Allday sah zu Gimlett hinüber und kniff ein Auge zu.»Ich glaube, dem Käpt'n geht's tatsächlich besser!»
Der nächste Morgen war hell und klar, und als Bolitho aufs Achterdeck hinaustrat, tat ihm der salzige Wind wohler als jede Medizin. Auch hatte es während der Nacht aufgefrischt, und der Mastwimpel stand in seiner vollen Länge waagrecht ab.
Herrick hatte ihn gesehen und faßte an den Dreispitz.»Anker ist kurzstag, Sir. Klar zum Auslaufen. «Sein Ton war dienstlich, aber als sich ihre Augen trafen, verspürte Bolitho eine leise Erregung, als hätten sie ein Geheimnis miteinander.
«Recht so, Mr. Herrick. «Er nahm ein Teleskop und musterte die ankernden Schiffe. Es war ein kleines, aber eindrucksvolles Geschwader, das Bolitho, der mehr an die Einzelkämpfe einer Fregatte gewöhnt war, wie eine kleine Flotte vorkam. In sorgfältig berechnetem Abstand zerrten die beiden schweren Linienschiffe an ihren Ankertrossen. Die spanische Princesa war nicht mehr so festlich beflaggt wie damals; vermutlich, dachte Bolitho, hatte Pomfret ihrem Kommandanten klargemacht, daß kein Grund vorlag, sein Schiff so herauszuputzen. Die Tenacious lag am weitesten landeinwärts. Eben erschien ein neues Signal an ihrer Rah, und auf dem Oberdeck wurde es lebendig.
«Signal vom Flaggschiff«, ertönte Midshipman Pipers quäkende Stimme.»>Ankerauf<, Sir!»
In Lee schimpfte Caswell:»Das hätten Sie auch eher sehen können, Mr. Piper!»
Piper murmelte eine Entschuldigung, und Bolitho verbarg ein Lächeln. Als provisorischer Leutnant hatte Caswell anscheinend mühelos vergessen, daß er noch vor vier Tagen Pipers Dienst getan und alle Vorwürfe eingesteckt hatte, berechtigte wie unberechtigte.
«Bringt das Schiff in Fahrt«, sagte Bolitho.»Wir runden die Landzunge in Luv.»
Herrick setzte die Sprechtrompete an. Seine Stimme, seine Bewegungen waren vollkommen ruhig.»Klar bei Ankerspill! Setzt Stagsegel!»
Bolitho schritt zu den Finknetzen hinüber und beobachtete, wie das Transportschiff Weiland und die beiden Versorgungsschiffe, die er von Gibraltar hier her eskortiert hatte, mit der gelenkten Konfusion des Segelsetzens fertig wurden.
«Signal vom Flaggschiff«, meldete Piper laut.»Beeilen!»
Herrick wandte sich halb um und rief:»Los die Bramsegel!«Die Augen mit der Hand beschattend, verfolgte er die hektische Aktivität über Deck; es bauschte sich erst ein, dann ein zweites Segel und schlug ungeduldig in der frischen Brise.
«Anker ist klar, Sir!«Das war Rookes Stimme. Wie mag der sich wohl mit Herrick als neuem Vorgesetzten abfinden? fragte sich Bolitho.
«An die Brassen!«brüllte Herrick.»Sie da, Mr. Tomlin, scheuchen Sie die Kerls nach achtern! Ran an die Besanfallen!«Bolitho überlief es, aber es war kein Fieberschauer, sondern die altbekannte Erregung, und sie war so stark wie eh und je. Um Herrick brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Der hatte einen schwerfälligen Indienfahrer mit hohem Tiefgang gesegelt, dessen Mannschaft vermutlich aus einem Dutzend Ländern kam und sich nur unzureichend verständigen konnte — da mußte er die gutgedrillte Mannschaft der Hyperion als Erleichterung empfinden.
Gewichtig wie gepanzerte Ritter kreuzten die drei Linienschiffe langsam um die flache Landspitze von Cozar. Die Tenacious führte; Hyperion und Princesa folgten mit je einer Viertelmeile Abstand — ein imponierendes, prächtiges Bild.
Die drei Transporter mit den rotröckigen Soldaten an Bord kreuzten vorsichtiger mehr in Lee, während die Schaluppen Chanticleer und Alisma vorn und achtern wie wachsame Schäferhunde um die wertvolle Herde patrouillierten. Die schwer beschädigte Harvester war im Hafen geblieben, um ihre Reparaturen zu vollenden. Bis weitere Hilfe kam, war sie das einzige Schiff, das die Insel schützte.
Die letzte Fregatte Pomfrets, die Bat, war schon zwei Tage früher ausgelaufen und würde bei einigem Glück bereits an der französischen Küste rekognoszieren, für den Fall, daß es dort in letzter Minute Schwierigkeiten gab.
