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Er hakte ein Bein um die hölzerne Spiere und zog das Teleskop aus. Tief unter ihm lag das Deck in bleichem Dämmerlicht, aber es war schon hell genug, um Einzelheiten auszumachen: die schwarzen Verschlüsse der Kanonen unter den Decksgängen; am Vormast das Karree von Hauptmann Ashbys Seesoldaten; fast schwärzlich schimmerten die scharlachroten Uniformen in dem seltsamen Licht; und achtern, bei der Heckreling, konnte er den schwachen Lichtschimmer aus dem Oberlicht erkennen. Sir William mußte inzwischen hellwach sein. Er würde knurren und schimpfen, weil er keine Meldung bekommen hatte; aber Bolitho hatte inzwischen gelernt, daß der Admiral sehr schnell mit Vorwürfen bei der Hand sein würde, wenn er als Kommandant irgend etwas übersah. Doch all das vergaß er, während er sein Glas aufstützte und mit elastischen Muskeln das Schwanken und Vibrieren des Mastes auffing. Da lag die Insel, unverkennbar. Sie näherten sich ihr von Südosten, dicht am Wind und auf Steuerbordbug, so daß sich die drei Berge überschnitten und gegen den stumpfgrauen Himmel so aussahen wie ein riesiger, zerknautschter Dreispitz.

Vom Hauptdeck her scholl ein metallisches Klirren zu ihm empor, gefolgt von dem wütenden Schimpfen eines Unteroffiziers, den er nicht sehen konnte. Bolitho schob sein Glas zusammen und enterte rasch ab. In der Eile vergaß er sogar seine Höhenangst.

«Sorgen Sie dafür, daß die Männer still sind, Mr. Quarme! Wir sind weniger als drei Meilen von der Insel entfernt. Wenn die drüben tatsächlich noch schlafen, dann möchte ich nicht, daß sie vorzeitig aufwachen.»

«Das war ich, Bolitho! Auch ich wollte noch ein bißchen schlafen!»

Bolitho fuhr herum und erblickte den Admiral, der wie ein bleiches Gespenst unter der Kampanjetür stand. Er hatte nur einen Rock über sein langes weißes Nachthemd geworfen, und auf seinem Schädel saß wie der Löschtrichter auf einer Kerze noch die rote Nachtmütze. Es gelang Bolitho, in dienstlichem Ton zu antworten:»Ich muß um Entschuldigung bitten, Sir. Aber es schien mir klüger, auf alles vorbereitet zu sein.»

Der Admiral glotzte ihn böse an.»Das sagen Sie!»

Hinter ihm tauchte Gimlett auf, nervös ein Tablett mit zwei Gläsern balancierend. Das war Moresbys tägliches Morgenritual. Das eine Glas enthielt ein rohes Ei, das andere zur Hälfte Brandy. Bo-litho blickte weg, weil ihm jedesmal beinahe übel wurde, wenn der Admiral diese seltsame Mischung hinuntergoß.

Moresby schmatzte mit den Lippen und sagte mürrisch:»Wird ja endlich heller. «Er fuhr so heftig herum, daß die Quaste seiner Nachtmütze in der frischen Brise wie ein Wimpel tanzte.»Wo stecken die verdammten Dons?»

«Die brauchen Stunden, bis sie uns eingeholt haben, Sir. «Bolitho versuchte sich, seinen Eifer nicht anmerken zu lassen.»Vielleicht können wir noch etwas dichter heran? Der Meeresboden fällt hier ziemlich steil ab, bis auf achtzig Faden*.»

Der Admiral knurrte:»Sieht ja alles ruhig aus. Vielleicht hatte Don Anduaga doch recht. «Er runzelte die Stirn.»Hoffentlich!»

Doch Bolitho blieb hartnäckig.»Ich habe ein komplettes Landkommando eingeteilt, Sir: neunzig Seesoldaten und hundert ausgesuchte Matrosen. Wir könnten die Boote eine Kabellänge vor der Hafeneinfahrt absetzen, ehe die Garnison überhaupt merkt, was geschieht.»

Moresby seufzte.»Nun mal sachte. Mir gefällt die Geschichte genausowenig wie Ihnen, aber Lord Hoods Befehle sind ganz eindeutig: Wir lassen die Dons zuerst landen. «Er schritt zur Kampan-je zurück.»Und überhaupt würden Sie ganz schön dumm dastehen, wenn es Ärger gibt und die Spanier erst einen Tag später kommen. Sie haben ja gehört, was der Leutnant über die Verteidigungsanlagen gesagt hat. Die schießen Ihre Männer zusammen, bevor sie überhaupt aus den Booten sind!»

Bolitho erwiderte mit gedämpfter Stimme:»Aber nicht so früh am Morgen, Sir. Auf den Überraschungseffekt kommt es an. Wenn uns die Festungsbesatzung erst gesehen hat, kriegen wir nie wieder eine Chance.»

