Bolitho hoch.»Aber um Gottes willen, Miss Seton, was machen Sie hier?»
Das Mädchen antwortete nicht gleich, sondern kniete sich neben Dalby hin und tupfte ihm Blut und Speichel von Gesicht und Brust. Selbst noch im gelben Laternenschein schien Bolithos Irrtum begreiflich: In Uniformrock und weißer Kniehose, das starke kastanienbraune Haar im Nacken zusammengebunden, war Cheney Seton leicht für einen Jüngling zu halten.
Dalby starrte sie an und versuchte zu lächeln.»Kein Kanonenboot, Miss. >Linienschiff< heißt das bei der Marine…«Sein Kopf sank zur Seite, und er war tot.
Bolitho sagte:»Ich hatte doch angeordnet, daß Sie bis auf weiteres in der Fähnrichsmesse bleiben sollten!«Er fühlte sich auf einmal nicht mehr erschöpft und verzweifelt, sondern eher ärgerlich.»Hier ist keineswegs der rechte Ort für Sie!«Ihre Uniform und das am Hals offene Hemd waren blutbefleckt.
Ernsthaft, betroffen und anteilnehmend blickte sie ihm ins Gesicht.»Sie brauchen sich um mich keine Sorgen zu machen. Auf Jamaika habe ich viele Menschen sterben sehen. «Sie wischte sich eine Haarsträhne aus den Augen.»Als das Gefecht anfing, wollte ich helfen. «Sie blickte auf Dalby nieder.»Ich mußte einfach helfen. «Dann sah sie wieder Bolitho an, und ihre Augen hatten einen fast flehenden Ausdruck.»Verstehen Sie das nicht?«fragte sie, streckte die Hand aus und faßte seinen Ärmel.»Bitte seien Sie nicht böse. «Lange sah sich Bolitho auf dem wüsten Orlopdeck um. Die nackten Körper der Verwundeten und Toten lagen durcheinander, wie makabre Skulpturen, und Rowlstone operierte an seinem Tisch mit einer Selbstverständlichkeit, als existiere für ihn nur, was vor ihm im schwankenden Lichtkreis der Laterne lag. Ruhig entgegnete Bolitho:»Ich bin nicht böse. Wahrscheinlich hatte ich nur Angst um Sie. Jetzt haben Sie mich beschämt. «Er wollte aufstehen, war aber zu keiner Bewegung fähig.
Sie antwortete:»Ich horchte auf den Kanonendonner und fühlte das Schiff beben, als würde es auseinandergerissen. Und die ganze Zeit dachte ich an Sie dort oben — so ungeschützt.»
Bolitho beobachtete schweigend ihre ausdrucksvollen Hände, das Heben und Senken ihrer Brust, während sie das Furchtbare aufs neue durchlebte.
«Da wollte ich diesen Männern hier unten helfen«, fuhr sie fort.»Ich dachte, sie würden es mir verübeln, daß ich am Leben und noch heil war. «Sie senkte die Augen, und er sah ihre Lippen zittern.»Geflucht und geschimpft haben sie weiß Gott genug, aber keiner hat sich beklagt, nicht einer!«Wieder sah sie ihm in die Augen, diesmal beinahe mit Stolz.»Und als sie hörten, Sie würden herunterkommen, haben sie tatsächlich versucht, Hurra zu rufen!»
Bolitho stand auf und half Cheney auf die Füße. Sie weinte jetzt, fast tränenlos, und widerstrebte nicht, als er sie durch die tiefhängenden Laternen zum Niedergang führte.
An Deck überraschte es ihn, daß die Sonne immer noch so hell schien, daß die Schiffe weitersegelten, unbekümmert um das, was achteraus lag, und um die Männer, die sie trugen. Er schritt über das Achterdeck mit seinen großen roten Flecken und den zersplitterten Planken, vorbei an den Rudergasten, die genau auf den Kompaß und den Stand jedes einzelnen pockennarbigen Segels achteten. An der Kajütentür sagte er leise:»Versprechen Sie mir, daß Sie sich hinlegen.»
Sie wandte sich um und blickte ihm forschend in die Augen.»Müssen Sie schon gehen?«Doch dann zuckte sie leicht die Schultern, oder vielleicht war sie auch nur erschauert.»Das war eine dumme Frage. Ich weiß ja, was Sie zu tun haben. Alle oben warten auf Sie. «Ihre Geste bei diesen Worten umfaßte das ganze Schiff und jeden Mann an Bord. Schüchtern berührte sie seinen Arm und schloß:»Ich habe vorhin den Ausdruck Ihrer Augen gesehen und verstehe Sie jetzt besser.»
Von oben hörten sie einen Ruf:»Captain, Sir, die Harvester bittet um Erlaubnis, für die Bestattungen beizudrehen!»
