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Und doch brauchte die Hyperion zwei volle, nervenzermürbende Tage bis St. Clar, denn sie mußte fast gegen den Wind segeln, und keiner an Bord kam zur Ruhe. Wenn die Matrosen nicht beim Segelsetzen waren oder an den Pumpen werkten, hatten sie es mit einer immer länger werdenden Reparaturliste zu tun: es gab zu flicken und zu spleißen, als hinge das Leben davon ab — und das war auch der Fall. Denn obwohl der Wind ständig in den strapazierten Segeln heulte und die Hyperion so gefährlich krängte, daß die See über die unteren Stückpforten wusch, knüppelte Bolitho das Schiff ohne Rast oder Rücksicht auf Verluste voran. Es war ein Kampf, in dem Schiff und Kapitän miteinander wetteiferten; der wütende Wind und die grollende See waren beider gemeinsame Feinde.

Weder Offiziere noch Matrosen beobachteten mehr die gefährlich gebogenen Rahen oder hörten das schmerzliche Jaulen des Rigges. Darüber waren sie hinaus. Wer noch Zeit und Kraft zum Nachdenken hatte, sparte sie für Bolitho auf, der das Schiff durch eine Krise nach der anderen führte und wunderbarerweise weder Essen noch Schlaf zu brauchen schien.

Während der Vormittagswache des zweiten Tages rundete die Hyperion den nördlichen Arm der Bucht und kreuzte dankbar in die Hafeneinfahrt. Aber jede Hoffnung auf eine Atempause schwand sofort bei dem Anblick, der die müde Mannschaft erwartete; und angstvolle Minuten vergingen, bis der Anker ganz vorn, noch zwischen den Armen der Hafeneinfahrt, fiel. Hier, im tiefen Wasser, wo sie vor der vollen Kraft des Windes geschützt waren, hörten sie deutlich das bedrohliche Donnern der Artillerie und gelegentlich auch das Krachen einstürzenden Mauerwerks, wenn eine wohlgezielte Kanonenkugel ein Haus in der Stadt getroffen hatte.

Bolitho suchte mit dem Glas die Uferfront ab und sah den großen Rauchpilz hinter den geduckten Häusern, die wüsten Narben und Löcher. Er hatte so weit draußen ankern müssen, weil der innere Hafen voller Schiffe lag, die das Geschützfeuer von draußen hereingetrieben hatte. Die Tenacious und die Princesa, das spanische Schiff, lagen am nächsten bei der Stadt; zwei Transporter schwoj-ten an den Ankertrossen und hatten kaum genug Zwischenraum, um nicht zu kollidieren, wenn der Wind plötzlich umsprang. Bo-litho schob das Glas heftig zusammen. Zusammengetrieben. In der letzten Zuflucht, die ihnen noch blieb und im Angesicht des Feindes zusammengedrängt. Keine Rückzugsmöglichkeit mehr. Nur noch die See im Rücken.

«Mein Boot!«befahl er scharf.»Ich fahre ins Hauptquartier zum Admiral. «Er hatte sofort gesehen, daß die Admiralsflagge nicht mehr auf der Tenacious wehte.

Herrick kam raschen Schrittes nach achtern.»Soll ich mitkommen, Sir?»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Sie übernehmen das Schiff, bis ich zurückkehre. Passen Sie gut auf die Ankertrosse auf, damit sie sich nicht losreißt und zu ihrer alten Feindin an die Küste treibt. «Trübe starrte er auf die verkohlten Reste der Saphir unterhalb des Leuchtfeuers.»Anscheinend sind wir gerade zum letzten Akt der Tragödie zurechtgekommen.»

Allday kommandierte die Männer an den Davits, die sein Boot über die Leeschanz abfierten.»Ich nehme Mr. Inch und zwölf gute Männer, bewaffnet und in anständigen Uniformen. Ganz gleich, wie es steht, meine Leute sollen nicht wie ein Haufen Zigeuner aussehen.»

Gossett sagte in die Luft hinein:»Wie ich sehe, ist die Vanessa, das Transportschiff, ausgelaufen. Kann froh sein, daß sie weg ist. «Bolitho ließ sich von Gimlett in den Uniformrock helfen. Daß die

Vanessa St. Clar verlassen hat, dachte er grimmig, ist noch der einzige Lichtblick an diesem Wolkenhimmel. Er hatte Ashby ausdrücklich angewiesen, das Mädchen auf das erste Schiff zu setzen, das nach England auslief, hatte Cheney Geld und einen Brief an seine Schwester in Falmouth mitgegeben. Wenn sie es tatsächlich bis nach Falmouth schaffte, würde sie gut versorgt sein.

«Boot ist klar, Sir. «Leutnant Rooke sah ihn gespannt an.»Sieht so aus, als sei alles umsonst gewesen, Sir, nicht wahr?»

Bolitho zog den Dreispitz fest in die Stirn und entgegnete:»Ein kalkuliertes Risiko ist niemals völlig umsonst, Mr. Rooke. Als Kartenspieler müßten Sie das doch wissen. «Dann kletterte er eilends ins Boot, wo Inch und seine Abteilung bereits zusammengepreßt wie Heringe in der Tonne hockten.

