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Da Pomfret die Seekarte studierte, bemerkte er nicht, wie sich Bolithos Miene plötzlich verändert hatte. Vier Tage. Obwohl er sich die ganze Zeit bemüht hatte, nicht daran zu denken, fiel ihm jetzt alles wieder ein. Er hatte gehofft, die sichere Rückkehr mit den Transportschiffen und die Anstrengung, sein Schiff wieder seeklar zu machen, würden die Erinnerung an diese vier Tage zurückdrängen, bis sie durch Zeit und Entfernung so undeutlich wurde, daß sie nicht mehr schmerzte. Aber ganz ohne sein Zutun hatte er auf einmal wieder das Gesicht Cheneys vor Augen, wie sie ihm zugehört hatte, als er ihr von seinem Schiff erzählte, während sie auf dem Achterdeck gemeinsam den Matrosen und Zimmerleuten zusahen, welche die Narben der Schlacht beseitigten.

Am zweiten Abend, kurz vor Sonnenuntergang, war Bolitho mit ihr über den Luvdecksgang geschritten und hatte ihr das komplizierte Labyrinth des Riggs erläutert, die Sehnenstränge, welche die Kraft des Schiffes weiterleiteten. Da hatte sie leise gesagt:»Danke, daß Sie mir das erklärt haben. Damit haben Sie mir das Schiff lebendig gemacht.»

Cheney hatte das alles weder langweilig noch komisch gefunden. Es hatte sie wirklich interessiert, auch wenn seine Art zu sprechen nur deshalb so eindringlich war, weil Schiffe das einzige waren, wovon er etwas verstand, das einzige Leben, das er kannte.

In diesem Moment war ihm klargeworden, daß sie unabsichtlich die Wahrheit getroffen hatte.»Ich freue mich, daß Sie es so sehen«, hatte er geantwortet und dann auf die dunklen Geschütze im Schatten der Decksgänge gedeutet.»Die Leute an Land sehen so ein Schiff weit draußen vorbeisegeln, denken aber selten an die Menschen, die darin leben und sterben. «Dabei hatte er auf das leere Vorschiff gestarrt und sich all jene vorgestellt, die vor ihm auf diesem Schiff gewesen waren und nach ihm kommen würden. Seine Hände umklammerten die Reling.»Sie haben ganz recht — ein Schiff besteht nicht bloß aus Holz.»

An einem anderen Abend hatten sie miteinander in der Kajüte gespeist, und wieder hatte sie ihn zum Erzählen gebracht — von seinem Zuhause in Cornwall, seinen Reisen, den Schiffen, auf denen er gedient hatte.

Während die Seemeilen unter dem Kiel der Hyperion wegglitten, schienen sie beide zu empfinden, daß aus diesem seltsamen Gefühl von Kameradschaft und Verständnis etwas anderes erwuchs. Sie sprachen nicht davon; doch während der letzten beiden Tagen mieden sie einander und kamen nur noch in Gesellschaft anderer zusammen. Kaum war der Anker klatschend gefallen, kam auch schon ein Boot längsseits: Lieutenant Fanshawe, Pomfrets Adjutant, holte Cheney ab.

Sie war in demselben grünen Kleid aufs Achterdeck gekommen, das sie getragen hatte, als er sie zum erstenmal sah, und hatte zu der düsteren Festung auf den kahlen Bergen hinübergestarrt. Bolitho merkte, daß viele Matrosen auf den Decksgängen oder in den Wanten standen, und er spürte die Traurigkeit, die über dem Schiff hing. Sogar die Deckoffiziere konnten oder mochten die Leute nicht an die Arbeit zurücktreiben und sahen ebenfalls zu, wie das Mädchen tapfer den versammelten Offizieren die Hände schüttelte und seinen Bruder auf die Wange küßte. Bolitho selbst hatte sich Mühe gegeben, in möglichst formellem Ton zu sprechen.»Wir alle werden Sie vermissen. «Gossett hatte heftig dazu genickt.»Es tut mir leid, daß Sie so viel durchmachen mußten. «Und dann wußte er nicht weiter.

Sie hatte ihn mit einer gewissen Bestürzung angesehen, als würde ihr erst jetzt, angesichts der Insel, klar, daß die Reise unwiderruflich zu Ende ging. Dann hatte sie gesagt:»Ich danke Ihnen, Cap-tain. Ich hatte es sehr gut an Bord. «Und hatte ringsum in die stummen Gesichter geblickt.»Es waren Tage, die ich nie vergessen werde.»

Bolitho fuhr zusammen, denn auf einmal hörte er wieder Pom-frets Stimme.». und ich nehme an, Sie werden Ihre Verluste mit den Überlebenden der Snipe ersetzen oder auch auf den Transportern geeignete Leute finden.»

