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VI Verhandlungen

Eilig trat Bolitho in seine Kajüte und warf die Tür heftig hinter sich zu. Minutenlang empfand er dankbar den willkommenen Schatten, obwohl er wußte, es war nur eine Illusion nach der gnadenlosen Hitze auf dem Achterdeck, wo er eben einer Auspeitschung vor versammelter Mannschaft beigewohnt hatte. Gimlett, sein Steward, schlurfte nervös an ihm vorbei und starrte ihn beinahe ehrfürchtig an, als er Hut und Rock abwarf und sich das Hemd aufriß, noch bevor er seinen Degen abschnallte. Wortlos warf er Gimlett die Sachen zu und trat müde an das offene Heckfenster. Die Szene, die ihn begrüßte, war unverändert: das glatte, glitzernde Wasser des Ankerplatzes und die kahlen, in der Hitze flirrenden Berge über den hochaufragenden Klippen der Insel Cozar. Sogar das Schiff kam ihm unbeweglich, leblos vor. Das war auch keine Täuschung, denn die Hyperion war vorn und achtern direkt an der Armierung der Hafeneinfahrt festgemacht, so daß sie einen eventuellen Angreifer, der sich etwa nicht von der Batterie auf dem Felsen abschrecken ließ, jederzeit mit einer vollen Breitseite empfangen konnte.

Sein Blick fiel auf die Glaskaraffe mit dem Becher, die Gimlett ihm hingestellt hatte. Fast automatisch trank er den herben Rotwein, den sie in der eroberten Festung vorgefunden hatten. Er vermittelte die Illusion einer kurzen Erfrischung, aber wie ein nie weichendes Gespenst war der Durst bald wieder da.

Bolitho warf sich auf die Sitzbank unter dem Fenster und horchte auf das Getrappel oben, als die letzten der wegtretenden Männer unter Deck verschwanden. Es war fast Mittag, und trotz der Sonnensegel über dem Luk und Niedergang glühte das Schiff bereits wie ein Feuerofen.

In all seinen Dienstjahren als Flottenoffizier hatte er sich nie an den Anblick einer Auspeitschung gewöhnen können. Irgend etwas rührte jedesmal an seinen innersten Nerv, oder es gab einen unerwarteten Zwischenfall, der die elende Prozedur noch verlängerte.

Mit zusammengezogenen Brauen goß er sich einen zweiten Becher Wein ein. Der eben bestrafte Mann war ein Schandfleck auf dem blanken Schild von Bordroutine und Disziplin gewesen; dennoch spürte Bolitho immer noch eine merkwürdige Unruhe, obwohl alles vorbei war und der Delinquent sich irgendwo im Orlopdeck befand, wo der Arzt ihm den zerhauenen Rücken salbte und pflasterte.

Der Mann hatte Durst gehabt, ganz einfach. Im Dunkel der Nacht hatte er versucht, eines der Fässer mit dem stinkenden, halb verdorbenen Trinkwasser aufzubrechen, und ein Korporal hatte ihn dabei erwischt.

Zwei Dutzend Hiebe — nach den Maßstäben des Unterdecks ein ziemlich mildes Urteil. In der Kriegsflotte herrschte eben schnelle und strenge Disziplin. Wenn ein Mann etwas ausgefressen hatte, konnte er durchaus Glück haben und nicht erwischt werden. Wenn aber doch — nun, dann wußte er, was ihm bevorstand.

Dieser Mann hatte trotz langer Dienstzeit auf einem Dutzend Schiffen bisher Unannehmlichkeiten solcher Art vermeiden können. Vielleicht hatte er mehr Angst um sein Ansehen und seinen Stolz als vor den Schmerzen gehabt. Aber nach den ersten fünf Schlägen hatte er angefangen zu schreien und sich mit nacktem Oberkörper wie ein Gekreuzigter an der blutbespritzten Gräting gewunden.

Angeekelt starrte Bolitho in sein leeres Glas. Jetzt war es ruhig im Schiff; kein Rufen, keine winselnde Melodie des Schiffsfiedlers, kein Herumtoben der Midshipmen. Vom Feuer ihres überraschenden Sieges war kein Funken mehr vorhanden, kein Hochgefühl mehr übrig, das die lastende Dumpfheit gelockert hätte, die wie ein böses Omen über dem Schiff hing.

In plötzlich aufsteigender Wut knirschte er mit den Zähnen. Drei lange Wochen war es her, daß sie die Festung gestürmt und die französische Flagge niedergeholt hatten, und mit jedem träge da-hinkriechenden Tag wurden Spannung und Bitterkeit stärker.

