Kummer nicht ablenken ließ.

Bolitho hatte schon manch guten Freund auf See verloren. Keine Freundschaft war fester als die, welche in dem harten, das Äußerste fordernden Leben an Bord eines Kriegsschiffes entstand. Das Meer, Krankheiten, Entersäbel oder Kanonen hatten manches vertraute Gesicht ausgelöscht. Kein Wunder, daß die Männer über Pascoes Abwesenheit zur Tagesordnung übergingen. Nur wenige von ihnen dienten lange genug gemeinsam, um den Schmerz eines solchen Verlustes zu ermessen.

Er merkte, daß sie still geworden waren; er mußte eine ganze

Weile stumm dagestanden haben. Fast heftig fuhr er fort:»Um so viel Verwirrung wie möglich zu stiften, geht die Marine-Infanterie im Schutz der Dunkelheit an Land.»

Sein Blick suchte Major Leroux, der steif aufgerichtet neben seinem Leutnant saß. Er hatte mit Leroux bisher nur dienstlich zu tun gehabt, aber der Mann hatte ihm Eindruck gemacht. Die seemännische Besatzung, Matrosen wie Offiziere, hegte eine Geringschätzung gegenüber der Marine — Infanterie, den» Bullen«, die schwer zu überwinden war. Ihr sturer Drill und die formale Disziplin paßten nicht zu der munteren und lässigen Art der Seeleute. Bolitho selbst hatte schon mit vielen Offizieren der Marine — Infanterie zu tun gehabt; und obwohl er bald ihre Loyalität und Kampftüchtigkeit schätzengelernt hatte, war ihm doch selten einer mit viel Eigeninitiative begegnet. Leutnant Nepean von der Marine-Infanterie war zum Beispiel so ein typischer Fall: untadelig im Äußeren und jederzeit dienstbereit, doch sah man schon an seinen stumpfen Augen, daß er lieber nach Befehl handelte, als selbst Entscheidungen traf.

Nur Major Jermyn Leroux war anders. Groß, schlank, breitschultrig, wirkte er trotz seiner militärischen Haltung eher wie ein Intellektueller. Bolitho hatte sich einmal auf dem Achterdeck mit ihm über Rekrutierung und Ausbildung seiner Soldaten unterhalten; niemals war Leroux dabei angeberisch geworden oder hatte Aussagen gemacht, die er nicht beweisen konnte.

«Ich werde die Einzelheiten morgen mit Ihnen besprechen, Major«, sagte er.

Leroux nickte. Er hatte stille, beinahe melancholische Augen und sah aus wie jemand, der sich fehl am Platze fühlt.»Abgesehen von Kranken und anderweitig Dienstunfähigen«, erwiderte er,»kann ich neunzig Mann stellen.»

«Das reicht. «Bolitho wandte sich an Herrick.»Drehbassen in die Boote, dazu Wurfanker für den Fall, daß wir Befestigungen stürmen müssen. «Er wartete keine Kommentare ab, sondern fuhr gleich fort:»Als Captain Javal den Schoner nahm, mußte das möglichst leise geschehen. Diesmal will ich, daß unser Kampfverband viel größer wirkt, als er tatsächlich ist.»

Einer der Achtzehnpfünder, mit denen man in der Offiziersmesse leben mußte, quietschte ein bißchen auf seiner Lafette, denn die Lysander bohrte soeben ihren plumpen Bug in ein Wellental. Gedämpfte Rufe an Deck, das Knarren des Ruderblattes unterm Heck verrieten, daß der Kurs korrigiert wurde.

«Wir haben diesmal«, fuhr Bolitho fort,»außergewöhnlich viel Handlungsfreiheit. Wir dürfen keine Gelegenheit versäumen, Informationen über die Absichten des Feindes zu sammeln und seine Abschirmung nach Möglichkeit zunichte zu machen. «Er sah Herrick an.»Noch Fragen?»

Gilchrist stand auf. Sein Gesicht lag zum Teil im Schatten eines Decksbalkens.»Sind denn keine Seeleute bei der Landeabteilung,

Sir?»

«Nur die unbedingt nötigen«, erwiderte Bolitho so ruhig er konnte.»Die Bucht, die wir ansegeln müssen, ist vielleicht gut verteidigt. Sicherlich wird so etwas wie eine Küstenbatterie vorhanden sein, wenn auch nur eine leichte. Captain Herrick braucht jeden verfügbaren Mann an Brassen und Geschützen, das kann ich Ihnen versichern.»

Die Erinnerung an den bevorstehenden Kampf verursachte eine Unruhe in der Messe wie der Wind im Kornfeld. Aber Gilchrist blieb hartnäckig; seine knochige Gestalt schwankte leicht mit dem sich neigenden Deck.»Major Leroux wird also den Oberbefehl haben?«fragte er.

«Nein, Mr. Gilchrist. «Bolitho spürte, wie Herrick neben ihm erstarrte.»Den übernehme ich.»

Gilchrist deutete ein Achselzucken an.»Ziemliches Risiko, Sir. «Er blickte die anderen Offiziere an wie jemand, der weiß, daß er das Publikum hinter sich hat.»Wir alle bedauern Mr. Pascoes, äh, Abwesenheit. Daß Sie weiteres Unheil in Ihrer Familie riskieren wollen…»

16
{"b":"113288","o":1}