Während die Gig tapfer einen immer heftiger werdenden Tanz mit den weißbemützten Wellen austrug, starrte Bolitho zur Hyperion hinüber und dachte über die Wandlung, die er — so kam es ihm jedenfalls vor — während seines kurzen Besuchs auf der Justice durchgemacht hatte. Er wußte, daß es auf Täuschung beruhte, aber nach der Atmosphäre von Hoffnungslosigkeit und Verfall auf dem Sträflingsschiff kam ihm die Hyperion wie eine vergleichsweise heile Welt vor. Beim Anblick ihrer hohen, gischtübersprühten Bordwand und der zweckmäßigen, zielstrebigen Arbeit der Männer wurde er ruhiger; seine durcheinanderwirbelnden Gedanken beruhigten sich. Schnell kletterte er durch die Pforte und passierte, indem er flüchtig an den Hut tippte, die zu seinem Empfang angetretene Abteilung. Er befahl Leutnant Inch:»Sofort Boote einholen und festmachen! Und melden Sie Vollzug!«Dann erst hatte er das vage Gefühl, daß irgend etwas nicht stimmte. Normalerweise hätte er das sofort gemerkt, aber er hatte zu lebhaft an die Sträflinge gedacht. Inch starrte nach achtern; er folgte seinem Blick und begriff, warum der Leutnant so nervös war.
Allday, der eben durch die Fallreepspforte kletterte, konnte sich nicht enthalten auszurufen:»Na so was! Ein Frauenzimmer auf dem Achterdeck!»
Mit erzwungener Ruhe und gefährlich leise fragte Bolitho:»Wollen Sie bitte so freundlich sein und mir erklären, was das zu bedeuten hat, Mr. Inch?»
Der Leutnant schluckte verlegen.»Sie kam in einem Boot an Bord, Sir. Von der Festung. Sie hat einen Brief..»
Bolitho schob ihn beiseite.»Ich werde das selbst in Ordnung bringen, da Sie ja anscheinend den Verstand verloren haben!«Mit langen Schritten ging er nach achtern und die Decksleiter hinauf; er hatte Herzklopfen vor Ärger.
Da stand, stirnrunzelnd und nervös, Leutnant Rooke, und neben ihm Midshipman Seton, der merkwürdigerweise trotz des Captains gefahrdrohender Miene lächelte.
Dann erst sah er das Mädchen. Es trug ein grünes Samtkleid, zu dem ein breiter spanischer Sonnenhut, mit rotem Band unterm Kinn festgebunden, stark kontrastierte. Sie bemühte sich, den Hut in der steifen Brise festzuhalten und gleichzeitig zu verhindern, daß ihr das lange Haar ums Gesicht peitschte.
«Wollen Sie mir dafür bitte eine Erklärung geben?«fragte Bo-litho, gereizt von einem zum ändern blickend.
Rooke setzte zum Sprechen an, aber das Mädchen sagte gelassen:»Ich bin Cheney Seton, Captain, und habe für Sie einen Brief von Sir Edmund Pomfret. «Sie fuhr mit der Hand in eine Rocktasche und brachte ein Kuvert zum Vorschein; dabei blickte sie fest in Bolithos ärgerliches Gesicht. Ihre großen Augen waren so blaugrün wie die See, rätselhaft und sehr ernst; auch ihre Stimme verriet nichts über ihre Gedanken und Gefühle. Etwas ratlos nahm Bolitho den Brief entgegen; er hatte den Sinn ihrer Worte nicht gleich erfaßt.
«Seton, sagten Sie?»
«S-Sir, sie ist m-meine Schwester. «Midshipman Seton verstummte unter Bolithos kaltem Blick.
Unbewegt fuhr das Mädchen fort:»Tut mir leid, wenn ich Ihnen Ungelegenheiten verursache, Captain. «Sie deutete auf ein Häufchen Gepäck.»Aber wie Sie sehen, liegt hier kein Irrtum vor.»
Bolitho sah Seton streng an.»Wußten Sie davon, Mr. Seton?»
«Er hat nichts gewußt. «Sie sprach mit einer gewissen Schärfe, und wäre Bolitho nicht so wütend gewesen, hätte er vielleicht gesehen, daß sie sich kaum noch beherrschen konnte.»Ich war beim Geleitzug nach Neu-Holland. «Sie zuckte die Achseln, als sei das jetzt unwichtig.»Nun soll ich mit Ihnen zu dieser Insel segeln.»
«Wollen Sie mich bitte nicht unterbrechen, Miss, äh, Seton, wenn ich mit einem meiner Offiziere spreche!«Bolitho war bereits etwas unsicher geworden; aus dem Augenwinkel sah er ein paar neugierige Matrosen unterhalb des Achterdecks.
Ebenso scharf wie er erwiderte sie:»Dann wollen Sie bitte nicht von mir sprechen, als sei ich ein Stück Inventar Ihres Kanonenboots, Captain!»
