Alexander Kent
Nahkampf der Giganten
Flaggkapitän Bolitho bei der Blockade Frankreichs
Der Schlacht Getös' bannt Schiff an Schiff, und in den Lüften heult der Tod. Doch hält ihn Tag mit festem Griff, und Nacht schützt ihn vor Sterbensnot.
Julian Grenfell
I Die alte Hyperion
Die Fregatte Harvester, vor neun Tagen von Spithead ausgelaufen, drehte elegant in die leichte, ablandige Brise und ließ den Anker fallen. Das Echo ihrer Salutschüsse rollte wie ferner Donner von der hohen Wand des ewigen, immer gleichen Felsens von Gibraltar zurück. Ihr junger Kapitän blickte noch einen Moment von der Höhe des Achterdecks auf das von Matrosen wimmelnde Hauptdeck: von den scharfen Kommandos und gelegentlich auch mal vom Rippenstoß eines ungeduldigen Deckoffiziers angetrieben, schwangen die Männer die Boote aus. Das Einlaufen in einen Hafen war jedesmal ein kniffliges, spannungsreiches Manöver; der Kapitän war keineswegs der einzige an Bord, der genau wußte, daß auf den in geringer Entfernung vor Anker liegenden großen Linienschiffen, dessen mächtigstes die Konteradmiralsflagge im Vortopp führte, schon mehrere Teleskope höchst kritisch auf sein kleines Schiff gerichtet waren.
Mit einem letzten Blick schritt er nach achtern und kreuzte nach Steuerbord hinüber, wo ein hochgewachsener, schlanker Mann einsam an den Finknetzen lehnte.
«Soll ich nach einem Boot signalisieren, Sir? Oder genügt Ihnen eins von meinen?»
Kapitän Richard Bolitho riß sich aus seinen Gedanken und wandte sich dem Kapitän der Fregatte zu.
«Danke, Captain Leach; ich nehme Ihr Boot. Das geht schneller. «Er glaubte, eine Spur von Erleichterung in den Augen des Mannes zu sehen; es war ihm klar, daß es für einen so jungen Kommandanten, der noch nicht einmal planmäßiger Fregattenkapitän war, keineswegs angenehm gewesen sein mochte, ihn als Passagier an Bord zu haben.
Etwas weniger dienstlich fuhr er fort:»Sie haben ein feines Schiff, und es war eine flotte Reise. «Trotz der Morgensonne überflog ihn ein leichter Schauder, und er merkte, daß Leach ihn interessiert musterte. Aber was konnte dieser junge Mann schon davon wissen, wie ihm zumute war? Während sich die Fregatte durch den Ärmelkanal gekämpft und Brest gerundet hatte, wo wieder einmal britische Geschwader in jedem Wetter draußen waren und die französische Flotte blockierten, waren Bolithos Gedanken weit über den stampfenden Bugspriet hinausgeeilt — bis zu diesem Augenblick jetzt. Dann war es weitergegangen, quer über die Biskaya mit ihren tobenden Stürmen und tückischen Strömungen; und noch weiter nach Süden, bis die portugiesische Küste wie ein blauer Nebelstreifen weit achteraus lag. Bolitho hatte viel Zeit gehabt, an das zu denken, was vor ihm lag: sein neues Schiff, und was es ihm im Lauf der Zeit alles bringen würde. Bei seinen einsamen Gängen auf dem gischtübersprühten Achterdeck hatte er nie vergessen, daß er hier nur Passagier war; mehr als einmal mußte er sich zurückhalten, um sich nicht in die Schiffsführung einzumischen.
Aber jetzt, im Schatten des mächtigen Felsens von Gibraltar, mußte er sich derlei Gedanken aus dem Kopf schlagen. Er war nicht mehr der unabhängige Fregattenkapitän, der eigene Initiative entwickeln konnte, wie sie ein solches Kommando verlangte. In ein paar Minuten würde er ein Linienschiff übernehmen, eins von denen, die dort so behäbig und selbstbewußt an den Ankertrossen schwojten — nur zwei Kabellängen[1] entfernt. Achtern vom Flaggschiff lag eins, das sah er sich genauer an. Ein Zweidecker, eines von den Vierundsiebzig-Kanonen-Schiffen, die das Rückgrat der weit auseinandergezogenen englischen Geschwader bildeten. Die Fregatte unter seinen Füßen stampfte sogar im stillen Wasser der Reede, ihre sich verjüngenden Masten kreisten vor dem verwaschenen blauen Himmel, ihre Takelage summte wie vor Unbehagen über die Notwendigkeit, so nahe bei diesen klobigen Schiffen ankern zu müssen. Im Vergleich zu der Fregatte wirkte der Zweidek-ker vierschrötig und unbeweglich mit seinen himmelhohen Masten und breiten Rahen, der doppelten Reihe von Stückpforten; er bot ein Bild der Massigkeit und Stärke; die flinken Hafenboote nahmen sich neben ihm wie Wasserkäfer aus.
