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»Monsieur«, begann er endlich, »ich bin von mir begeistert. Ich bin erschüttert über meine Genialität. Ich habe an der Richtigkeit meiner fluidalen Theorie zwar nie gezweifelt; natürlich nicht; sie aber in praktizierter Therapie so herrlich bestätigt zu finden, erschüttert mich. Sie waren ein Tier, und ich habe einen Menschen aus Ihnen gemacht. Eine geradezu göttliche Tat. Erlauben Sie, dass ich gerührt bin! – Treten Sie vor diesen Spiegel dort, und schauen Sie sich an! Sie werden zum ersten Mal in Ihrem Leben erkennen, dass Sie ein Mensch sind; kein besonders außergewöhnlicher oder irgendwie hervorragender, aber doch immerhin ein ganz passabler Mensch. Gehen Sie, Monsieur! Schauen Sie sich an, und bestaunen Sie das Wunder, das ich an Ihnen vollbracht habe!«

Es war das erste Mal, dass jemand »Monsieur« zu Grenouille gesagt hatte.

Er ging zum Spiegel und sah hinein. Bis dato hatte er auch noch nie in einen Spiegel gesehen. Er sah einen Herrn in feinem blauem Gewand vor sich, mit weißem Hemd und Seidenstrümpfen, und er duckte sich ganz instinktiv, wie er sich immer vor solch feinen Herren geduckt hatte. Der feine Herr aber duckte sich auch, und indem Grenouille sich wieder aufrichtete, tat der feine Herr dasselbe, und dann erstarrten beide und fixierten sich.

Was Grenouille am meisten verblüffte, war die Tatsache, dass er so unglaublich normal aussah. Der Marquis hatte Recht: Er sah nicht besonders aus, nicht gut, aber auch nicht besonders häßlich. Er war ein wenig klein geraten, seine Haltung war ein wenig linkisch, das Gesicht ein wenig ausdruckslos, kurz, er sah aus wie Tausende von anderen Menschen auch. Wenn er jetzt hinunter auf die Straße ginge, würde kein Mensch sich nach ihm umdrehen. Nicht einmal ihm selbst würde ein solcher, wie er jetzt war, irgendwie auffallen, wenn er ihm begegnete. Es sei denn, er würde riechen, dass dieser jemand, außer nach Veilchen, sowenig röche wie der Herr im Spiegel und er selbst, der davorstand.

Und doch waren vor zehn Tagen die Bauern noch schreiend auseinandergelaufen bei seinem Anblick. Er hatte sich damals nicht anders gefühlt als jetzt, und jetzt, wenn er die Augen schloss, fühlte er sich kein bisschen anders als damals. Er sog die Luft ein, die an seinem Körper aufstieg und roch das schlechte Parfum und den Samt und das frischgeleimte Leder seiner Schuhe; er roch das Seidenzeug, den Puder, die Schminke, den schwachen Duft der Seife aus Potosi. Und plötzlich wusste er, dass es nicht die Taubenbrühe und der Ventilationshokuspokus gewesen waren, die einen normalen Menschen aus ihm gemacht hatten, sondern einzig und allein die paar Kleider, der Haarschnitt und das bisschen kosmetischer Maskerade.

Er öffnete blinzelnd die Augen und sah, wie der Monsieur im Spiegel ihm zublinzelte und wie ein kleines Lächeln um seine karmesinroten Lippen strich, ganz so, als wolle er ihm signalisieren, dass er ihn nicht gänzlich unsympathisch finde. Und auch Grenouille fand, dass der Monsieur im Spiegel, diese als Mensch verkleidete, maskierte, geruchlose Gestalt, nicht so ganz ohne sei; zumindest schien ihm, als könnte sie würde man ihre Maske nur vervollkommnen – eine Wirkung auf die äußere Welt tun, wie er, Grenouille, sie sich selbst nie zugetraut hätte. Er nickte der Gestalt zu und sah, dass sie, während sie wieder nickte, verstohlen die Nüstern blähte…

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Am folgenden Tag – der Marquis war gerade dabei, ihm die nötigsten Posen, Gesten und Tanzschritte für den bevorstehenden gesellschaftlichen Auftritt beizubringen – fingierte Grenouille einen Schwindelanfall und stürzte scheinbar vollkommen entkräftet und wie von Erstickung bedroht auf einem Diwan nieder.

Der Marquis war außer sich. Er schrie nach den Dienern, schrie nach Luftwedeln und tragbaren Ventilatoren, und während die Diener eilten, kniete er an Grenouilles Seite nieder, fächelte ihm mit seinem veilchenduftgetränkten Taschentuch Luft zu und beschwor, bebettelte ihn regelrecht, doch ja sich wieder aufzurichten, doch ja nicht jetzt die Seele auszuhauchen, sondern damit, wenn irgend möglich, noch bis übermorgen hinzuwarten, da sonst das Überleben der letalen Fluidaltheorie aufs äußerste gefährdet sei.