Dalby, der Dritte Offizier, der sich in Hörweite befand, sagte hilfsbereit:»Das ist kein Kanonenboot, Miss. >Linienschiff< heißt das bei der Marine.»
Jetzt brüllte Bolitho los:»Und wer hat Sie gefragt, Mr. Dalby?«Wütend fuhr er herum.»Mr. Rooke, bitte lassen Sie >Klar zum Ankerlichten< pfeifen, und geben Sie die entsprechenden Signale an den Geleitzug!«Dann wandte er sich wieder Miss Seton zu. Jetzt ließ sie die Arme hängen, denn anscheinend machte es ihr nichts mehr aus, daß ihr Haar, tief kastanienbraun, wie er feststellte, vom Wind gezaust wurde.
«Wenn Sie mitkommen wollen, Miss Seton, kann ich mir diese Geschichte etwas ausführlicher anhören.».
Allday und Gimlett eilten voraus, und Bolitho folgte ihnen mit dem Mädchen den Kampanjeniedergang hinunter. Es war schlank und trug den Kopf trotzig hoch. Dieser verdammte Pomfret soll zur Hölle fahren, dachte er wütend. Warum hatte er ihm nichts von diesem Mädchen gesagt? Schlimm genug, daß er die Hyperion zu einer Zeit, in der es durchaus zum Kampf kommen konnte, überhaupt nach Gibraltar geschickt hatte. Aber dann noch Setons Schwester vorzufinden und sie wie ein weiteres Stück von Pomfrets
Privatgepäck mitnehmen zu müssen, war beinahe mehr, als er ertragen konnte.
Sie trat in die Kajüte und blickte sich mit der gleichen ernsthaften Aufmerksamkeit um wie vorhin an Deck. Etwas ruhiger begann Bolitho:»Und nun können Sie mir die Sache vielleicht erklären?»
«Haben Sie etwas dagegen, daß ich mich setze, Captain?«fragte sie und blickte ihn gelassen an.
«Bitte sehr. «Bolitho riß den Brief auf und trat damit zum Fenster. Da stand es. So weit, so gut. Schließlich sagte er:»Ich weiß immer noch nicht, warum Sie nach Cozar wollen.»
«Und ich weiß nicht, ob Sie das etwas angeht, Captain. «Sie faßte die Armlehnen ihres Sessels fester.»Aber da es bald allgemein bekannt sein wird — ich reise nach Cozar, um Sir Edmund Pomfret zu heiraten.»
Bolitho starrte sie sprachlos an.»Ach so«, sagte er endlich.»Verstehe.»
Sie lehnte sich im Sessel zurück; mit ihrem Trotz war es offensichtlich vorbei.»Das glaube ich kaum«, erwiderte sie müde.»Aber wenn Sie mir freundlicherweise sagen wollen, wo ich wohnen kann, werde ich mir Mühe geben, Ihnen aus dem Weg zu gehen.»
Bolitho sah sich ratlos um.»Hier. Ich lasse mir im Kartenraum ein Bett aufstellen. Hier haben Sie Platz genug.»
Sekundenlang hatten ihre Augen einen Ausdruck, als amüsiere sie sich heimlich.»Wenn Sie meinen, Captain?»
Jetzt kam Allday — für Bolitho wie der Strohhalm eines Ertrinkenden.»Bringen Sie meine Sachen in den Kartenraum, Allday! Ich will mich sofort umziehen — meine Alltagsgarnitur!«Zum Teufel mit dem Mädchen, dachte er; es macht sich über mich lustig, weil ich mich wie ein Narr anstelle.»Also holen Sie Gimlett, und sagen Sie ihm Bescheid!»
Allday warf einen raschen Blick auf das Mädchen im Sessel. Doch sein Gesicht blieb ausdruckslos. Er sagte nur:»Sieht nach einer steifen Brise aus, Captain. «Damit verschwand er.
Ein paar Minuten später kam Bolitho aufs Achterdeck, und die Unterhaltung der Offiziere verstummte wie abgeschnitten, als hätte er sie angebrüllt.
Rooke meldete:»Transporter haben Anker kurzstag, Sir. «Er nahm sich mächtig zusammen; wahrscheinlich, dachte Bolitho, freut es ihn wenig, das Schiff unter dem Teleskop jedes Kapitäns in Gibraltar aus dem Hafen segeln zu müssen. Bolitho hatte seinen kleinen grausamen Spaß daran.»Schön, Mr. Rooke«, sagte er kurz,»setzen Sie Segel, bitte. «Gossett blickte wie ein trauriger Bullenbeißer herüber.»Stecken Sie einen Kurs in Luv der Landspitze ab, Mr. Gossett, und stellen Sie zwei gute Männer ans Ruder. «Er konnte sich nur mit Mühe beherrschen, so ärgerlich war er, als er an der Reling Aufstellung nahm und den Blick langsam über sein Schiff schweifen ließ. Die Männer standen schon an den Speichen des Ankerspills, die Seesoldaten an den Brassen, die Toppgasten warteten auf den Befehl zum Aufentern.