Ein nervöses Klopfen an der Tür, und Whiting, der Zahlmeister, spähte vorsichtig herein.»Sie haben mich rufen lassen, Sir?«Er schwitzte mächtig, denn er war außerordentlich dick; ein mehrfaches Doppelkinn wackelte bei jedem Schritt auf seiner Brust. Normalerweise lachte er gern und oft; doch wie die meisten seines Berufes besaß er scharfe, unfehlbare Augen, und es hieß, er wisse bis zur letzten Käserinde auswendig, was an Vorräten in der Schiffslast war. Wie er so dastand und nervös von einem Fuß auf den anderen trat, erinnerte er Bolitho an einen riesigen Wels.

«Ja, das habe ich, Whiting. «Er tippte auf die Papiere vor ihm auf dem Tisch.»Haben Sie das Trinkwasser nochmals kontrolliert?»

Der Zahlmeister ließ den Kopf hängen, als ob es irgendwie seine Schuld wäre.»Aye, aye, Sir. Wenn wir die Ration auf eine Pinte[5] pro Mann und Tag kürzen, reicht es noch eine Woche. «Zweifelnd schob er die Unterlippe vor.»Aber selbst dann werden sie mehr Würmer zu trinken kriegen als Wasser, Sir.»

Bolitho stand auf und stützte die Handflächen auf das heiße Fenstersims. Das Wasser unter ihm war so klar, daß er die kleinen Fische über ihren eigenen Schatten auf dem harten Sandgrund des Ankerplatzes hin und her schießen sah. Was sollte er tun? Was konnte er tun? Drei Wochen wartete er jetzt darauf, daß die Chanticleer von der Flottenbasis zurückkehrte und Hilfe brachte. Er hatte einen ausführlichen Bericht für Lord Hood geschrieben und erwartet, daß ein Versorgungsschiff schon nach wenigen Tagen eintreffen würde. Aber zwei Wochen lang hatte sich überhaupt nichts am Horizont gezeigt. Zu Anfang der dritten Woche hatte der Ausguck auf der Festung eine französische Fregatte von Nordwesten geme l-det. Etwa eine Stunde lang hatte das feindliche Segel wie eine Fe-

der über der Kimm gestanden, war dann aber verschwunden. Ja, dachte er wütend, die Franzosen konnten warten. Ein paar Tage nach dem Angriff der Hyperion wäre ein Versorgungsschiff für die Garnison fällig gewesen. Jetzt enthielt die flache Zisterne nur Staub, und in der gnadenlosen Sonne lagen die britischen Matrosen wie tot herum und hatten nur eine Pinte am Tag, um den quälenden Durst zu stillen.

Es würde noch mehr Auspeitschungen geben, dachte er trübsinnig, stieß sich vom Fensterbrett ab und trat zum Seitenfenster. Weit hinten in der kleinen Bucht sah er die Princesa reglos wie ein geschnitztes Modell über ihrem eigenen Schatten liegen. Vielleicht, so überlegte er, hatte er ihretwegen und nicht zum Schutz vor einem Angriff von See her befohlen, daß die Hyperion am entgegengesetzten Ende der Bucht ankerte. Von dem Moment an, als die Princesa festgemacht hatte, war es zwischen den britischen und den spanischen Matrosen zu Reibereien, einige Male sogar zu offenen Prügeleien gekommen.

Nach der ersten Woche fruchtlosen Wartens hatte ihn der spanische Kapitän an Bord besucht und war ohne Umschweife zur Sache gekommen: Auf der Insel befanden sich fast hundert französische Gefangene. Hundert zusätzliche Bäuche, die mit Nahrung und Frischwasser gefüllt werden mußten.

«Wir müssen sie liquidieren«, hatte Capitano Latorre eindringlich gesagt.»Sie sind nutzlos für uns!«Sein Blutdurst war ein weiterer Grund für Bolithos Entscheidung, die Kontrolle über die Hauptfestung selbst in der Hand zu behalten. Ashbys Seesoldaten hausten dort; die spanischen Soldaten von der Princesa mußten sich mit dem alten maurischen Fort am anderen Ende der Insel begnügen.

Latorre war wütend gewesen, sowohl über Bolithos Weigerung, die Gefangenen abzuschlachten, als auch über seine ebenso entschiedene Absage, die spanische Flagge über der Batterie wehen zu lassen.

Der Zahlmeister unterbrach sein Grübeln.»Diese Spanier haben Wasser genug, Sir, bestimmt. «Er zog eine wütende Grimasse.»Hol sie der Teufel!»

Bolitho blickte ihn gelassen an.»Vielleicht, Mr. Whiting, haben Sie recht. Aber läge die Hyperion nicht hier mit ausgefahrenen

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5

= 0,57 Liter.

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