Bolitho wandte sich um und schaute Palliser an. Ein anderes Schiff bei Dunkelheit anzugreifen, war nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
Dumaresq fügte hinzu:»Ich lasse jeden Mann an Bord auspeitschen, der auch nur so viel Licht zeigt wie ein Glühwürmchen.»
Palliser berührte seinen Hut.»Ich kümmere mich darum, Sir. Und das Kommando im Boot kann Mr. Slade übernehmen. Er ist so scharf auf Beförderung, daß er sich darüber freuen wird.»
Bolitho bemerkte mit Staunen, daß Dumaresq und der Erste Offizier einander anlachten wie zwei Schuljungen nach einem gelungenen Streich.
Dumaresq schaute zum Himmel auf und wandte den Blick dann nach achtern. Nur vom Masttopp aus konnte man das andere Schiff sehen, aber es hatte den Anschein, als könne Dumaresq bis hinter den Horizont blicken. Er war jetzt wieder ganz ruhig und Herr seiner Gefühle.
Er sagte:»Davon werden Sie Ihrem Vater erzählen können, Mr. Bo-litho. Es würde ihm gefallen.»
Ein Matrose mit einem Bunsch Tauwerk wie einem Bündel toter Schlangen über der Schulter schlenderte vorbei: Stockdale. Als der Kommandant nach unten verschwand, flüsterte er:»Greifen wir den da hinten an, Sir?«Bolitho zuckte die Achseln.»Ich — hm — ich glaube, ja. «Stockdale nickte kräftig.»Dann schleife ich mal mein Entermesser. «Und damit war der Fall für ihn zunächst klar.
Wieder allein mit seinen Gedanken, ging Bolitho zur Querreling und schaute hinab auf die Männer, die damit beschäftigt waren, die Barkasse aus der Reihe der übrigen Boote freizulegen. Ob Slade wußte, überlegte er, wie gefährlich sein Auftrag war? Wenn nun der Wind zunahm, nachdem die Barkasse losgeworfen hatte? Slade konnte Meilen von ihrem Kurs abgetrieben werden. Ihn wiederzufinden, würde dann so schwer sein wie die Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen.
Jury kam an Deck und trat nach einigem Zögern zu ihm an die Reling. Bolitho sah ihn erstaunt an.»Ich dachte, Sie wären achtern für den armen Lockyer eingesprungen?»
Jury hielt seinem Blick stand.»Ich habe den Ersten Offizier gefragt, ob er an meiner Stelle nicht Midshipman Ingrave einteilen könne. «Unter dem prüfenden Blick Bolithos verlor er etwas von seiner gespielten Gelassenheit.»Ich wollte lieber in Ihrer Wache bleiben, Sir.»
Bolitho klopfte ihm auf die Schulter.»Auf Ihre eigene Verantwortung. «Aber er fühlte sich trotzdem etwas geschmeichelt.
Die Bootsmannsmaaten eilten von Luk zu Luk, ließen ihre Silberpfeifen trillern und riefen dazwischen mit heiseren Stimmen die Wache nach oben, um die Barkasse auszusetzen.
Jury lauschte dem Trillern und sagte:»Die Nachtigallen von Spithead sind heute abend mal wieder groß in Form, Sir.»
Bolitho verbarg ein Lächeln. Jury drückte sich wie ein Matrose aus, wie ein alter Seebär. Er sah ihn ernst an.»Sie setzen sich besser in Bewegung und schauen nach, ob mit den Lampen alles klappt. Anderenfalls wird Mr. Palliser uns beide in Stücke reißen, fürchte ich.»
Als sich die Dämmerung herabsenkte und ihre Vorbereitungen verhüllte, meldete der Ausguck im Mast, daß das andere Segel noch immer in Sicht sei.
Palliser tippte an seinen Hut, als der Kommandant an Deck kam.»Alles klar, Sir.»
«Sehr gut. «Dumaresqs Augen blitzten im Widerschein der aufgereihten Lampen.»Nehmen Sie ein paar Segel weg, und dann klar zum Aussetzen des Bootes!«Er schaute hinauf, als das Großmarssegel aufgegeit wurde und träge an seiner Rah schlug.»Danach setzen wir sofort wieder jeden Fetzen, den wir haben. Wenn das Frettchen hinter uns ein Freund ist und sich nur bei uns angehängt hat, um unseren Schutz zu genießen, werden wir es bald erfahren. Wenn nicht, Mr. Palliser, wird er einiges erfahren, das verspreche ich Ihnen.»
Eine anonyme Stimme flüsterte:»Kommandant kommt, Sir. «Palliser drehte sich um und wartete, daß Dumaresq zu ihm an die Reling trat. Schattenhaft schob sich Gulliver durch das Dunkel.»Kurs Ost zu Süd, Sir, voll und bei.«[6]
Dumaresqs Antwort war ein kurzes Grunzen.»Sie hatten recht mit der sternenlosen Nacht, Mr. Gulliver, obwohl der Wind frischer ist als erwartet.»
