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Köster starrte ihn an.»Der Schuß sitzt doch ganz seitlich.

Es kann doch nicht schlimm sein!«

»Es sind zwei Schüsse!«sagte der Arzt.

Er wischte wieder das Blut weg. Wir beugten uns vor. Da sahen wir, daß schräg unter der stark blutenden Wunde eine zweite war – ein kleines, dunkles Loch in der Herzgegend.

»Er muß fast augenblicklich tot gewesen sein«, sagte der Arzt. Köster richtete sich auf. Er sah Gottfried an. Der Arzt bedeckte die Wunden mit Tampons und klebte Heftpflasterstreifen darüber.»Wollen Sie sich waschen?«fragte er mich.

»Nein«, sagte ich.

Gottfrieds Gesicht war jetzt gelb und eingefallen. Der Mund war etwas schiefgezogen, die Augen waren halb geschlossen, das eine etwas mehr als das andere. Er sah uns an. Er sah uns immerfort an.

»Wie ist es denn gekommen?«fragte der Arzt.

Niemand antwortete. Gottfried sah uns an. Er sah uns unverwandt an.

»Er kann hierbleiben«, sagte der Arzt.

Köster rührte sich.»Nein«, erwiderte er.»Wir nehmen ihn mit!«

»Das geht nicht«, sagte der Arzt.»Wir müssen die Polizei anrufen. Die Kriminalpolizei auch. Es muß doch sofort alles getan werden, um den Täter zu finden.«

»Den Täter?«Köster blickte den Arzt an, als verstünde er ihn nicht.

»Gut«, sagte er dann,»ich werde hinfahren und die Polizei holen.«

»Sie können telefonieren. Dann sind sie schneller hier.«

Köster schüttelte langsam den Kopf.»Nein. Ich werde sie holen.«

Er ging hinaus, und ich hörte Karl anspringen. Der Arzt schob mir einen Stuhl hin.»Wollen Sie sich nicht solange setzen?«

»Danke«, sagte ich und blieb stehen. Das helle Licht lag immer noch auf Gottfrieds blutiger Brust. Der Arzt schob die Lampe etwas höher.

»Wie ist es denn gekommen?«fragte er nochmals.

»Ich weiß nicht. Es muß eine Verwechslung mit jemand gewesen sein.«

»War er im Krieg?«fragte der Arzt.

Ich nickte.

»Man sieht es an den Narben«, sagte er.»Und an dem zerschossenen Arm. Er ist mehrere Male verwundet worden.«

»Ja. Viermal.«

»Eine Gemeinheit«, sagte der Sanitäter.»Sind doch alles Lausebengels, die damals noch in den Windeln lagen.«

Ich erwiderte nichts. Gottfried sah mich an. Immerfort an.

Es dauerte lange, bis Köster wiederkam. Er war allein. Der Arzt legte die Zeitung weg, in der er gelesen hatte.»Sind die Beamten da?«fragte er.

Köster blieb stehen. Er hatte nicht gehört, was der Arzt gesagt hatte.

»Ist die Polizei da?«fragte der Arzt noch einmal.

»Ja«, erwiderte Köster.»Die Polizei. Wir müssen telefonieren, daß sie kommt.«

Der Arzt sah ihn an, sagte aber nichts und ging zum Telefon. Ein paar Minuten später kamen zwei Beamte. Sie setzten sich an einen Tisch, und einer von ihnen nahm Gottfrieds Personalien auf. Ich weiß nicht, aber es schien mir irrsinnig, zu sagen, wie er hieß und wann er geboren war und wo er wohnte, jetzt, wo er tot war. Ich starrte auf den schwärzlichen Bleistiftstummel, den der Beamte ab und zu mit den Lippen befeuchtete, und gab mechanisch Antwort.

Der andere Beamte begann ein Protokoll aufzusetzen. Köster machte die notwendigen Angaben.»Können Sie mir ungefähr sagen, wie der Täter aussah?«fragte der Beamte.

