Bolitho riß sich aus diesen zwecklosen Gedanken und schritt nach achtern, um die beiden spanischen Schiffe zu beobachten. Wie sie da direkt vor der Sonne standen, boten sie einen großartigen Anblick. Beide hatten sie Segel gekürzt, aber von Masten und Rahen wehten so viele farbenfreudige Flaggen und prächtige Banner, daß man nicht unterscheiden konnte, ob sie signalisierten oder sich nur geschmückt hatten, um einen unblutigen Sieg zu feiern.
Die Märte, Anduagas Flaggschiff, bot einen Anblick wie aus dem Bilderbuch. Von der prächtigen Galionsfigur bis zu eleganten, schräg einfallenden Heck war sie eitel Farbe und Bewegung. Auf dem Oberdeck konnte Bolitho das muntere Gewimmel der spanischen Soldaten ausmachen, die den Hauptteil des Landungskommandos bilden sollten.
Er wandte sich ab und richtete das Glas auf die Insel. Im hellen Sonnenlicht wirkte sie nicht halb so bedrohlich: auf den Bergen, die von weitem ganz grau ausgesehen hatten, wuchs niederes Gestrüpp und sonnendürres Unterholz. Nur der große runde Festungsturm verlieh dem friedlichen Bild etwas Bedrohliches. Nichts rührte sich, nur die Brandung schlug an die Klippen. Der Naturhafen lag noch in tiefem Schatten, so daß nicht einmal der scharfäugige Ausguck erkennen konnte, ob sich dort etwas bewegte.
«Also schön, Bolitho«, sagte Moresby kurz,»ein Schuß! Wir sind ja dicht genug dran. «Er hatte ziemlich leise gesprochen, aber in der gespannten Stille klangen seine Worte beinahe laut. Bolitho winkte zum Hauptdeck hinunter. Pearse, der Stückmeister, zündete den vordersten Zwölfpfünder und trat vor dem zurückfahrenden Rohr zur Seite. Der laute Krach des Einzelschusses löste ein Echo aus, das um die ganze Bucht zu rollen schien. Mit protestierendem Gekreisch flogen Möwen hoch.
Bolitho hielt sein Glas auf den oberen Rand der Festung gerichtet und sah mit angehaltenem Atem, daß eine Flagge eilig am Mast emporstieg, die s ich eine Sekunde später in der frischen, ablandigen
Brise entfaltete. Er ließ das Teleskop sinken und blickte den Admi-ral an. Moresby lächelte grimmig.
Selbst ohne Glas war die Flagge leicht zu erkennen: das kräftige Gelb und Rot Spaniens.
Moresby entschied:»Signal an die Märte: >Wenden und in Kiellinie Hafen anlaufen<«Und mit einem kalten Blick auf Bolitho:»Sie behalten den Kurs zunächst bei und schließen sich dann an!»
Als Midshipman Caswell die Order hastig auf seiner Schiefertafel notierte, wandte Bolitho ein:»Meiner Meinung nach sollten wir lieber ein Boot vorschicken, Sir. Einen Kutter vielleicht?»
Moresby blickte zu den aufsteigenden Flaggen empor und winkte Bolitho zu sich an die Reling.»Ich habe schon zu viel Zeit vertrödelt. Denken Sie, mir liegt daran, daß die Dons überall herumerzählen, wir hätten Angst, unseren eigenen Augen zu trauen?«Er schob entschlossen das Kinn vor.»Vergessen Sie nicht: mit dieser Operation sollen wir bei den Spaniern Stärke demonstrieren!»
«Die Märte hat anscheinend Order bestätigt, Sir«, rief Caswell unsicher. In der Tat setzte das spanische Flaggschiff mehr Segel, sein Umriß verlängerte sich merkbar, als es sich der Insel zuwandte. Die Princesa, ein etwas kleineres Schiff mit vierundsechzig Kanonen, scherte aus; in wilder Konfusion schlugen ihre Segel, als sie sich bemühte, dem Führungsschiff zu folgen.
Gossett musterte die Spanier mit offensichtlicher Verachtung.»Haben das Signal wohl überhaupt nicht gesehen!«knurrte er.»Am Abend sind sie bestimmt allesamt besoffen!»
Moresby sagte:»Ich schlage vor, Sie lassen Ihre Leute wegtreten, Bolitho, und Geschütze und Stückpforten sichern, bevor wir wenden.»
Und mit plötzlichem Ärger:»Das war genug Affentheater für einen Tag!»
Mit geballten Fäusten ging Bolitho nach Luv hinüber.»Haben Sie gehört, Mr. Quarme?«Der Erste nickte ausdruckslos und unbewegt.»Also machen Sie weiter!»
«An Deck! Masten tief innen im Hafen!»