Leach sah zu, wie die Gig ums Schiff herum zur Fallreepspforte gerudert wurde. Bolithos persönlicher Bootsführer stand neben einem Stapel Gepäck wie ein mächtiger Wachhund beim kostbaren Besitz seines Herrn.
«Da haben Sie einen guten Mann, Sir«, sagte er.
Lächelnd folgte Bolitho seinem Blick.»Allday ist bei mir seit…«Der Rückblick auf die vergangenen Jahre machte ihm keine Mühe, so als warte jeder Gedanke, jede Erinnerung nur darauf, wieder aufzutauchen.»Mein erster Bootsmann ist 82 bei den Saintes[2] gefallen. Seitdem dient Allday bei mir.»
Es waren nur ein paar erklärende Worte, aber was bedeuteten sie nicht alles für Bolitho; auch Alldays Anblick war eine ständige Erin- nerung. Die Seeschlacht bei den Saintes, sein Dienst auf der Fregatte Phalarope, all das lag jetzt elf Jahre zurück; und wieder war England im Krieg.
Nachdenklich blickte Leach in Bolithos ernstes Gesicht. Während der ganzen ereignislosen Reise von Spithead bis Gibraltar hatte er das Bedürfnis empfunden, ihm menschlich näherzukommen, aber irgend etwas hatte ihn davon abgehalten. Er hatte schon viele Passagiere nach Gibraltar gebracht: Garnisonsoffiziere, Kuriere, Ersatz für Verunglückte oder Gefallene, denn der Krieg expandierte bereits nach allen Richtungen. Normalerweise war diese Aufgabe eine ganz nette Abwechslung im täglichen Einerlei. Aber etwas an Bolithos leidenschaftsloser, fast zurückgezogener Art hatte einen näheren Kontakt verhindert. Jetzt betrachtete er Bolitho mit einer Mischung aus Interesse und Neid. Bolitho war ein Kapitän von höherem Dienstalter und im Begriff, einen neuen Abschnitt seiner Karriere zu beginnen; wenn er auch nur etwas Glück hatte, würde er in ein paar Jahren, vielleicht schon in Monaten, auf der Anwärterliste für den Admiralsrang stehen.
Nach dem, was Bolitho soeben gesagt hatte, mußte er Mitte oder Ende der Dreißig sein. Er war groß und so schlank, daß er überraschend jugendlich wirkte, und wenn er lächelte, wirkte auch sein Gesicht jünger. Es hieß, Bolitho sei zwischen den Kriegen mehrere Jahre in der Südsee stationiert gewesen, hätte sich dort ein schlimmes Fieber geholt und sei als schwerkranker Mann zurückgekommen. Das konnte stimmen, dachte Leach. Da waren die tiefen, scharfen Linien um Bolithos Mund, und unter der gleichmäßigen Bräune wies seine Haut an den Backenknochen und unter den Augen jene Transparenz auf, die für eine solche Krankheit charakteristisch war. Aber das in den Nacken zurückgekämmte Haar war schwarz, ohne den geringsten Schimmer von Grau; und mit der einzelnen Strähne über seinem rechten Auge sah er aus wie ein Draufgänger, der sich ständig im Zaum halten mußte.
Ein Leutnant trat grüßend herzu.»Boot ist klar, Sir. «Bolitho streckte die Hand aus.»Also, dann einstweilen adieu, Leach. Zwe i-fellos werden wir bald wieder zusammenkommen.»
Jetzt lächelte der Fregattenkapitän zum erstenmal.»Das hoffe ich auch, Sir. «Er schnippte ärgerlich mit den Fingern.»Das hätte ich doch beinahe vergessen! Ich habe einen Midshipman[3] an Bord, der für Ihr Schiff bestimmt ist. Soll er mit Ihnen zusammen fahren?»
Es hörte sich so distanziert an, als spräche er von einem überflüssigen Gepäckstück; und trotz seiner inneren Spannung mußte Bo-litho grinsen.»Wir waren schließlich alle mal Midshipmen, Leach. Ja, er kann mitkommen«, nickte er. Dann stieg er zur Fallreepspforte hinab, wo die Bootsmannsmaaten und eine Abteilung MarineInfanteristen zur Ehrenbezeugung angetreten waren. Seine Kisten und Koffer waren bereits weg; Allday wartete an der Schanz und blickte Bolitho aufmerksam entgegen.»Alles verstaut, Captain«, meldete er und klopfte dienstlich mit den Knöcheln der geballten Faust an die Stirn.[4]