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Aber auch auf andere Weise bricht es manchmal heraus, dieses Gefährliche, Gestaute – wie aus überhitzten Dampfkesseln. Da ist auch noch das Ende zu berichten, das Berger fand.
Schon lange sind unsere Gräben zerschossen, und wir haben die elastische Front, so daß wir eigentlich keinen richtigen Stellungskrieg mehr führen. Wenn Angriff und Gegenangriff hin und her gegangen sind, bleibt eine zerrissene Linie und ein erbitterter Kampf von Trichter zu Trichter. Die vordere Linie ist durchbrochen, und überall haben sich Gruppen festgesetzt, Trichternester, von denen aus gekämpft wird.
Wir sind in einem Trichter, seitlich sitzen Engländer, sie rollen die Flanke auf und gelangen hinter uns. Wir sind umzingelt. Es ist schwierig, sich zu ergeben, Nebel und Rauch schwanken über uns hin, niemand würde erkennen, daß wir kapitulieren wollen, vielleicht wollen wir es auch gar nicht, das weiß man selbst nicht in solchen Momenten. Wir hören die Explosionen der Handgranaten herankommen. Unser Maschinengewehr bestreicht den vorderen Halbkreis. Das Kühlwasser verdampft, wir reichen die Kästen eilig herum, jeder pißt hinein, so haben wir wieder Wasser und können weiterfeuern. Aber hinter uns kracht es immer näher. In einigen Minuten sind wir verloren. Da rast ein zweites Maschinengewehr auf kürzeste Entfernung los. Es steckt im Trichter neben uns, Berger hat es geholt, und nun setzt ein Gegenangriff von hinten ein, wir kommen frei und finden Verbindung nach rückwärts. Als wir nachher in einigermaßen guter Deckung sind, erzählt einer von den Essenholern, daß ein paar hundert Schritte entfernt ein verwundeter Meldehund liege.
»Wo?«fragt Berger.
Der andere beschreibt es ihm. Berger geht los, um das Tier zu holen oder es zu erschießen. Noch vor einem halben Jahr hätte er sich nicht darum gekümmert, sondern wäre vernünftig gewesen. Wir versuchen, ihn zurückzuhalten. Doch als er ernsthaft geht, können wir nur sagen:»Verrückt!«und ihn laufenlassen. Denn diese Anfälle von Frontkoller werden gefährlich, wenn man den Mann nicht gleich zu Boden werfen und festhalten kann. Und Berger ist ein Meter achtzig groß, der kräftigste Mann der Kompanie.
Er ist tatsächlich verrückt, denn er muß durch die Feuerwand;
– aber es ist dieser Blitz, der irgendwo über uns allen lauert, der in ihn eingeschlagen ist und ihn besessen macht. Bei andern ist es so, daß sie zu toben anfangen, daß sie wegrennen, ja einer war da, der sich mit Händen und Füßen und Mund immerfort in die Erde einzugraben versuchte. Es wird natürlich auch viel simuliert mit solchen Sachen, aber das Simulieren ist ja eigentlich auch schon ein Zeichen. Berger, der den Hund erledigen will, wird mit einem Beckenschuß weggeholt, und einer der Leute, die es tun, kriegt sogar dabei noch eine Gewehrkugel in die Wade.
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Müller ist tot. Man hat ihm aus nächster Nähe eine Leuchtkugel in den Magen geschossen. Er lebte noch eine halbe Stunde bei vollem Verstande und furchtbaren Schmerzen. Bevor er starb, übergab er mir seine Brieftasche und vermachte mir seine Stiefel – dieselben, die er damals von Kemmerich geerbt hat. Ich trage sie, denn sie passen mir gut. Nach mir wird Tjaden sie bekommen, ich habe sie ihm versprochen.
Wir haben Müller zwar begraben können, aber lange wird er wohl nicht ungestört bleiben. Unsere Linien werden zurückgenommen. Es gibt drüben zu viele frische englische und amerikanische Regimenter. Es gibt zuviel Corned beef und weißes Weizenmehl. Und zuviel neue Geschütze. Zuviel Flugzeuge.
Wir aber sind mager und ausgehungert. Unser Essen ist so schlecht und mit so viel Ersatzmitteln gestreckt, daß wir krank davon werden. Die Fabrikbesitzer in Deutschland sind reiche Leute geworden – uns zerschrinnt die Ruhr die Därme. Die Latrinenstangen sind stets dicht gehockt voll; – man sollte den Leuten zu Hause diese grauen, gelben, elenden, ergebenen Gesichter hier zeigen, diese verkrümmten Gestalten, denen die Kolik das Blut aus dem Leibe quetscht und die höchstens mit verzerrten, noch schmerz-bebenden Lippen sich angrinsen:»Es hat gar keinen Zweck, die Hose wieder hochzuziehen -«
Unsere Artillerie ist ausgeschossen – sie hat zuwenig Munition -, und die Rohre sind so ausgeleiert, daß sie unsicher schießen und bis zu uns herüberstreuen. Wir haben zuwenig Pferde. Unsere frischen Truppen sind blutarme, erholungsbedürftige Knaben, die keinen Tornister tragen können, aber zu sterben wissen. Zu Tausenden. Sie verstehen nichts vom Kriege, sie gehen nur vor und lassen sich abschießen. Ein einziger Flieger knallte aus Spaß zwei Kompanien von ihnen weg, ehe sie etwas von Deckung wußten, als sie frisch aus dem Zuge kamen.
