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Quarme war viel zu dicht unter Land. Vielleicht hatte er sich verschätzt — oder wollte er dem Feind einen möglichst realistischen Eindruck bieten?

«Der Narr dort soll sich besser verstecken!«hörte er Rooke schimpfen. Zwei hornhäutige Füße ragten unter der Persenning hervor; ein Deckoffizier ließ seinen Tampen darauf niedersausen — ein Schrei, und weg waren sie.

Bellamy war natürlich mehr an seinem eigenen Schiff interessiert als an der Gefahr, in der sich die Hyperion befand. Er stand neben dem Ruder und achtete scharf auf Kompaß und Segel, denn die dunkle Landzunge sprang ihnen entgegen wie ein Stier, der die Chanticleer auf die Hörner nehmen wollte.

Er senkte die Hand.»An die Brassen! Schneller, faule Bande!«Unter protestierendem Quietschen und Knarren erzitterte die Schaluppe und ging dann unter dem Druck von Wind und Ruder auf den anderen Bug. Ein einzelnes Riff hätte beinahe ihren Kiel angekratzt, als sie das Vorgebirge rundeten. Dahinter winkte das flache Wasser des Hafenbeckens einladend wie eine gutbeköderte Falle.

«Kürzen Sie jetzt die Segel, Mr. Bellamy«, sagte Bolitho ruhig.»Und die Männer unter Deck sollen sich fertigmachen!«Seine Hand am Degengriff war feucht von Schweiß.

Er wandte sich um und beobachtete, wie sich der Umriß der Hyperion verkürzte — sie schickte sich an zu halsen, um näher an die Küste zu kommen. Auch sie hatte jetzt gerefft. Er hielt den Atem an, denn dicht an ihrem Rumpf sprangen wieder zwei Fontänen hoch. Die Franzosen feuerten jetzt schneller; anscheinend war, wie er es vorausgesehen hatte, die Batterie zur See hin verstärkt worden. Er drehte sich um. Lieber wollte er nach vorn blicken, als noch länger die gefährlichen Manöver der Hyperion mitansehen. Eine Anzahl Matrosen der Schaluppe drängten sich auf der Back zusammen und starrten zur breiten Hafeneinfahrt. Ärgerlich rief er ihnen zu:»Schaut nach achtern, ihr Idioten! Als Franzosen müßt ihr mehr Angst vor der Hyperion haben als vor eurem eigenen Ankerplatz!»

Seine Worte machten die Männer sicherer und lockerten auch seine eigene Spannung.

«Da ist die Pier, Sir«, sagte Rooke. Bolitho nickte. Es war nur ein primitiver hölzerner Steg, von dem sich ein schmaler Pfad in eine Kluft zwischen den Bergen schlängelte. Dort war es schon recht lebendig, und er konnte eben noch das Rohr eines alten Feldgeschützes ausmachen, das sich zwischen seine mächtigen eisenbeschlagenen Räder duckte.

«Stetig jetzt, Mr. Bellamy!«Er mußte sich die trocknen Lippen lecken.»Steuern Sie zunächst den Liegeplatz hinter der Pier an! Aber wenn Sie auf Kabellänge ran sind, nehmen Sie die Segel weg und Kurs auf den Steg! Inzwischen sind Sie im Windschatten der Berge, aber das Schiff müßte genug Restfahrt haben, um glatt reinzukommen.»

Widerwillig löste Bellamy die Augen vom Bug.»Wird der Bordwand nicht behagen, Sir!«Aber dann grinste er breit.»Bei Gott, das ist besser, als Flottenpost fahren!»

Bolitho warf schnell einen Blick auf Inch, den pferdegesichtigen jüngsten Leutnant der Hyperion, dessen Kopf vom Niedergangsluk eingerahmt war — hinter ihm warteten, enganeinandergepreßt wie Erbsen im Faß, die restlichen Männer des Landungskommandos. Für die muß es noch schlimmer sein, ging es ihm durch den Kopf. In dem engen, stockfinsteren Laderaum zusammengepfercht, hatte ihnen nur die eigene Angst und der Geschützdonner Gesellschaft geleistet.

«Winkt den Soldaten an Land zu!«rief Bolitho. Einige Matrosen glotzten ihn verständnislos an. »Winkt! Ihr seid doch gerade dem verdammten Engländer entwischt!»

Seine Stimme klang so wild und böse, daß tatsächlich ein paar Männer in gellendes, irres Gelächter ausbrachen und wie verrückt zu den Leuten an der Pier hinübergestikulierten. Und die winkten zurück!

