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Er arbeitete zwei Stunden lang ununterbrochen. Und immer hektischer wurden seine Bewegungen, immer fahriger das Gekrakel seiner Feder auf dem Papier, immer höher die Dosen des Parfums, das er aus dem Flakon in sein Taschentuch schüttete und sich unter die Nase hielt.

Er roch jetzt kaum noch etwas, er war längst betäubt von den ätherischen Substanzen, die er einatmete, konnte nicht einmal mehr wiedererkennen, was er zu Beginn seines Probierens zweifelsfrei analysiert zu haben glaubte. Er wusste, dass es sinnlos war, weiterzuriechen. Er würde nie herausbekommen, woraus dieses neumodische Parfum zusammengesetzt war, heute schon überhaupt nicht mehr, aber auch morgen nicht, wenn sich seine Nase, so Gott wollte, wieder erholt haben würde. Er hatte dieses zersetzende Riechen nie gelernt. Es war ihm eine unselig widerwärtige Beschäftigung, einen Duft zu zerspalten; ein Ganzes, ein gut oder weniger gut Gefügtes, aufzuteilen in seine simplen Fragmente. Es interessierte ihn nicht. Er wollte nicht mehr.

Aber mechanisch fuhr seine Hand fort, mit jener tausendmal geübten zierlichen Bewegung das Spitzentaschentuch zu tränken, es zu schütteln und rasch am Gesicht vorbeizuwedeln, und mechanisch riss er bei jedem Vorüberflug eine Portion duftgetränkter Luft in sich hinein, um sie kunstgerecht verhalten ausströmen zu lassen. Bis ihn endlich seine eigene Nase von der Qual befreite, indem sie von innen her allergisch schwoll und sich wie mit einem wächsernen Pfropfen selbst verschloss. Jetzt konnte er gar nichts mehr riechen, kaum noch atmen. Wie von einem schweren Schnupfen zugelötet war die Nase, und in seinen Augenwinkeln sammelten sich kleine Tränen. Gott im Himmel sei Dank! Nun konnte er guten Gewissens ein Ende machen. Nun hatte er seine Pflicht getan, nach besten Kräften, nach allen Regeln der Kunst, und war, wie schon so oft, gescheitert. Ultra posse nemo obligatur. Feierabend. Morgen früh würde er zu Pelissier schicken um eine große Flasche >Amor und Psyche< und damit die spanische Haut für den Grafen Verhamont beduften, wie bestellt. Und danach würde er sein Köfferchen nehmen, mit den altmodischen Seifen, Sentbons, Pomaden und Sachets, und seine Runde machen durch die Salons greiser Herzoginnen. Und eines Tages würde die letzte greise Herzogin gestorben sein und damit seine letzte Kundin. Und dann würde er selbst ein Greis sein und würde sein Haus verkaufen müssen, an Pelissier oder an irgendeinen anderen dieser aufstrebenden Händler, vielleicht bekäme er noch ein paar tausend Livre dafür. Und würde ein, zwei Koffer packen und mit seiner alten Frau, wenn die bis dahin noch nicht tot war, nach Italien reisen. Und wenn er die Reise überlebte, würde er sich ein kleines Häuschen auf dem Lande bei Messina kaufen, wo es billig war. Und dort würde er sterben, Giuseppe Baldini, einst größter Parfumeur von Paris, in bitterster Armut, wann immer Gott es gefiel. Und so war es gut.

Er stöpselte den Flakon zu, legte die Feder aus der Hand und wischte sich ein letztes Mal mit dem getränkten Taschentuch über die Stirn. Er spürte die Kühle des verdunstenden Alkohols, sonst nichts mehr. Dann ging die Sonne unter.

Baldini erhob sich. Er öffnete die Jalousie, und sein Körper tauchte bis herab zu den Knien ins Abendlicht und glühte auf wie eine abgebrannte glosende Fackel. Er sah den tiefroten Saum der Sonne hinterm Louvre und das zartere Feuer auf den Schieferdächern der Stadt. Unter ihm der Fluss glänzte wie Gold , die Schiffe waren verschwunden. Und es kam wohl ein Wind auf, denn über die Wasserfläche fielen die Böen wie Schuppen, und es glitzerte da und dort und immer näher, als streue eine riesige Hand Millionen von Louisdor-Stücken ins Wasser, und die Richtung des Flusses schien sich für einen Moment umgekehrt zu haben: er strömte auf Baldini zu, eine gleißende Flut von purem Gold. Baldinis Augen waren feucht und traurig. Eine Weile lang stand er still und beobachtete das herrliche Bild. Dann, plötzlich, riss er das Fenster auf, schlug die beiden Flügel weit auseinander und warf den Flakon mit Pelissiers Parfum in hohem Bogen hinaus. Er sah, wie er aufplatschte und für einen Augenblick den glitzernden Wasserteppich zerriss.

