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VII Ein edler Ritter

Nur unter Marssegeln und Fock fuhr die Hyperion eine Halse und nahm dann endgültig Kurs auf die Hafeneinfahrt. Auf dem Oberdeck und den Decksgängen trieben sich Matrosen der Freiwache herum und starrten beinahe ehrfürchtig auf die Szenerie, die sie jenseits der Festung und des kahlen Vorgebirges grüßte. Bolitho hob sein Teleskop und schwenkte es langsam von einer Seite zur anderen. Kaum zu glauben, daß es die gleiche leere Ankerstelle war, die er am Tag vorher verlassen hatte. Als der Ausguck gemeldet hatte, daß er hinter den Klippen Mastspitzen ausmachen könne, hatte Bolitho das für eine von Hoods Versorgungsschiffen oder allenfalls für eine Fregatte mit Depeschen und neuer Segelorder gehalten. Doch als das Schiff langsam auf die buckligen Hügel zuglitt, wurde ihm klar, daß es sich um ganz etwas anderes handelte.

In der Mitte des Naturhafens lag ein hochbordiger Dreidecker vor Anker, an dessen Hauptmast ein Konteradmiralswimpel schlaff herabhing. Jenseits dieses Schiffes, nahe an der Pier, ungefähr dort, wo die Karronade die französischen Soldaten dezimiert hatte, lag noch ein großes Fahrzeug, seinem Bau nach ein Versorgungsschiff. Im flacheren Wasser östlich davon ankerte eine kleine Schaluppe, die er sofort als die Chanticleer erkannte. Die spanische Princesa lag noch an derselben Stelle wie am Vortag; aber noch eindrucksvoller als die Schiffe selbst war die Geschäftigkeit an Bord und der Betrieb im Hafen.

Um die Schiffe herum sowie zwischen ihnen und der Pier verkehrten Boote jeder Form und Größe: Kutter, Gigs, Barkassen und Jollen in unübersehbarer Zahl; und als Bolithos Glas den Abhang erfaßte, sah er ein großes, rechteckiges Zeltlager, an dessen vereinzelten Lagerfeuern sich winzige, scharlachrote Gestalten zu schaffen machten. Anscheinend war jetzt auch britische Infanterie auf der Insel.

Zusammenfahrend merkte er, daß die Hyperion schon die schützenden Arme der Einfahrt passiert hatte; doch Rooke stand, wie er mit einem raschen Blick feststellte, immer noch steif an der Achterdeckreling, die Sprechtrompete wie bei der Parade unterm Arm.

«Halsen Sie gefälligst!«befahl Bolitho ärgerlich.

Rooke wurde rot und hob die Trompete:»Klar zum Halsen! An die Luvbrassen!»

Bolitho preßte die Lippen zusammen. Im Kampf und bei der täglichen Routine war Rooke ein recht brauchbarer Offizier; aber jedesmal, wenn er die mächtige Hyperion in engen Gewässern verantwortlich führen sollte, wurde er merklich kleiner.

Pearse, der Stückmeister, stand am Vormast und spähte unter der schützenden Hand zum Achterdeck hinauf. Bolitho nickte kurz, und mit dumpfen Salutschüssen, deren Echo rund um die Klippen rollte, erwies die Hyperion dem Konteradmiral, wer das auch sein mochte, ihren Respekt.

Bolitho wußte, daß er sich um den Salut nicht weiter zu kümmern brauchte. Das war Routinesache. Während die Geschütze im Fünfsekundenabstand krachten und das Schiff in einer Wolke driftenden Pulverqualms weiterkroch, schätzte er die Entfernung ab. Mit Augen und Verstand nahm er die glatte Wasserfläche unter den hohen Klippen, den immer lebloser hängenden, langen Admiralswimpel wahr.

«An die Marsschoten!«schrie Rooke atemlos.»Hol dicht!«Die sonnenbraunen Matrosen auf den sich nach außen verjüngenden Rahen bewegten sich im Takt und völlig gleichgültig gegenüber der schwindelnden Höhe.

«Leeruder!»

Mit der fast ganz abgeflauten Brise drehte sich die Hyperion in den Wind; was sie noch an Segeln führte, verschwand, als Bolitho ein rasches Handzeichen gab, und vom Vorschiff kam der Ruf:»Laß fallen Anker!«Mit halbem Ohr hörte er den Anker ins Wasser platschen und die Trosse polternd abrollen. Endlich war auch der Salut vorbei, und er konnte wieder klar denken.

Midshipman Caswell unterbrach die plötzliche Stille. Er hatte sein Glas auf das Flaggschiff gerichtet, denn er mußte die Signalflaggen unter seinen Rahen als erster erkennen, sobald sie sich entfalteten. »Tenacious an Hyperion! >Bitte Kommandant in fünfzehn Minuten an Bord

Allday wartete schon an der Kampanje.»Gimlett soll meine Paradeuniform bereitlegen«, rief Bolitho ihm zu.»Und dann lassen Sie mein Boot zu Wasser!«Er fragte Gossett, der auf den mächtigen Dreidecker starrte:»Kennen Sie ihn?»