Erleichtert wischte Bolitho sich die Stirn mit dem Hemdsärmel und sagte:»Wenn Sie soweit sind, Mr. Bellamy…»

Ein kurzer Blick nach ac htern zeigte ihm, daß die Hafeneinfahrt tatsächlich schon von der keilförmig vorspringenden Landzunge verdeckt war. Darüber konnte er die obersten Rahen der Hyperion sehen und verspürte ungeheure Erleichterung, denn sie halste bereits wieder und nahm Kurs auf die offene See, wo ihr nichts mehr passieren konnte.

«Jetzt! Leeruder!«schrie Bellamy heiser. Als Bolitho wieder nach vorn blickte, zeigte der Bugspriet bereits auf die Kluft zwischen den Bergen. Vorsichtig zog er den Degen aus der Scheide und ging zum Vorschiff, wo die Karronade wartete.

V Kurz und scharf

Mit gerefften Segeln glitt die Chanticleer stetig auf den primitiven hölzernen Steg zu, wo sich etwa dreißig französische Soldaten eingefunden hatten und zusahen, wie das Schiff einlief. Etwas seitlich von den schwatzenden Soldaten hatte ein hochmütiger, schnurrbärtiger Offizier zu Pferde Posten bezogen. Reglos saß er im Sattel, nur seine Hände und Füße bewegten sich leicht, um das nervöse Pferd zu beruhigen, denn immer noch feuerte die Festungsbatterie hinter der Hyperion her, die schon nicht mehr zu sehen war.

Aber dann, als die überladene Schaluppe schwankend näher kam, schienen die vordersten Soldaten zu merken, daß etwas nicht stimmte. In den nächsten Sekunden überschlugen sich die Ereignisse. Im Vorschiff schrillte eine Pfeife, die letzte Stückpforte sprang auf, die Karronade schob sich unbeholfen vor und wurde sichtbar, die Persenning an Deck wurde weggerissen, darunter und aus allen Niedergängen schwärmten Seesoldaten und Matrosen heraus — auf einmal wimmelte das Deck der Sloop von Menschen. Die französischen Soldaten wichen zurück, um sich auf dem geschützten Pfad in Sicherheit zu bringen; aber es war zu spät, denn hinter ihnen versuchten ihre Kameraden, zum Steg vorzustoßen; hier und da rief noch der eine oder andere Hurra und winkte der Trikolore im Masttopp zu.

Die Karronade brüllte los wie Donner. Zwischen den engen Klippen war die Druckwelle der Explosion so stark, daß sie ein paar kleine Steinlawinen löste. Hunderte erschrockener Seevögel flatterten unter Protestgeschrei auf und zogen hoch am Himmel ihre wirbelnden Kreise.

Die mächtige Kugel pflügte durch die dichtgedrängten Soldaten und schlug hinter ihnen in die Lafette des Feldgeschützes. Ein zweites helles Aufblitzen; und als sich der Pulverqualm von Deck verzogen hatte, sah Bolitho den blutigen Pfad, den die Kugel gerissen hatte: rechts und links stürzten Soldaten sterbend nieder.

Er senkte den Degen:»Feuer!»

Jetzt kamen die kleinen Bordgeschütze an die Reihe. Sie waren mit Schrapnell geladen, und sobald ihr peitschenartiger Knall sekundenlang die Todesschreie und das Schmerzgebrüll an Land übertönte, mähten die Ladungen aus den kleinkalibrigen Rohren alle, die noch standen, nieder wie Gras.

Bolitho sprang über die Schanz an Land; seine Schuhsohlen rutschten auf Blut und Fleischfetzen; wie ein lebender Strom folgten ihm die Männer, und ihre Augen glühten dumpf, als wären sie halb betäubt von der Schlächterei ringsum.

Schrapnells bohrten sich in den Steg, und mit protestierendem Knarren kam die Chanticleer zum Stehen. Ihr Deck bebte, als Matrosen und Seesoldaten an Land stürzten, wo die Offiziere sie in provisorischer Marschordnung formierten.

Nur eine Handvoll Franzosen rannten den Pfad zurück, verfolgt von den Musketenschüssen eifriger Marine-Infanteristen und dem Hohngeschrei der Matrosen, die meist mit Piken und Entermessern bewaffnet waren.

Bolitho packte Ashby am Arm.»Sie wissen, was zu tun ist. Ziehen Sie Ihre Abteilung gut auseinander. Es muß so aussehen, als wären wir doppelt so viele.»

Ashby nickte heftig, sein Gesicht glühte scharlachrot vom Rennen und Schreien.

Es brauchte noch viel mehr Geschrei, um die erregten Seesoldaten in Marschordnung auf den Pfad zu bringen. Hell hoben sich die roten Uniformen von dem schwärzlich-blutigen Hintergrund aus zerfetzten Leichen und gekrümmten Verwundeten ab.

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