Frische Luft strömte ins Zimmer. Baldini schöpfte Atem und merkte, wie sich die Schwellung seiner Nase löste. Dann schloss er das Fenster. Fast im gleichen Moment wurde es Nacht, ganz plötzlich. Das goldglänzende Bild der Stadt und des Flusses erstarrte zu einer aschgrauen Silhouette. Im Zimmer war es mit einem Schlag düster geworden. Baldini stand wieder in der gleichen Haltung wie zuvor und starrte zum Fenster hinaus. »Ich werde morgen nicht zu Pelissier schicken«, sagte er und umklammerte mit beiden Händen die Rückenlehne seines Stuhles. »Ich werde es nicht tun. Und ich werde auch nicht meine Tour durch die Salons machen. Sondern ich werde morgen zum Notar gehen und mein Haus und mein Geschäft verkaufen. Das werde ich tun. E basta!«

Er hatte einen trotzigen, bubenhaften Gesichtsausdruck bekommen und fühlte sich auf einmal sehr glücklich. Er war wieder der alte, der junge Baldini, mutig, und entschlossen wie je, dem Schicksal die Stirn zu bieten – auch wenn das Stirnbieten in diesem Fall nur Rückzug war. Und wenn schon! Es blieb ja nichts anderes übrig. Die dumme Zeit ließ keine andre Wahl. Gott gibt gute und schlechte Zeiten, aber er will nicht, dass wir in schlechten Zeiten jammern und wehklagen, sondern dass wir uns männlich bewähren. Und Er hatte ein Zeichen gegeben. Das blutrot-goldene Trugbild der Stadt war eineWarnung gewesen: Handle, Baldini, eh es zu spät ist! Noch steht dein Haus fest, noch sind deine Lager gefüllt, noch wirst du einen guten Preis für dein niedergehendes Geschäft erzielen können. Noch liegen die Entscheidungen in deiner Hand. In Messina bescheiden alt zu werden, das ist zwar nicht dein Lebensziel gewesen – aber es ist doch ehrenwerter und gottgefälliger als in Paris pompös zugrunde zu gehen. Sollen die Brouets, Calteaux und Pelissiers ruhig triumphieren. Giuseppe Baldini räumt das Feld. Aber er tat es aus freien Stücken und ungebeugt!

Er war jetzt direkt stolz auf sich. Und unendlich erleichtert. Zum ersten Mal seit vielen Jahren wich der subalterne Krampf aus seinem Rücken, der den Nacken verspannte und die Schultern immer devoter gewölbt hatte, und er stand ohne Anstrengung aufrecht, gelöst und frei und freute sich. Sein Atem ging leicht durch die Nase. Er nahm den Geruch von >Amor und Psyche<, der das Zimmer beherrschte, deutlich wahr, aber er ließ sich nichts mehr von ihm anhaben. Baldini hatte sein Leben geändert und fühlte sich wunderbar. Er würde jetzt zu seiner Frau hinaufgehen und sie von seinen Entschlüssen in Kenntnis setzen und dann nach Notre-Dame hinüberpilgern und eine Kerze anzünden, um Gott zu danken für den gnädigen Fingerzeig und für die unglaubliche Charakterstärke, die Er ihm, Giuseppe Baldini, verliehen hatte.

Mit beinahe jugendlichem Elan warf er die Perücke auf seinen kahlen Schädel, schlüpfte in den blauen Rock, ergriff den Leuchter, der auf dem Schreibtischstand, und verließ das Arbeitszimmer. Er hatte gerade die Kerze am Talglicht des Treppenhauses angezündet, um sich den Weg hinauf zur Wohnung zu beleuchten, als er es unten im Erdgeschoss klingeln hörte. Es war nicht das schöne persische Geläute der Ladentür, sondern die scheppernde Klingel des Dienstboteneingangs, ein ekelhaftes Geräusch, das ihn schon immer gestört hatte. Oft wollte er das Ding entfernen und durch eine angenehmere Glocke ersetzen lassen, aber dann war es ihm immer um die Ausgabe leid gewesen, und jetzt, fiel ihm plötzlich ein, und er kicherte bei dem Gedanken, jetzt war's egal; er würde die aufdringliche Klingel samt dem Haus verkaufen. Sollte sein Nachfolger sich darüber ärgern!

Wieder schepperte die Klingel. Er lauschte nach unten. Offenbar hatte Chenier den Laden schon verlassen. Auch das Dienstmädchen machte keine Anstalten zu kommen. So stieg Baldini selbst hinab, um zu öffnen.

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