Einige Matrosen blickten zu der winzigen Gestalt des Ausgucks empor, aber die meisten starrten stumpf nach achtern auf die glanzvollen spanischen Schiffe.
Bolitho riß Quarme die Sprechtrompete aus der Hand.»Was für ein Schiff, Mann?»
«Is' nich' viel, Sir. «Dann schien dem Mann klarzuwerden, daß er mit seinem Kommandanten sprach, und er wurde deutlicher:»Wohl 'ne Schaluppe, Sir!»
Mit zwei Schritten war Bolitho an der Reling.»Befehl belegt!«schrie er zu den Leuten hinunter, die bereits die Haltegiens der Zwölfpfünder festzurrten und die Stückpforten verriegelten.
Dann blickte er Moresby an und sagte:»Diese Schaluppe, Sir — es kann die Fairfax sein, die Lord Hood zum Rekognoszieren hergeschickt hat!«Abwartend preßte er die Hände hinterm Rücken zusammen.
Dem Admiral war anzusehen, daß er unsicher wurde.
Bolitho fuhr fort:»Falls das wirklich unser Schiff ist, dann…»
Moresby wandte den Blick ab.»Mein Gott, Mann! Wenn das stimmt…«Heiser vor Erregung befahl er:»Signal an die Märte: Rückzug auf Position achteraus! Und das gleiche Signal an die Princesa!»
Aber das spanische Flaggschiff hatte die Wende bereits ausgefahren und lag in der frischen Morgenbrise schon auf direktem Kurs zum Hafen.
«Schuß vor den Bug, verdammt! Damit der Kerl das Signal sieht!«blaffte Moresby wütend. Aber bei den Geschützbedienungen herrschte noch das Durcheinander, das immer eintrat, wenn plötzlich Gegenorder gegeben wurde. Und so dauerte es volle drei Minuten, bis das Buggeschütz bellte.
«Keine Bestätigung, Sir!«rief Caswell atemlos.
Leutnant Inch, der sich an der allgemeinen Diskussion nicht beteiligt hatte, sagte unvermittelt:»Ich sehe Rauch, Sir.»
Bolitho hob das Teleskop und musterte das rauhe, graue Gestein, das in dem gleißenden Sonnenlicht auf einmal unheimlich drohend wirkte. Als er das Glas fixiert hatte, konnte er hinter den unteren Mauern ein Hitzeflimmern ausmachen, das sich rasch verstärkte. Er hörte noch Inchs zweifelnde Worte:»Also, Pulverrauch ist das nicht!«Dann blickte er zu Moresby hinüber und sah die Verzweiflung auf dessen Gesicht.»Eine Feueresse!«sagte der Admiral dumpf.»Die machen Kugeln heiß, bei Gott!»
Der Ausguck stieß einen überraschten Schrei aus, und alle fuhren herum: In Sekundenschnelle war die spanische Flagge über der
Festung verschwunden; jetzt stieg dort eine andere empor, und als sie sich in der hellen Sonne entfaltete, ließ Moresby ein ungläubiges Gemurmel vernehmen, als hätte er bis jetzt, wenn auch wider besseres Wissen, immer noch Hoffnung gehabt.
Mit einem harten Klick schob Bolitho sein Teleskop zusammen. Die weiße Flagge mit der neuen Trikolore als Gösch fegte jeden Zweifel hinweg.»Kursänderung, Mr. Gossett! Ruder Ost zu Nord!«befahl er, wandte sich sodann Moresby zu und fragte möglichst leise:»Was jetzt, Sir?»
Der Admiral riß den Blick von der Märte los. Offenbar hatte auch Anduaga die französische Flagge gesehen, und ebenso offenbar konnte er nichts tun. Die Hafeneinfahrt war kaum eine Meile breit, und der französische Kommandant hatte abgewartet, bis der mächtige Schatten der Märte die gedachte Linie zwischen der Festung und der weitausladenden Landzunge passiert hatte; dann erst hatte er seine wahre Flagge gezeigt.
Die Märte fiel etwas ab, holte ihre Rahen über und schob sich dichter an die Festung heran. Wahrscheinlich hoffte Anduaga, in dem breiteren Fahrwasser des Hafens einen Schlag machen zu können und mit einem einzigen raschen Manöver wieder die offene See zu gewinnen.
Aber selbst für eine wendige Fregatte wäre das ein Kunststück gewesen. Die Matrosen der Märte wurden durch die dichtgedrängten Soldaten behindert, und jeder Rest Ordnung wurde zur völligen Konfusion, als das erste Geschütz der Festungsbatterie Feuer eröffnete. Noch dazu hatte der Kapitän der Märte nicht in Betracht gezogen, daß ihm die vorspringende Landzunge den Wind wegnahm. Hilflos flappten die Segel, und ein paar lange Minuten gehorchte das Schiff dem Ruder nicht.