«Ich ziehe mich jetzt an. «Moresbys Stimme klang gefährlich ruhig.»Mein Gott, Fregattenkapitäne sind doch alle gleich. Keinen Sinn für Verantwortung oder Risiko!»

* Längenmaß für die Wassertiefe, l Faden = 1,829 m

Bolitho schritt zweimal das Achterdeck auf und ab, um seine Gedanken zu ordnen. Moresby war schon ziemlich alt für seinen Dienstgrad und daher wahrscheinlich übervorsichtig.

Gossett sang aus:»Insel querab, Sir!«! Mit zusammengekniffenen Augen musterte er die gebraßten Rahen.

Bolitho nickte. Die Nervenanspannung hatte ihn unkonzentriert gemacht. Er hatte kaum ernstlich geglaubt, daß Moresby Hoods Befehl ignorieren würde, aber im stillen doch auf so etwas gehofft. Müde sagte er:»Gut, Mr. Gossett, lassen Sie halsen!»

Die Hyperion wandte sich gegen die ablandige Dünung und ging pflichtgetreu mit dem Heck durch den Wind; sofort faßten die Segel wieder die leichte Brise, die übers Wasser strich.

«Auf Backbordbug bleiben, Mr. Gossett!«Bolitho vergegenwärtigte sich im Geiste die Seekarte.»Am diesseitigen Landarm der Bucht springt eine lange Felsbarriere ins Meer vor. Vielleicht steht da ein Posten!»

Er dachte an die Kanoniere, an seine Offiziere, die überall im Schiff gespannt warteten. Grinsen würden sie, dachte er bitter, und denken, ihr neuer Kapitän hätte mehr Angst als Umsicht. Alles Exerzieren, alle Vorbereitungen waren umsonst, wenn seine n-stinktive Vorsicht sich als überflüssig erwies.

Er blickte zum Wimpel empor: er glänzte blaßgolden wie gesponnene Seide. Und als er über den Bug nach vorn spähte, stellte er fest, daß die Kimm als dunkler Streifen sichtbar geworden war: wie schnell die Sonne in diesen Breiten aufgeht, dachte er. Diese Feststellung deprimierte ihn. Mit der Sonne würde die Hitze kommen, der Drang zur Unbeweglichkeit und hilflosen Passivität, so daß das Schiff über seinem Spiegelbild dümpeln und kaum noch Fahrt machen würde.

«An Deck! Zwei Schiffe in Lee voraus!»

«Dann haben die Dons also doch nicht lange geschlafen, Sir«, murmelte Quarme.

«Vielleicht haben sie unserem Admiral nur nicht so recht getraut. «Bolitho starrte auf die glasige Dünung.»Richten Sie Sir William meine Hochachtung aus und melden Sie ihm, daß die Spanier bald eintreffen werden.»

Quarme zögerte.»Soll ich die Männer vom Achterdeck wegtreten lassen?»

«Sie sollen tun, was ich Ihnen sage, weiter nichts!«Bolitho bereute seinen Ausbruch sofort, blieb aber abgewandt an der Reling stehen, während Quarme mit seiner Botschaft hinwegeilte.

Blutrot und böse stieg die Sonne über die scharfe Kimm und malte einen immer breiter werdender Pfad auf die leere Wasserwüste. Dann sah Bolitho die Bramsegel der beiden spanischen Schiffe. Das geheimnisvolle Morgenlicht tauchte sie in Feuer — ganz unwirklich sahen sie aus.

Moresby erschien an Deck, und Bolitho wandte sich zu ihm um. Der Admiral trug seine Galauniform mit goldenen Tressen an Hut und Rock, dazu seinen besten Degen, als ginge es zur Flottenparade.

«Ein herrlicher Tag, Bolitho«, sagte er tief einatmend. Auf sein Fingerschnippen hin reichte ihm der Signal-Midshipman ein Fernrohr. Minutenlang hielt er es auf die beiden Schiffe gerichtet.

Dann seufzte er resigniert.»Signal an die Märte! Sie soll eine achterliche Position einnehmen. «Er blinzelte in die Sonne und fügte hinzu:»Und Sie werden dann halsen und das Geschwader auf dem Rückweg zur südlichen Einfahrt anführen. Wenn nichts geschieht, laufen wir in den Hafen ein. «Er warf das Glas dem Mids-hipman wieder zu.»Don Anduaga kann diese verdammte Insel von mir aus haben. «Damit schritt er nach achtern und sah wortlos zu, wie die Signalflaggen zur Rah hochschossen.

Stetig stieg die Sonne über den glitzernden Horizont, und die Sicht wurde immer klarer, als würde die Gardine von einem Fenster gezogen. Hier gab es kein dämmeriges Halblicht, in dem sich die Augen eingewöhnen konnten. In der einen Minute war es noch Nacht, und in der nächsten.

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