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Wir nehmen sie unter Feuer. Doch sie arbeiten sich näher heran, und es wird schlimm. Bertinck liegt mit uns im Loch. Als er merkt, daß wir nicht treffen, weil wir bei dem scharfen Feuer zu sehr auf Deckung bedacht sein müssen, nimmt er ein Gewehr, kriecht aus dem Loch und zielt, liegend aufgestützt. Er schießt – im selben Moment schlägt eine Kugel bei ihm klatschend auf, er ist getroffen. Doch er bleibt liegen und zielt weiter – einmal setzt er ab und legt dann aufs neue an; endlich kracht der Schuß. Bertinck läßt das Gewehr fallen, sagt:»Gut«, und rutscht zurück. Der hinterste der beiden Flammenwerfer ist verletzt, er fällt, der Schlauch rutscht dem andern weg, das Feuer spritzt nach allen Seiten, und der Mann brennt.

Bertinck hat einen Brustschuß. Nach einer Weile schmettert ihm ein Splitter das Kinn weg. Der gleiche Splitter hat noch die Kraft, Leer die Hüfte aufzureißen. Leer stöhnt und stemmt sich auf die Arme, er verblutet rasch, niemand kann ihm helfen. Wie ein leerlaufender Schlauch sackt er nach ein paar Minuten zusammen. Was nützt es ihm nun, daß er in der Schule ein so guter Mathematiker war.

* * *

Die Monate rücken weiter. Dieser Sommer 1918 ist der blutigste und der schwerste. Die Tage stehen wie Engel in Gold und Blau unfaßbar über dem Ring der Vernichtung. Jeder hier weiß, daß wir den Krieg verlieren. Es wird nicht viel darüber gesprochen, wir gehen zurück, wir werden nicht wieder angreifen können nach dieser großen Offensive, wir haben keine Leute und keine Munition mehr. Doch der Feldzug geht weiter – das Sterben geht weiter – Sommer 1918 – Nie ist uns das Leben in seiner kargen Gestalt so begehrenswert erschienen wie jetzt; – der rote Klatschmohn auf den Wiesen unserer Quartiere, die glatten Käfer an den Grashalmen, die warmen Abende in den halbdunklen, kühlen Zimmern, die schwarzen, geheimnisvollen Bäume der Dämmerung, die Sterne und das Fließen des Wassers, die Träume und der lange Schlaf – o Leben, Leben, Leben!

Sommer 1918 – Nie ist schweigend mehr ertragen worden als in dem Augenblick des Aufbruchs zur Front. Die wilden und aufpeitschenden Gerüchte von Waffenstillstand und Frieden sind aufgetaucht, sie verwirren die Herzen und machen den Aufbruch schwerer als jemals!

Sommer 1918 – Nie ist das Leben vorne bitterer und grauenvoller als in den Stunden des Feuers, wenn die bleichen Gesichter im Schmutz liegen und die Hände verkrampft sind zu einem einzigen: Nicht! Nicht! Nicht jetzt noch! Nicht jetzt noch im letzten Augenblick! Sommer 1918 – Wind der Hoffnung, der über die verbrannten Felder streicht, rasendes Fieber der Ungeduld, der Enttäuschung, schmerzlichste Schauer des Todes, unfaßbare Frage: Warum? Warum macht man kein Ende? Und warum flattern diese Gerüchte vom Ende auf?

* * *

Es gibt so viele Flieger hier, und sie sind so sicher, daß sie auf einzelne Leute Jagd machen wie auf Hasen. Auf ein deutsches Flugzeug kommen mindestens fünf englische und amerikanische. Auf einen hungrigen, müden deutschen Soldaten im Graben kommen fünf kräftige, frische andere im gegnerischen. Auf ein deutsches Kommißbrot kommen fünfzig Büchsen Fleischkonserven drüben. Wir sind nicht geschlagen, denn wir sind als Soldaten besser und erfahrener; wir sind einfach von der vielfachen Übermacht zerdrückt und zurückgeschoben.

Einige Regenwochen liegen hinter uns – grauer Himmel, graue zerfließende Erde, graues Sterben. Wenn wir hinausfahren, dringt uns bereits die Nässe durch die Mäntel und Kleider, – und so bleibt es die Zeit vorne auch. Wir werden nicht trocken. Wer noch Stiefel trägt, bindet sie oben mit Sandsäcken zu, damit das Lehmwasser nicht so rasch hineinläuft. Die Gewehre verkrusten, die Uniformen verkrusten, alles ist fließend und aufgelöst, eine triefende, feuchte, ölige Masse Erde, in der die gelben Tümpel mit spiralig roten Blutlachen stehen und Tote, Verwundete und Überlebende langsam versinken.