«Erteilt!«rief Bolitho zurück. Sein Blick war noch immer auf das Gesicht des Mädchens gerichtet, und sein Verstand wehrte sich dagegen, an die tausend Dinge zu denken, die seiner harrten. Endlich sagte er:»Sie haben uns heute sehr geholfen. Ich werde das nicht vergessen.»
Er wandte sich um, der Sonne zu, und hörte noch ihre leise Erwiderung:»Ich auch nicht, Captain!»
X Ein guter Offizier
Sir Edmund Pomfret stand neben dem großen Heckfenster in seiner Tageskajüte, sorgfältig den einfallenden grellen Sonnenschein meidend. Während des ganzen Berichts hatte er die gleiche Stellung beibehalten: breitbeinig, die Arme auf der Brust verschränkt, Bolitho den Rücken zuwendend, so daß dieser weder des Admirals Gesicht sehen noch dessen Stimmung erraten konnte. Die Hyperion hatte erst die Transporter und dann die schwer beschädigte Harve-ster in die schützenden Arme des Naturhafens einlaufen lassen und dann in der Morgenfrühe unterhalb der Bergfestung Anker geworfen. Bolitho hatte eigentlich erwartet, sofort auf die Tenacious gerufen zu werden; doch aus Gründen, die nur Pomfret kannte, hatte er bis sieben Glasen der Vormittags wache warten müssen, ehe das kurze Signal» Kommandant unverzüglich an Bord «auf dem Flaggschiff erschien.
Jetzt, als Bolitho die ausführliche Beschreibung seiner Verteidigung des Konvois abschloß, fühlte er sich so müde und schlapp, als hätte er ein Schlafmittel eingenommen; daher konnte er seinen Worten so distanziert zuhören, als beträfen sie jemand anderen. Pomfret hatte ihn nicht gebeten, Platz zu nehmen. Außer ihm war noch ein rotgesichtiger Infanterie-Oberst in der Kajüte, den Pomfret kurz als Sir Tonquil Cobban, Kommandeur der auf Cozar stationierten Soldaten, vorstellte. Jedoch war Pomfret ebenfalls stehengeblieben, und trotz seiner breitbeinigen Positur und der unbewe g-ten Schultern wirkte er nervös und gereizt.
«So haben Sie also die Snipe verloren, wie?«fragte er unvermittelt.
Es klang wie eine Anklage, doch Bolitho erwiderte nur müde:»Wenn ich noch ein weiteres Begleitschiff gehabt hätte, Sir, dann wäre es vielleicht anders gekommen.»
Ungeduldig riß Pomfret den Kopf hoch.»Wenn, wenn! Die ganze Zeit höre ich immer nur >wenn
«Sechzehn Tote und sechsundzwanzig Verwundete, von denen die meisten wohl durchkommen werden.»
«Hm. «Langsam wandte Pomfret sich um und trat an seinen Schreibtisch, auf dem eine große farbige Seekarte lag. Lässig sagte er:»Ich hätte noch ein paar Tage auf Sie gewartet, aber dann wäre ich auch ohne Nachschub abgesegelt. «Er warf Bolitho einen forschenden Blick zu.»Ich habe Nachricht von Lord Hood. Seine Truppe ist in Toulon gelandet, und ich habe Befehl, St. Clar einzunehmen.»
«Jawohl, Sir. «Auf diese Nachricht hatte Bolitho gewartet, doch nun, da sie kam, erschien sie ihm wie eine Wende zum Negativen. Er wußte, daß Pomfret und der Colonel ihn genau beobachteten, und gab sich Mühe, seine Gedanken in Zaum zu halten. Er fragte:»Wünschen Sie, daß ich nochmals mit den Stadtvätern verhandle, Sir?»
Pomfret runzelte die Stirn.»Keineswegs. Ich war in Ihrer Abwesenheit nicht faul und habe alles fest in der Hand, das kann ich Ihnen versichern. «Er wandte sich mit einem flüchtigen Lächeln dem Oberst zu.»Die Frogs müssen sich jetzt anständig benehmen,
eh?»
Nun erst sprach der Colonel. Er hatte eine dumpfe, dröhnende Stimme und trommelte sich bei jedem Wort auf den tadellosen Uniformrock.»Jawohl, bei Gott! Da General Carteau auf Toulon marschiert, haben unsere neuen Alliierten in St. Clar gar keine andere Wahl, als uns zu unterstützen!«Der Gedanke schien ihm Spaß zu machen.
Pomfret nickte.»Nun, Bolitho, ich wünsche, daß Sie Ihr Schiff unverzüglich wieder seeklar machen.»
«Die Reparaturen sind in vollem Gang, Sir. In den vier Tagen nach dem Gefecht haben wir alle Schäden an der Takelage beseitigt, und auch die meisten Innenreparaturen sind schon fertig.»