Grenouille wand und krümmte sich, keuchte, ächzte, fuchtelte mit seinen Armen gegen das Taschentuch, ließ sich schließlich auf sehr dramatische Weise vom Diwan fallen und verkroch sich in die entlegenste Ecke des Zimmers. »Nicht dieses Parfum!« rief er wie mit allerletzter Kraft, »nicht dieses Parfum! Es tötet mich!« Und erst als Taillade-Espinasse das Taschentuch aus dem Fenster und seinen ebenfalls nach Veilchen riechenden Rock ins Nebenzimmer geworfen hatte, ließ Grenouille seinen Anfall abebben und erzählte mit ruhiger werdender Stimme, dass er als Parfumeur eine berufsbedingt empfindliche Nase besitze und immer schon, besonders aber jetzt in der Zeit der Genesung, auf gewisse Parfums sehr heftig reagiere. Dass ausgerechnet der Duft des Veilchens, einer an und für sich lieblichen Blume, ihm so stark zusetze, könne er sich nur dadurch erklären, dass das Parfum des Marquis einen hohen Bestandteil an Veilchenwurzelextrakt enthalte, welcher wegen seiner unterirdischen Herkunft auf eine letal fluidal angegriffene Person wie ihn, Grenouille, verderblich wirke. Schon gestern, bei der ersten Applikation des Duftes, habe er sich ganz blümerant gefühlt und heute, als er den Wurzelgeruch abermals wahrgenommen habe, sei ihm gar gewesen, als stoße man ihn zurück in das entsetzliche stickige Erdloch, in dem er sieben Jahre vegetiert habe. Seine Natur habe sich dagegen empört, anders könne er nicht sagen, denn nachdem ihm einmal durch die Kunst des Herrn Marquis ein Leben als Mensch in fluidalfreier Luft geschenkt worden sei, stürbe er lieber sofort, als dass er sich noch einmal dem verhassten Fluidum ausliefere. Noch jetzt krampfe sich alles in ihm zusammen, wenn er bloß an das Wurzelparfum denke. Er glaube aber zuversichtlich, dass er augenblicklich wiederhergestellt sein würde, wenn es ihm der Marquis gestatte, zur vollständigen Austreibung des Veilchenduftes ein eigenes Parfum zu entwerfen. Er denke dabei an eine besonders leichte, aerierte Note, die hauptsächlich aus erdfernen Ingredienzen wie Mandel- und Orangenblütenwasser, Eukalyptus, Fichtennadelöl und Zypressenöl bestehe. Einen Spritzer nur von einem solchen Duft auf seine Kleider, ein paar Tropfen nur an Hals und Wangen – und er wäre ein für allemal gefeit gegen eine Wiederholung des peinlichen Anfalls, der ihn soeben übermannt habe…

Was wir hier der Verständlichkeit halber in ordentlicher indirekter Rede wiedergeben, war in Wirklichkeit ein halbstündiger, von vielen Hustern und Keuchern und Atemnöten unterbrochener blubbernder Wortausbruch, den Grenouille mit Gezittre und Gefuchtle und Augenrollen untermalte. Der Marquis war schwer beeindruckt. Mehr noch als die Leidenssymptomatik überzeugte ihn die feine Argumentation seines Schützlings, die ganz im Sinne der letal fluidalen Theorie vorgebracht war. Natürlich das Veilchenparfum! Ein widerlich erdnahes, ja sogar unterirdisches Produkt! Wahrscheinlich war er selbst, der es seit Jahren benutzte, schon infiziert davon. Hatte keine Ahnung, dass er sich Tag für Tag durch diesen Duft dem Tode näherbrachte. Die Gicht, die Steifheit seines Nackens, die Schlaffheit seines Glieds, das Hämorrhoid, der Ohrendruck, der faule Zahn – all das kam zweifelsohne von dem Gestank der fluidaldurchseuchten Veilchenwurzel. Und dieser kleine dumme Mensch, das Häuflein Elend in der Zimmerecke dort, hatte ihn daraufgebracht. Er war gerührt. Am liebsten wäre er zu ihm gegangen, hätte ihn aufgehoben und an sein aufgeklärtes Herz gedrückt. Aber er fürchtete, noch immer nach Veilchen zu duften, und so schrie er abermals nach den Dienern und befahl, alles Veilchenparfum aus dem Hause zu entfernen, das ganze Palais zu lüften, seine Kleider im Vitalluftventilator zu entseuchen und Grenouille sofort in seiner Sänfte zum besten Parfumeur der Stadt zu bringen. Genau dies aber hatte Grenouille mit seinem Anfall bezweckt.

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