Der Sturm peitscht über uns hin, der Splitterhagel reißt aus dem wirren Grau und Gelb die spitzen Kinderschreie der Getroffenen, und in den Nächten stöhnt das zerrissene Leben sich mühsam dem Schweigen zu. Unsere Hände sind Erde, unsere Körper Lehm und unsere Augen Regentümpel. Wir wissen nicht, ob wir noch leben.

Dann stürzt die Hitze wie eine Qualle feucht und schwül in unsere Löcher, und an einem dieser Spätsommertage, beim Essenholen, fällt Kat um. Wir beide sind allein. Ich verbinde seine Wunde; das Schienbein scheint zerschmettert zu sein. Es ist ein Knochenschuß, und Kat stöhnt verzweifelt:»Jetzt noch – gerade jetzt noch -«Ich tröste ihn.»Wer weiß, wie lange der Schlamassel noch dauert! Du bist erst mal gerettet-«

Die Wunde beginnt heftig durchzubluten. Kat kann nicht allein bleiben, damit ich eine Bahre zu holen versuche. Ich weiß auch nirgendwo eine Sanitätsstation in der Nähe.

Kat ist nicht sehr schwer; deshalb nehme ich ihn auf den Rücken und gehe zurück mit ihm zum Verbandsplatz.

Zweimal machen wir Rast. Er hat starke Schmerzen durch den Transport. Wir sprechen nicht viel. Ich habe den Kragen meiner Jacke aufgemacht und atme heftig, ich schwitze, und mein Gesicht ist gedunsen von der Anstrengung des Tragens. Trotzdem dränge ich, daß wir weitergehen, denn das Terrain ist gefährlich.

»Geht’s wieder, Kat?«

»Muß wohl, Paul.«

»Dann los.«

Ich richte ihn auf, er steht auf dem unverletzten Bein und hält sich an einem Baum fest. Dann fasse ich vorsichtig das verwundete Bein, er gibt sich einen Ruck, und ich nehme auch das Knie des gesunden Beines unter den Arm. Unser Weg wird schwieriger. Manchmal pfeift eine Granate heran. Ich gehe, so schnell ich vermag, denn das Blut von Kats Wunde tropft zu Boden. Wir können uns nur schlecht schützen vor den Einschlägen, denn ehe wir Deckung nehmen, sind sie längst vorüber. Um abzuwarten, legen wir uns in einen kleinen Trichter. Ich gebe Kat Tee aus meiner Feldflasche. Wir rauchen eine Zigarette.»Ja, Kat«, sage ich trübsinnig,»nun kommen wir doch noch auseinander.«

Er schweigt und sieht mich an.

»Weißt du noch, Kat, wie wir die Gans requirierten? Und wie du mich aus dem Schlamassel holtest, als ich noch ein kleiner Rekrut und zum erstenmal verwundet war? Damals habe ich noch geweint. Kat, es sind fast drei Jahre jetzt.«

Er nickt.

Die Angst vor dem Alleinsein steigt in mir auf. Wenn Kat abtransportiert ist, habe ich keinen Freund mehr hier.

»Kat, wir müssen uns auf jeden Fall wiedersehen, wenn wirklich Frieden ist, ehe du zurückkommst.«

»Glaubst du, daß ich mit dem Knochen da noch mal k. v. werde?«fragt er bitter.

»Du wirst ihn in Ruhe ausheilen. Das Gelenk ist ja in Ordnung. Vielleicht klappt es doch damit.«

»Gib mir noch eine Zigarette«, sagt er.

»Vielleicht können wir irgend etwas später zusammen machen, Kat.«- Ich bin sehr traurig, es ist unmöglich, daß Kat – Kat, mein Freund, Kat mit den Hängeschultern und dem dünnen, weichen Schnurrbart, Kat, den ich kenne auf eine andere Weise als jeden anderen Menschen, Kat, mit dem ich diese Jahre geteilt habe -, es ist unmöglich, daß ich Kat vielleicht nicht wiedersehen soll.

»Gib mir deine Adresse für zu Hause, Kat, auf jeden Fall. Und hier ist meine, ich schreibe sie dir auf.«Den Zettel schiebe ich in meine Brusttasche. Wie verlassen ich schon bin, obschon er noch neben mir sitzt. Soll ich mir rasch in den Fuß schießen, um bei ihm bleiben zu können? Kat gurgelt plötzlich und wird grün und gelb.»Wir wollen weiter«, stammelt er.

Ich springe auf, glühend, ihm zu helfen, ich nehme ihn hoch und setze mich in Lauf, einen gedehnten, langsamen Dauerlauf, damit sein Bein nicht zu sehr schlenkert.

Mein Hals ist trocken, es tanzt mir rot und schwarz vor den Augen, als ich verbissen und ohne Gnade weiterstolpernd, endlich die Sanitätsstation erreiche.

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