»Nein«, erwiderte Köster.»Ich habe nicht darauf geachtet.«

Ich blickte zu ihm hinüber. Ich dachte an die gelben Gamaschen und die Uniformen.

»Wissen Sie nicht, welcher politischen Partei er angehörte? Haben Sie nicht die Abzeichen oder die Uniform gesehen?«

»Nein«, sagte Köster.»Ich habe nichts gesehen vor den Schüssen. Und dann habe ich mich nur um…«, er stockte einen Augenblick,»um meinen Kameraden gekümmert.«

»Gehören Sie einer politischen Partei an?«

»Nein.«

»Ich meinte, weil Sie sagten, er wäre Ihr Kamerad…«

»Er ist mein Kamerad aus dem Krieg«, sagte Köster.

Der Beamte wandte sich mir zu.»Können Sie den Täter beschreiben?«

Köster sah mich fest an.»Nein«, sagte ich.»Ich habe auch nichts gesehen.«

»Merkwürdig«, sagte der Beamte.

»Wir waren im Gespräch und haben auf nichts geachtet. Es ging auch alles sehr schnell.«

Der Beamte seufzte.»Da ist wenig Aussicht, daß wir die Kerle kriegen.«

Er machte das Protokoll fertig.»Können wir ihn mitnehmen?«fragte Köster.

»Eigentlich…«Der Beamte blickte den Arzt an.»Die Todesursache ist einwandfrei festgestellt?«

Der Arzt nickte.»Ich habe den Schein schon ausgeschrieben.«

»Und wo ist das Geschoß? Ich muß das Geschoß mitnehmen.«

»Es sind zwei Steckschüsse. Ich müßte…«Der Arzt zögerte.

»Ich muß beide haben«, sagte der Beamte.»Ich muß sehen, ob sie aus der gleichen Waffe sind.«

»Ja«, erwiderte Köster auf einen Blick des Arztes.

Der Sanitäter rückte die Bahre zurecht und zog das Licht herunter. Der Arzt nahm seine Werkzeuge und fuhr mit einer Pinzette in die Wunden. Die erste Kugel fand er rasch; sie war nicht sehr tief. Bei der zweiten mußte er schneiden. Er zog die Gummihandschuhe ganz herauf und griff nach den Klammern und dem Messer. Köster trat rasch an die Bahre und drückte Gottfrieds Augen zu, die immer noch halb offenstanden. Ich wandte mich ab, als ich das leise Zischen des Messers hörte. Einen Augenblick lang wollte ich zuspringen und den Arzt beiseite stoßen, weil es in mir aufzuckte, Gottfried sei nur bewußtlos und der Arzt töte ihn jetzt erst wirklich – aber dann wußte ich es wieder. Wir hatten genug Tote gesehen, um es zu wissen.

»Das ist sie«, sagte der Arzt und richtete sich auf. Er wischte das Geschoß ab und gab es dem Beamten.

»Es ist das gleiche. Aus derselben Waffe, nicht wahr?«

Köster beugte sich vor und sah die kleinen, stumpfschimmernden Geschosse, die in der Hand des Beamten hin und her rollten, genau an.

»Ja«, sagte er.

Der Beamte wickelte sie in Papier und steckte sie in die Tasche.

»Es ist eigentlich nicht erlaubt«, sagte er dann,»aber wenn Sie ihn nach Hause nehmen wollen – der Tatbestand ist ja klar, nicht wahr, Herr Doktor?«Der Arzt nickte.»Sie sind ja auch Gerichtsarzt«, fuhr der Beamte fort,»also dann – wie Sie wollen – Sie müssen nur – es könnte sein, daß morgen noch eine Kommission kommt…«

»Ich weiß«, sagte Köster.»Wir werden alles genauso lassen.«Die Beamten gingen.

Der Arzt hatte die Wunden Gottfrieds wieder bedeckt und verklebt.»Wie wollen Sie es machen?«fragte er.»Sie können die Bahre mitnehmen. