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Bolitho wußte, daß er hätte weitergehen sollen, aber er konnte sich nicht bewegen. Dumaresqs Ton schien seine Beine zu lähmen. Es lag etwas darin, das sich in Jahren aufgestaut hatte und nicht länger zurückhalten ließ.

Egmont protestierte lahm:»Ich habe es nicht gewußt. Sie müssen mir glauben. Ich mochte Ihren Vater. Ich habe ihm treu gedient und ihn immer bewundert.»

Dumaresqs Stimme klang jetzt gedämpft. Er mußte sich ungeduldig abgewandt haben.

«Aber mein Vater, den Sie so bewundert haben, starb als armer Mann — das übliche Schicksal eines abgehalfterten Schiffskommandanten, der nur noch einen Arm und ein Bein besaß. Dennoch bewahrte er Ihr Geheimnis, Egmont, er zumindest hielt sich an das, was wir Loyalität nennen! Jetzt könnte das Ende für alles gekommen sein, was Ihnen lieb ist.»

«Wollen Sie mir drohen, Sir, in meinem eigenen Haus? Der Vizekönig schätzt mich. Er wird sich sehr schnell äußern, wenn ich mich bei ihm beschwere.»

«Wirklich?«Dumaresqs Stimme wurde gefährlich ruhig.»Piers Garrick war ein Pirat, vielleicht von vornehmer Herkunft, aber seinem Wesen nach ein verdammter Pirat. Wenn die Wahrheit über die Astu-rias herausgekommen wäre, hätte ihn selbst sein Kaperbrief nicht vor dem Galgen retten können. Das Schatzschiff hat sich tapfer gewehrt, und Garricks Kaperschiff wurde schwer beschädigt. Der Don strich die Flagge, weil er wahrscheinlich nicht erkannt hatte, daß Garricks Schiff völlig durchlöchert war. Das war das Dümmste, was er tun konnte.»

Bolitho wartete mit angehaltenem Atem und fürchtete, die plötzliche Stille könnte bedeuten, daß seine Anwesenheit bemerkt worden war.

Doch Dumaresq sagte unvermittelt:»Garrick versenkte sein eigenes

Schiff und übernahm die Asturias. Wahrscheinlich tötete er die meisten Spanier oder ließ sie da, wo niemand sie finden konnte, verhungern. Es war ja alles so einfach für ihn. Unter irgendeinem Vorwand führte er das Schatzschiff in diesen Hafen. England und Spanien lagen im Krieg miteinander, so durfte die Asturias kurze Zeit bleiben, um — offiziell — Reparaturen auszuführen; in Wirklichkeit aber, um zu beweisen, daß sie nach dem Gefecht mit Garrick noch schwamm. «Egmont sagte unsicher:»Das ist eine Vermutung.«»Wirklich? Lassen Sie mich fortfahren, dann können Sie entscheiden, ob Sie immer noch den Vizekönig um Hilfe bitten wollen. «Seine Stimme war so schneidend, daß Bolitho fast Mitleid für Egmont empfand.

Dumaresq fuhr fort:»Ein englisches Kriegsschiff wurde ausgesandt, um den Verlust von Garricks Schiff und das Verschwinden des Schatzes, der eine rechtmäßige Prise des Königs gewesen wäre, zu untersuchen. Dieses Schiff wurde von meinem Vater geführt. Sie, sein Erster Offizier, wurden losgeschickt, um eine Erklärung von Garrick einzuholen; er muß erkannt haben, daß er reif für den Galgen war, wenn er Sie nicht auf seine Seite zog. Mit Ihrer Hilfe wurde er rehabilitiert. Und während er sein Gold aus dem Versteck holte, wo er es nach Versenkung der Asturias verborgen hatte, quittierten Sie den Dienst in der Marine und tauchten seltsamerweise ausgerechnet hier in Rio auf, wo alles begonnen hatte. Aber diesmal als reicher Mann, als sehr reicher Mann. Mein Vater hingegen diente weiter. Dann, im Jahr 1762, als er mit Admiral Rodney von Martinique aus die Franzosen von den Karibischen Inseln vertrieb, wurde er schwer verwundet, was ihm den Lebensnerv zerschnitt. Welche Folgerungen sind aus dieser Geschichte zu ziehen?»

«Was wünschen Sie von mir?«Egmont wirkte benommen, überwältigt von Dumaresqs totalem Sieg.

«Ich verlange eine beschworene Erklärung, die bestätigt, was ich soeben gesagt habe. Notfalls werde ich die Hilfe des Vizekönigs in Anspruch nehmen, sobald der Haftbefehl aus England eintrifft. Den Rest können Sie sich denken. Mit Ihrer Erklärung und der Vollmacht, die Seine Majestät und die Lords der Admiralität mir erteilt haben, beabsichtige ich, Sir Piers Garrick festzunehmen und nach England vor Gericht zu bringen. Außerdem will ich den Goldschatz oder vielmehr das, was noch davon übrig ist. Aber in erster Linie will ich Garrick!»