«Neues Signal vom Flaggschiff, Sir!«Piper war schon ganz heiser.»>So viel Segel setzen, wie der Wind erlaubt!»»
Herrick glich mit wippenden Zehen ein plötzliches Rollen der Hyperion aus, die eben eine steile, weißbemützte See durchstieß.»Beeilung! Setzt Bramsegel!«Er beugte sich über die Reling und deutete mit der Sprechtrompete auf einen Mann.»Du da mit dem Dolch! Ein bißchen lebhaft, sonst kriegst du den Zorn des Bootsmanns zu spüren!«Und dabei grinste er wie über einen heimlichen
Spaß.
Gossett sang aus:»Kurs Nord zu West, Sir! Voll und bei!»
Das Deck erzitterte, als sich immer mehr Segel an den vibrierenden Rahen entfalteten und die fixen Toppgasten kühn in schwindelnder Höhe ausschwärmten und sich gegenseitig anfeuerten.
Piper keuchte:»He, Seton, faß mit an! Ich habe keine Puste mehr!»
Bolitho wandte sich um, momentan abgelenkt durch Midshipman Seton, der zu Piper rannte, um seinem Freund an den Fallen zu helfen. Dann hob er wieder das Glas und richtete es auf die Insel, die unter seinem Blick wie ein brauner Schatten im Morgendunst versank. Er konnte gerade noch das kleine maurische Fort und das zerfallene Mauerwerk darunter ausmachen, und auch eine Gruppe spähender Gestalten: Sträflinge, die bereits am Wiederaufbau der vernachlässigten Verteidigungsanlagen arbeiteten. Doch jetzt sahen sie den Schiffen nach und fragten sich zweifellos, ob auch sie jemals England oder wenigstens ein anderes Land als diese verdammte Insel zu Gesicht bekommen würden.
Bolitho dachte an jemand anderen. Als Piper den Bruder des Mädchens bei Namen gerufen hatte, empfand er aufs neue jene bohrende, schmerzhafte Unruhe, die das Fieber vorübergehend gedämpft hatte. Da merkte er, daß Herrick unter dem Rand seines Dreispitzes zu ihm herüber sah, und versuchte, die Erinnerung an das Mädchen zu verdrängen. Wenigstens hatte er jetzt Herrick.
Aber ungeachtet dieses Trostes stellte er sein Glas neu ein, und als das Geschwader auf ein weiteres Signal des Flaggschiffes über Stag ging und Kurs auf die französische Küste nahm, spähte er noch immer nach Cozar hinüber.
XI Eine Geste des Vertrauens
Leutnant Thomas Herrick rückte die Schultern in dem schweren Ölzeug zurecht und lehnte sich in den Wind. Seine Augen waren wund von Salz und Gischt, und als er nach vorn zum stampfenden Vorschiff blickte, konnte er kaum glauben, daß die zweite Wache eben begonnen hatte, denn es war bereits so dunkel wie in der tiefsten Nacht. Verbissen kehrte er dem heulenden Wind den Rücken und ließ sich von ihm zum Ruder drücken, wo vier durchweichte Matrosen mit den Speichen rangen und ängstlich auf die wenigen stehenden Segel starrten, während sich das Schiff krachend und rollend der Bö in die Zähne warf. Obgleich die Hyperion außer den gerefften Bramsegeln kein Tuch fuhr, war der Druck beträchtlich, und das Brausen der See ging unter im Inferno der knatternden Segel, dem dämonischen Geheul des Riggs und dem melancholischen Janken der Pumpen.
Herrick blickte kurz auf den schaukelnden Kompaß und sah, daß die Hyperion nach wie vor Kurs hielt, fast rechtweisend Nord. Wie lange würden sie sich wohl noch mit diesem Wetter herumschlagen müssen? überlegte er. Vor vier Tagen erst war das Geschwader von Cozar ausgelaufen, doch ihm kam es wie ein Monat vor. In den ersten beiden Tagen war es bei klarem Himmel und lebhaftem Nordwest ganz gut gegangen; unter Pomfrets ständigem Signalisieren waren die Schiffe so tief in den Golfe du Lyon eingedrungen, daß jede französische Patrouille denken müßte, sie wollten eher in Toulon zu Lord Hood stoßen, als ein Unternehmen auf eigene Faust starten. Dann jedoch, als der Wind ausschoß und auffrischte, als tiefhängende, schwarzbäuchige Wolken den Himmel bedeckten, waren Pomfrets Signale noch hektischer geworden, denn die schwerbeladenen Transporter konnten die befohlenen Stationen kaum halten, und die beiden Schaluppen tanzten wie Ruderboote in dem immer wütenderen Seegang.