Литмир - Электронная Библиотека

Dann schaute er über das Deck der Brigantine, auf die verwundeten Männer, die leise stöhnten oder wie kranke Tiere wegzukriechen versuchten.

Einige würden sich nie mehr bewegen.

Als das Tageslicht weiter zunahm, prüfte Bolitho den Degen, den Jury ihm zu seiner Rettung zugeworfen hatte. In dem schwachen Licht sah das Blut auf dem Griff und auf seinem Handgelenk wie schwarze Farbe aus.

Little kam wieder nach achtern. Der neue Dritte Offizier schien ihm noch sehr jung. Im nächsten Augenblick würde er die Waffe in einer Aufwallung des Ekels darüber, was er mit ihr angerichtet hatte, über Bord werfen. Das wäre ein Jammer. Später würde ihm einfallen, daß er sie seinem Vater oder seiner Braut hätte schenken sollen.

Little sagte:»Geben Sie her, Sir, ich werde sie für Sie reinigen. «Er sah, daß Bolitho zögerte, und fügte warm hinzu:»Sie war ein guter Kamerad für Sie, und zu seinen Kameraden soll man halten, das sagt Ihnen Josh Little, Sir.»

Bolitho gab ihm die Waffe.»Ich glaube, Sie haben recht. «Er richtete sich straff auf, obwohl ihn jeder Muskel und jede Sehne schmerzten.

«Lebhaft, Leute! Wir haben noch viel zu tun. «Er rief sich die Worte des Kommandanten in Erinnerung:»Nichts geschieht von allein.»

Vom Fuß des Fockmastes aus, neben dem ein Haufen herabgefallener Takelage lag, beobachtete ihn Stockdale. Er nickte befriedigt. Wieder war ein Kampf vorüber.

Bolitho wartete müde neben Dumaresqs Tisch in der Kajüte der De-stiny. Er war so erschöpft, daß seine Glieder nicht mehr automatisch die Schlingerbewegungen der Fregatte auffingen. Im trüben Morgenlicht hatten sie lesen können, daß die Brigantine Heloise hieß, von

Bridport in der Grafschaft Dorset kam und in die Karibik kommandiert war. Unterwegs hatte sie in Madeira eine Ladung Wein übernehmen sollen.

Als Dumaresq das Logbuch der Brigantine durchgeblättert hatte, warf er Bolitho einen Blick zu.

«Setzen Sie sich, Mr. Bolitho, bevor Sie umfallen!»

Er erhob sich und ging zu den achteren Seitenfenstern, preßte sein Gesicht gegen das dicke Glas und schaute auf die Brigantine, die in Lee der Destiny lag. Palliser und ein frisches Prisenkommando hatten vor einiger Zeit übergesetzt, und die Erfahrung des Ersten Offiziers war jetzt auch nötig, um die Schäden auszubessern und das Schiff baldmöglichst wieder flott zu machen.

Dumaresq sagte:»Sie haben sich gut gehalten. Außerordentlich gut. Für einen so jungen Offizier mit so geringer Erfahrung in der Führung von Leuten haben Sie mehr erreicht, als ich zu hoffen wagte. «Er verschränkte die Hände unter den Rockschößen, als müsse er Ärger unterdrücken.»Aber sieben unserer Leute sind tot, weitere schwer verwundet. «Er griff nach oben und drückte mit dem Handrücken das Oberlicht auf.»Mr. Rhodes, versuchen Sie, herauszufinden, wo sich der verdammte Doktor herumtreibt!»

Bolitho vergaß seine Müdigkeit, seine Enttäuschung darüber, daß er das Kommando über die Prise an den Ersten Offizier hatte abgeben müssen. Es faszinierte ihn zu beobachten, wie der Zorn in Dumaresq hochstieg: wie eine glimmende Zündschnur, deren Feuer sich dem Pulverfaß näherte. Sie hatte bewirkt, daß der arme Rhodes oben, als er die Stimme seines Kommandanten unter seinen Füßen hörte, aufsprang.

Dumaresq wandte sich wieder Bolitho zu.»Gute Männer haben ihr Leben verloren — durch Piraten und Mörder, niemand anderen!«Von der falschen Berechnung, die beide Schiffe fast zu Wracks gemacht, aufjeden Fall aber schwer beschädigt hatte, kein Wort. Dagegen:»Ich wußte, daß sie etwas vorhatten. Es wurde mir in Funchal klar, daß es daheim zu viele Augen und Ohren gegeben hatte. «Er zählte die Argumente an seinen dicken Fingern ab:»Erst mein Schreiber, nur wegen des hhalts der Tasche. Dann die Brigantine, die England zur gleichen Zeit verließ, als wir aus Plymouth ausliefen, und die dann >zufällig< zur gleichen Zeit mit uns in Madeira lag. Ihr Kapitän muß gewußt haben, daß ich nicht gegen den Wind aufkreuzen und ihn jagen konnte. So lange er sich in gebührender Entfernung hielt, war er sicher.»