«Warum behandeln Sie mich dann so schlecht? Ich hatte nichts mit dem zu tun, was Ihrem Vater bei Martinique passierte. Damals war ich nicht mehr in der Marine, das wissen Sie doch!»

«Piers Garrick lieferte Waffen und sonstiges militärisches Material an die französischen Garnisonen in Martinique und Guadeloupe. Ohne ihn — und Sie — wäre mein Vater vielleicht unverwundet geblieben. Und Garrick hätte nicht ein zweites Mal Gelegenheit gehabt, sein Vaterland zu verraten.«»Ich — weiß… Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken.«»Ihre Zeit ist abgelaufen, Egmont. Sie hatten volle dreißig Jahre Frist. Ich verlange, daß Sie mir Garricks Schlupfwinkel nennen, mir sagen, was er tut, und alles, was Sie über den Goldschatz wissen. Alles! Wenn Sie meine Forderung erfüllen, segle ich weiter, und Sie sehen mich nicht wieder. Wenn nicht. «Dumaresq ließ den Rest ungesagt.

Egmont sagte:»Kann ich Ihnen trauen?»

«Mein Vater traute Ihnen. «Dumaresq stieß ein kurzes Lachen aus.»Wählen Sie.»

Bolitho preßte sich mit dem Rücken an die Wand und blickte zu den Sternen auf. Dumaresq wurde offenbar nicht nur von Pflichtgefühl und Tatkraft getrieben, sondern auch von Haß. Haß hatte ihn vage Informationen sammeln und nach dem Schlüssel suchen lassen, der die Tür zu dem Geheimnis um Garrick öffnen konnte. Kein Wunder, daß die Admiralität gerade ihn mit diesem Auftrag betraut hatte: Der zusätzliche Ansporn der Rachsucht gab Dumaresq einen meilenweiten Vorsprung vor jedem anderen Kommandanten.

Eine Tür flog krachend auf, und Bolitho hörte Rhodes singen und dann protestieren, als er von anderen in den Raum zurückgezogen wurde.

Er ging langsam über die Terrasse davon, verwirrt von dem eben Gehörten. Wie konnte er wieder Dienst tun, ohne sein Wissen preiszugeben? Dumaresq würde ihn in Sekunden durchschauen.

Plötzlich war Bolitho völlig nüchtern. Was würde aus Mrs. Egmont werden, wenn Dumaresq seine Drohung wahr machte? Er drehte sich heftig um und ging auf die offenen Türen zu. Als er eintrat, bemerkte er, daß einige Gäste schon gegangen waren. Der Kommandeur der Festungsbatterien verneigte sich tief und schwenkte dabei den Hut vor seinem stattlichen Bauch. Egmont stand neben seiner Frau, das Gesicht bleich, aber ausdruckslos. Dumaresq gab sich gewandt wie zu Beginn des Festes; er nickte den scheidenden Portugiesen freundlich zu und küßte behandschuhte Damenhände zum Abschied. Beide schienen von den Menschen, die Bolitho soeben ungewollt hatte streiten hören, himmelweit verschieden zu sein.

Dumaresq sagte:»Ich glaube, meine Offiziere sind mit mir einig in der Begeisterung für diese Festtafel, Mr. Egmont!«Sein Blick haftete nur einen Augenblick auf Bolitho, aber dieser spürte die Frage, als wäre sie laut hinausgeschrien worden.»Ich hoffe, wir können Ihre Freundlichkeit erwidern. Doch Dienst ist Dienst, wie Sie aus eigener Erfahrung wissen.»

Bolitho schaute in die Runde, aber niemand schien die Spannung zwischen Egmont und dem Kommandanten bemerkt zu haben.

Egmont wandte sich ab und sagte:»Wir wollen uns allen eine gute Nacht wünschen, meine Herren.»

Seine Frau trat vor, doch ihre Augen lagen im Schatten, als sie Du-maresq die Hand hinhielt.»Man könnte auch schon >Guten Morgen< sagen, nicht wahr?«Dumaresq lächelte und küßte ihre Hand.»Sie zu sehen, ist zu jeder Tageszeit ein Genuß, Madam.»

Sein Blick blieb an ihrem halb entblößten Busen haften, und Bolitho lief rot an, als ihm einfiel, was Dumaresq über das Mädchen gesagt hatte, dem sie mit ihrer Kutsche begegnet waren.

Mrs. Egmont schenkte dem Kapitän ein Lächeln, ihre Augen strahlten jetzt im Widerschein des Kerzenlichts.»Dann haben Sie für einen Tag sicher genug gesehen, Sir!»

Dumaresq lachte und nahm seinen Hut von einem Diener in Empfang, während die anderen sich verabschiedeten.

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