Nachdenklich schob Gossett die Unterlippe vor.»Die Tenacious lag eine Zeitlang mit uns vor Brest, Sir. Dann mußte sie nach Ply-mouth zur Überholung. Damals hatte sie keinen Admiral an Bord.»

Caswell sah von seinem Flottenhandbuch auf. »Tenacious, neunzig Kanonen, Sir. Kommandant Matthew Dash.»

In Bolithos Hirn formte sich ein vages Bild.»Ich habe ihn einmal getroffen«, sagte er nur. Dennoch, es würde eine ganze Menge davon abhängen, was für ein Mann der Konteradmiral war. Bolitho eilte in seine Kajüte, warf den abgewetzten Dienstrock ab und zerrte sich die ausgebleichte Weste vom Leib. Dann fuhr er rasch in ein sauberes Hemd und kämmte sich, während Gimlett ihn wie ein ängstliches Gespenst umflatterte. Lord Hood ist ja alt genug, um auf solche Äußerlichkeiten keinen großen Wert zu legen, dachte Bolitho grimmig, aber sein Konteradmiral ist da offenbar anderer Ansicht. Die fünfzehn Minuten Frist sprachen für sich selbst.

Er hörte sein Boot längsseit dümpeln und Alldays scharfe Kommandos. Und die ganze Zeit gingen ihm die Möglichkeiten im Kopf herum, die sich jetzt aus der Anwesenheit eines Neunzig-Kanonen-Linienschiffes und der neu eingetroffenen Soldaten ergaben. Lord Hood mußte die Wichtigkeit seines ersten Berichtes erkannt haben. Anscheinend war die bevorstehende Aktion bereits mehr als eine skizzenhafte Idee.

Er fluchte, als Gimlett ihm das Halstuch zurechtzupfte und an dem Degen herumzerrte. Wie ein altes Weib ist der Kerl, dachte er verzweifelt.

Rooke erschien in der offenen Tür.»Gig ist klar, Sir. «Jetzt, da das Schiff vor Anker lag, schien er sich wesentlich wohler zu fühlen.

Bolitho fuhr in die Ärmel des goldbetreßten Galarocks mit den weißen Aufschlägen und sagte:»Alle Boote zu Wasser, Mr. Rooke. Schicken Sie die Mannschaft der Fairfax an Land, und warten Sie dann weitere Befehle ab. «Er steckte den mit so viel Mühe formulierten Bericht ein und fuhr fort:»Nächstesmal, wenn wir einen Hafen anlaufen, müssen Sie versuchen, ein Gefühl für das Schiff zu bekommen, verstehen Sie?»

«Der Wind machte mir Sorge, Sir«, antwortete Rooke unbewe g-ten Gesichts.»Sie hat so starken Bewuchs am Unterwasserschiff, daß sie unberechenbar ist.»

Bolitho griff nach seinem Dreispitz.»Bis auf weiteres fungieren Sie auf der Hyperion als Erster Offizier und sind dementsprechend für alles verantwortlich. Dazu gehört auch der Wind und jede verdammte Einzelheit binnen- und außenbords — verstanden?»

Rooke stand stramm.»Aye, aye, Sir.»

«Gut. «Er schritt wieder in das Sonnenlicht hinaus, an der Abteilung vorbei, die zum Seitepfeifen angetreten war, blieb aber an der Fallreepspforte noch einen Moment stehen.»Wie ich sehe, fährt die Chanticleer den Postwimpel, Mr. Rooke. Ich schicke ein paar Depeschen hinüber; und wenn unsere Leute etwa Briefe haben, dann schicken Sie sie mit. «Er hielt inne; sein Blick fiel auf die angetretene Reihe Bootsmannsmaaten mit ihren angesetzten Querpfeifen, auf die Trommeljungen mit ihren weißen Garnhandschuhen und auf Leutnant Inch mit seinem Teleskop. Daß keine Seesoldaten dabei waren, kam ihm seltsam vor.

«Mr. Quarmes persönliche Sachen packen Sie am besten zusammen und schicken sie mit hinüber«, sagte er dann abschließend. Er suchte in Rookes Augen nach einem Schimmer von Bedauern oder Mitleid. Aber der faßte nur an seinen Hut und trat beiseite. Unter dem Schrillen der Querpfeifen kletterte Bolitho hinunter in das wartende Boot.

Captain Dash von der Tenacious begrüßte Bolitho herzlich. Er war etwa Mitte Fünfzig, ein untersetzter, derber Mann mit rauher, kratziger Stimme, doch wenn er lächelte, wirkte er freundlich und gutmütig. Er war eines der seltensten Produkte der Kriegsmarine, denn er hatte seine Karriere im Unterdeck begonnen; als Schiffsjunge war er freiwillig eingetreten und hatte es, was Bolitho sich kaum richtig vorstellen konnte, durch Anstrengung und Willenskraft, mit Zähnen und Klauen, bis zum Kommandanten eines Linienschiffs gebracht.

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