«Jawohl, Sir. «Mühsam konzentrierte er sich auf die vielen Einzelheiten, die noch zu erledigen waren. Dalby war tot, und er hatte Caswell zum Vizeleutnant befördert, um die Lücke in seinem Offiziersstab zu füllen. So war das eben: ein Mann starb, ein anderer stieg auf.

Die Schwerverwundeten mußten an Land oder auf eines der Transportschiffe geschafft werden, wo sie ordentlich gepflegt werden konnten. Der Bestand an Kugeln, Pulver und zahllosen anderen Dinge mußte ergänzt werden.

Cobban erhob sich, seine gewaltigen, blankgewichsten Stiefel knarrten heftig. Er war sehr groß; wenn er stand, wirkte Pomfret neben ihm wie ein Zwerg.»Nun«, dröhnte er,»ich gehe an Land. Wenn wir St. Clar am Fünften einnehmen wollen, ist vorher viel zu tun. «Er hängte den Säbel ein und runzelte nachdenklich die Stirn.»Immerhin ist es im September kühler, da marschiert es sich besser. Meine Truppen werden jedenfalls tun, was ihnen befohlen wird. «Und Bolitho sah an den schmalen, zusammengepreßten Lippen des Colonel, daß ihm seine Offiziere vermutlich ziemlich gleichgültig waren — von den einfachen Soldaten ganz zu schweigen.

Pomfret wartete, bis Cobban draußen war, und sagte dann gereizt:»Sehr lästig, das Militär, aber unter diesen Umständen. «Er tippte flüchtig auf die Karte.»Ich nehme an, Miss Seton befand sich während der Schlacht an einem sicheren Ort?»

Vielleicht weil er dauernd an sie gedacht hatte oder auch, weil seine Müdigkeit ihm einen Streich spielte, kam es Bolitho vor, als klinge Pomfrets Frage nervös oder sogar argwöhnisch.

«Jawohl, Sir«, antwortete er und schlug die Augen nieder, als ihm wieder die nackten Gestalten im Orlopdeck, die schwingenden Laternen, das Mädchen in blutbespritzter Uniform in den Sinn kamen.

«Gut«, nickte Pomfret.»Freut mich zu hören. Ich habe sie in der Festung untergebracht. Das wird ausreichen, bis. «Er beendete den Satz nicht. Es war auch nicht nötig.

Bolitho erwiderte nur:»Meine Zimmerleute haben ein paar Möbel gebaut. Ich dachte, dann würde es Miss Seton in der Festung etwas gemütlicher haben.»

Pomfret blickte ihn sekundenlang an.»Aufmerksam von Ihnen. Höchst aufmerksam. Ja, Sie können die Sachen hinüberschaffen lassen, sobald es Ihnen paßt. «Er schritt zum Fenster und sprach rasch weiter:»Wir segeln am Ersten des Monats. Haben Sie Ihr Schiff bis dahin fertig!«Er starrte zum schwarzen Rumpf des Sträflingsschiffes hinüber.»Abschaum! Der letzte Dreck von Newgate, selbstverständlich. Aber für das, was hier zu tun ist, genügen sie. «Und ohne sich umzudrehen, schloß er:»Das war's, Bolitho.»

Bolitho trat in die blendende Helle hinaus. Pomfret hatte nicht einmal ihm oder seinen Leuten gratuliert, daß sie die kostbaren Transporter gerettet und dabei sogar noch zwei Angreifer zu Wracks geschossen hatten. Typisch für den Mann, dachte er bitter. Solche Leistungen waren für Pomfret offenbar selbstverständlich. Nur zu einem Mißerfolg hätte er etwas gesagt, und Bolitho konnte sich auch vorstellen, was.

Stumm kletterte er in seine Gig und setzte sich auf der Heckbank zurecht. Als sich die Riemen hoben und wie Schwingen ins Wasser tauchten, mußte er an Dalby und die Verzweiflung seiner letzten Minuten denken. Glücksspiel war der Fluch und Untergang so manchen guten Offiziers. Monatelang in der Enge ihres Schiffes eingesperrt, auf ihre eigene Gesellschaft angewiesen, durch harte

Disziplin von den Männern getrennt, die sie zu führen hatten — da war es durchaus nichts Ungewöhnliches, daß Männer wie Dalby ihr Letztes auf eine Karte setzten und verloren. Erst harmlose Zerstreuung, dann grausame Wirklichkeit — Bolitho wußte genau, wie gefährlich das Spiel war. Sein eigener Bruder hatte des Vaters Herz gebrochen, indem er einen Offizierskameraden in sinnlosem Duell wegen einer Spielschuld getötet hatte.

Er riß sich aus seinem dumpfen Brüten und befahl scharf:»Kurs auf den Transporter dort drüben!»

Allday blickte zu ihm auf.»Die Erebus, Captain?»

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