»Deutschland muß bald leer sein«, sagt Kat.
Wir sind ohne Hoffnung, daß einmal ein Ende sein könnte. Wir denken überhaupt nicht so weit. Man kann einen Schuß bekommen und tot sein; man kann verletzt werden, dann ist das Lazarett die nächste Station. Ist man nicht amputiert, dann fällt man über kurz oder lang einem dieser Stabsärzte in die Hände, die, das Kriegsverdienstkreuz im Knopfloch, einem sagen:»Wie, das bißchen verkürzte Bein? An der Front brauchen Sie nicht zu laufen, wenn Sie Mut haben. Der Mann ist k.v. Wegtreten!«
Kat erzählt eine der Geschichten, die die ganze Front von den Vogesen bis Flandern entlanglaufen, – von dem Stabsarzt, der Namen vorliest auf der Musterung und, wenn der Mann vortritt, ohne aufzusehen, sagt:»K. v. Wir brauchen Soldaten draußen.«Ein Mann mit Holzbein tritt vor, der Stabsarzt sagt wieder: k.v. -»Und da«, Kat hebt die Stimme,»sagt der Mann zu ihm: ›Ein Holzbein habe ich schon; aber wenn ich jetzt hinausgehe und wenn man mir den Kopf abschießt, dann lasse ich mir einen Holzkopf machen und werde Stabsarzt!‹«- Wir sind alle tief befriedigt über diese Antwort.
Es mag gute Ärzte geben, und viele sind es; doch einmal fällt bei den hundert Untersuchungen jeder Soldat einem dieser zahlreichen Heldengreifer in die Finger, die sich bemühen, auf ihrer Liste möglichst viele a. v. und g. v. in k. v. zu verwandeln.
Es gibt manche solcher Geschichten, sie sind meistens noch viel bitterer. Aber sie haben trotzdem nichts mit Meuterei und Miesmachen zu tun; sie sind ehrlich und nennen die Dinge beim Namen; denn es besteht sehr viel Betrug, Ungerechtigkeit und Gemeinheit beim Kommiß. Ist es nicht viel, daß trotzdem Regiment auf Regiment in den immer aussichtsloser werdenden Kampf geht und daß Angriff auf Angriff erfolgt bei zurückweichender, zerbröckelnder Linie?
Die Tanks sind vom Gespött zu einer schweren Waffe geworden. Sie kommen, gepanzert, in langer Reihe gerollt und verkörpern uns mehr als anderes das Grauen des Krieges.
Die Geschütze, die uns das Trommelfeuer herüberschicken, sehen wir nicht, die angreifenden Linien der Gegner sind Menschen wie wir – aber diese Tanks sind Maschinen, ihre Kettenbänder laufen endlos wie der Krieg, sie sind die Vernichtung, wenn sie fühllos in Trichter hineinrollen und wieder hochklettern, unaufhaltsam, eine Flotte brüllender, rauchspeiender Panzer, unverwundbare, Tote und Verwundete zerquetschende Stahltiere. – Wir schrumpfen zusammen vor ihnen in unserer dünnen Haut, vor ihrer kolossalen Wucht werden unsere Arme zu Strohhalmen und unsere Handgranaten zu Streichhölzern.
Granaten, Gasschwaden und Tankflottillen – Zerstampfen, Zerfressen, Tod.
Ruhr, Grippe, Typhus – Würgen, Verbrennen, Tod. Graben, Lazarett, Massengrab – mehr Möglichkeiten gibt es nicht.
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Bei einem Angriff fällt unser Kompanieführer Bertinck. Er war einer dieser prachtvollen Frontoffiziere, die in jeder brenzligen Situation vorne sind. Seit zwei Jahren war er bei uns, ohne daß er verwundet wurde, da mußte ja endlich etwas passieren. Wir sitzen in einem Loch und sind eingekreist. Mit den Pulverschwaden weht der Gestank von öl oder Petroleum herüber. Zwei Mann mit einem Flammenwerfer werden entdeckt, einer trägt auf dem Rücken den Kasten, der andere hat in den Händen den Schlauch, aus dem das Feuer spritzt. Wenn sie so nahe herankommen, daß sie uns erreichen, sind wir erledigt, denn zurück können wir gerade jetzt nicht.