Während das Boot stetig an den anderen Schiffen vorbeizog, sah Bolitho deren Matrosen auf den Decksgängen oder in den Masten stehen. Stumm und aufmerksam beobachteten sie die Stadt. Vermutlich wußten sie, daß ihre Schiffe unter diesen Umständen völlig hilflos waren. Sie konnten weiter nichts tun als aufpassen und auf den unvermeidbaren Rückzug warten.

Weiter drin im Hafen war eine zweite Sperre gelegt worden, doch nicht, um Schiffe an der Einfahrt zu hindern. Bolitho sah längs der Balken die Wracks mehrerer Fischerboote und anderer kleiner Fahrzeuge, manche bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Die Sperre hatte wohl verhindern sollen, daß sie auf die ankernden Schiffe zutrieben. Ein Brander mußte dieses vollgestopfte Hafenbecken in eine Flammenhölle verwandeln, aus der kein Mensch mehr herauskam.

Stumm pullten die Rudergasten; ihre Blicke flogen umher und entdeckten ein Unheilszeichen nach dem anderen. Am schlimmsten waren die Häuser der Nordseite getroffen. Mehr als eins brannte lichterloh, anscheinend ohne daß jemand löschte. Aufgerissene Dachstühle gähnten den Himmel an. Auch am Landungssteg lagen einige kleinere Wracks, und beim Anlegen bemerkte Bolitho ein bleiches, nach oben gewandtes Gesicht unter der klaren Wasseroberfläche, das mit weit offenen Augen noch in das Land der Lebenden starrte. Kurz befahl er:»Allday, Sie bleiben mit der Mannschaft hier. Ich gehe in die Stadt. «Er hakte den Degen im Gehänge los.»Kann sein, daß es Ärger gibt, also passen Sie gut auf!»

Allday nickte und zog seinen Entersäbel.»Aye, aye, Captain. «Er schnupperte in der Luft wie ein Hund.»Sie brauchen bloß Bescheid zu sagen, dann kommen wir.»

Eilends schritt Bolitho die ansteigende Straße hinauf, die Matrosen der Landeabteilung hielten sich dicht hinter ihm. Es war noch viel schlimmer, als er befürchtet hatte. Geduckte Gestalten hockten wie Tiere in den Ruinen. Aus Angst oder Trotz wollten sie ihre zerstörten Heimstätten wohl nicht verlassen. Im Trümmergeröll, in dem allgemeinen Durcheinander offenbar übersehen, lagen Leichen. Über den prasselnden Flammen hörte er ab und zu das Jaulen eines Artilleriegeschosses, dem jedesmal ein krachender Einschlag folgte.

Keuchend und schweißüberströmt rannte Inch neben ihm.»Hört sich nach schwerem Kaliber an, Sir. Die Franzosen müssen schon in den südlichen Bergen sitzen, daß sie bis hier hereinschießen können. «Er zuckte zusammen, als es krachend in ein nahes Haus einschlug und eine Lawine von Staub und zerbrochenen Ziegeln herunterprasselte.

An der Ecke des Marktplatzes sah Bolitho ein kleines Detache-ment pulvergeschwärzter Marine — Infanteristen. Sie lagerten um ein Feuer und starrten wortlos auf einen mächtigen schwarzen Topf darüber. Überrascht sah er, daß es Männer von der Hyperion waren. Auch sie wandten sich nach ihm um; ein riesiger Sergeant sprang auf und nahm Haltung an, den dampfenden Napf noch in der Hand.

Bolitho nickte grüßend.»Sergeant Best, freut mich, daß ihr es euch gemütlich macht.»

Der Seesoldat grinste über das ganze schmutzige Gesicht.»Aye, Sir. Hauptmann Ashby hat unsere Leute rings um das Hauptquartier verteilt. «Er deutete zum Haus hinüber.»Die Artillerie versucht immer wieder, 'ne Breitseite draufzusetzen, aber die Kirche ist im Wege. «Er verstummte, denn eine Kugel schlug in die Kirchturmspitze und riß den blinkenden Wetterhahn ab, der wie ein Vogelbalg auf den Platz fiel.»Besser gezielt diesmal«, bemerkte er mit der Sachlichkeit des Berufssoldaten.

Wütend schritt Bolitho zum Tor. Hinter der Mauer waren noch mehr Seesoldaten. Einige schliefen neben den zusammengesetzten Musketen, andere standen herum oder hockten auf den Treppenstufen. Ihre Gesichter waren von Müdigkeit und Anstrengung gezeichnet. Doch als Bolitho näher kam, kommandierte ein Korporal heiser: «Hyperion, Ach… tung!«Wie aus einer Art Betäubung erwacht, taumelten sie hoch, rissen sich zusammen und nahmen Haltung an. Und auf den trübseligen Gesichtern erschien tatsächlich eine Art Freudenschimmer, als sie ihren Kommandanten erkannten. Einer rief:»Fein, daß Sie wieder da sind, Sir! Wann kommen wir hier weg?»

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