Bolitho verstand. Hätte die Destiny ihren Vorstoß bei Tageslicht unternommen, hätte die Helolse den Vorteil ihrer Position nutzen können. Die Fregatte hätte sie zwar in jedem fairen Wettkampf ausgesegelt, doch bevor sie sie erreicht hätte, wäre es dunkel geworden, und im Schutz der Dunkelheit konnte die Brigantine, wenn sie gut geführt wurde, mühelos entwischen. Bolitho dachte an den hageren Mann, den er im Kampf niedergestochen hatte. Er tat ihm jetzt beinahe leid. Du-maresq hatte befohlen, daß er herübergebracht wurde, damit Bulkley, der Schiffsarzt, sein Leben rettete, wenn es möglich war.

Dumaresq fügte hinzu:»Wahrhaftig, es paßt alles zusammen. Wir sind auf der richtigen Fährte.»

Der Posten draußen rief:»Der Schiffsarzt, Sir!»

Dumaresq warf dem schwitzenden Doktor einen kurzen Blick zu.»Es wird auch verdammt Zeit, Mann!»

Bulkley zuckte die Achseln, entweder weil ihn Dumaresqs explosives Temperament kalt ließ, oder weil er so daran gewöhnt war, daß es ihm nichts mehr ausmachte.

«Der Mann lebt, Sir. Eine schlimme Wunde, aber ohne Verunreinigungen. «Er warf Bolitho einen neugierigen Blick zu.»Außerdem ist er ein kräftiger Bursche. Ich bin überrascht und befriedigt, Sie noch in einem Stück vorzufinden, junger Mann.»

Dumaresq fuhr ungeduldig dazwischen:»Lassen wir das jetzt. Wie darf der Schurke es wagen, ein Schiff des Königs herauszufordern! Er hat von mir keine Milde zu erwarten, dessen seien Sie sicher.»

Langsam beruhigte er sich. Es war wie nachlassender Seegang, dachte Bolitho.

«Ich muß so viel wie möglich aus ihm herausholen. Mr. Palliser durchsucht inzwischen die Heloise, aber in Anbetracht dessen, was Mr. Bolitho schon tat, um etwas zu finden, habe ich wenig Hoffnung auf Erfolg. Aus ihrem Logbuch ist zu entnehmen, daß die Heloise im vorigen Jahr von Stapel gelaufen ist und erst vor einem knappen Monat fertiggestellt wurde. Für ein Handelsschiff, das Gewinn einfahren soll, ist sie aber kaum groß genug.»

Der Doktor bemerkte:»Mr. Jury geht's leidlich. Ein häßlicher

Schnitt, aber er ist ein gesunder Junge. Es wird sicher nichts davon bleiben.»

Dumaresq mußte lächeln.»Ich habe mit ihm gesprochen, als er vom Kutter hochgetragen wurde. Da spielt wohl etwas Heldenverehrung mit, nicht wahr, Mr. Bolitho?»

«Er hat mir das Leben gerettet, Sir. Er hätte also keinen Grund, mich zu rühmen.»

Dumaresq nickte.»Hm, wir werden sehen. «Er wechselte das Thema.»Wir wollen noch vor Anbruch der Dunkelheit gemeinsam lossegeln. Bis dahin müssen alle Mann kräftig zupacken. Mr. Palliser wird auf dem verdammten Piraten einen Ersatzmast aufriggen müssen. «Er schaute Bolitho an.»Informieren Sie das Achterdeck: Der Ausguck im Mast soll stündlich wechseln. Wir werden wegen der uns aufgezwungenen Verzögerung die Augen besonders offenhalten müssen, ob weitere Verfolger hinter uns her sind. Wie die Dinge liegen, haben wir eine nette kleine Prise, und niemand weiß etwas von dem Zwischenfall. Das mag uns in gewisser Weise sogar helfen.»

Bolitho stand mit schweren Beinen auf. Es würde also keine Ruhepause geben.

Dumaresq sagte:»Lassen Sie die Leute um zwölf Uhr zur Beisetzungsfeier antreten, Mr. Bolitho. Wir werden die armen Burschen auf ihre letzte Reise schicken, solange wir noch beigedreht liegen. «Er zerstreute aufkommende Gefühle durch den Nachsatz:»Es hat keinen Sinn, damit Zeit zu vertrödeln, wenn wir erst wieder in Fahrt sind.»

Bulkley folgte Bolitho am Posten draußen vorbei und bis zum Niedergang, der ins Hauptdeck hinunterführte. Der Arzt seufzte.»Er muß den Bissen erst verdauen. «Bolitho sah ihn an und versuchte, seine Gedanken zu lesen. Aber zwischen den Decks war es zu dunkel, man konnte lediglich die Geräusche und Gerüche des Schiffes wahrnehmen.»Sind es die Goldbarren?»

19
{"b":"112734","o":1}