Bolitho stand mit Rhodes und drei Midshipmen auf der Leeseite des Achterdecks bereit, jeden plötzlich gegebenen Befehl auszuführen. Und natürlich waren sie damit auch nahe genug, um an der weiteren
Entwicklung und wachsenden Spannung teilzunehmen. Dumaresqs Bemerkung hatte geklungen, als mache er den Master für den Wind verantwortlich.
Bolitho schaute hinauf, und es überlief ihn ein Schauer. Nachdem die Destiny sich mühsam ein gutes Stück nach Luv hochgearbeitet hatte, war sie, wie von Dumaresq geplant, durch den Wind gegangen und stürzte sich nun mit einer steifen Brise von Backbord gegen die anstürmenden Seen, die an der Luvseite Gischt bis zur Takelage hinaufschickten und die an Deck hockenden Seeleute wie mit einem Tropenregen übergössen.
Die Segel der Destiny waren bis auf Marssegel und Klüver weggenommen; in die große Breitfock jedoch waren nur zwei Reffs eingesteckt, für den Fall, daß sie bei einer plötzlichen Kursänderung gesetzt werden mußte.
Rhodes murmelte:»Irgendwo da vorn ist das andere Schiff, Dick. «Bolitho nickte und versuchte, nicht an die Barkasse zu denken, die in der zunehmenden Dunkelheit bis auf ihre Lichter, die sich lebhaft im Wasser spiegelten, verschwunden war.
Es war unheimlich, dieses totenstille, dunkle Schiff. Niemand sagte etwas, und die stark eingefetteten Blöcke und Taljen ließen ihr sonstiges Knarren und Quietschen vermissen. Zu hören waren nur die vorbeirauschenden Seen und das Gurgeln des durch die Speigatten ablaufenden Wassers, wenn die Destiny den Bug wieder einmal tief in ein Wellental gesteckt hatte.
Bolitho versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was vor ihnen lag. Palliser hatte die besten Seeleute als Enterkommando ausgesucht, falls es dazu kam. Doch der auffrischende Wind konnte Dumaresqs Pläne durchkreuzt haben, dachte Bolitho. Er hörte Jury, der ruhelos an den Netzen hin und her ging, und Cowdroy, Rhodes' Midshipman, der schon zwei Jahre an Bord war: ein mürrischer und überheblicher Bursche von sechzehn Jahren, als Offizier ungeeignet. Rhodes hatte mehr als einmal Anlaß gehabt, ihn beim Kommandanten zu melden, und das letztemal war er vom Bootsmann schändlich über einen Sechspfünder gelegt und mit dem Stock gezüchtigt worden. Das schien ihn aber nicht geändert zu haben. Als dritter vervollständigte der kleine Mer-rett, der sich wie üblich möglichst außer Sichtweite hielt, das Trio. Rhodes sagte leise:»Jetzt ist es bald soweit, Dick. «Er lockerte den
Säbel an seinem Gürtel.»Könnte ein Sklavenhändler sein, wer weiß?»
Yeames, Steuermannsmaat der Wache, sagte heiter:»Wohl kaum, Sir. Ein Schiff voll Sklaven würden Sie jetzt schon riechen.»
Palliser brummte ärgerlich:»Haltet den Mund!»
Bolitho beobachtete, wie die See weiß schäumend über die Leereling schlug. Dahinter sah er nichts als eine tiefschwarze Wand, nach oben durch eine gezackte Linie abgeschlossen. Schwarz wie Stiefelwichse, hatte Colpoys bemerkt. Seine Scharfschützen hockten schon oben in den Masten, bemühten sich, ihre Musketen trocken und gleichzeitig nach dem Fremdling Ausschau zu halten.
Wenn der Kommandant und Gulliver die Zeit richtig berechnet hatten, mußte der Fremde jetzt an Steuerbord voraus in Sicht kommen. Die Destiny würde die bessere Position zum Wind haben und dadurch verhindern können, daß das andere Schiff ausriß. Die Männer der Steuerbordbatterie standen bereit, die Geschützführer knieten hinter den Rohren, um sie gleich nach dem Ausrennen auf den Feind richten zu können.
Einer Zivilperson, die daheim in England am Kamin saß, mochte das alles verrückt erscheinen. Aber für Kapitän Dumaresq war es etwas ganz anderes, und darauf kam es an. Das andere Schiff, wer es auch sein mochte, mischte sich in Angelegenheiten des Königs. Und das machte es zu seiner persönlichen Angelegenheit, die nicht auf die leichte Schulter zu nehmen war.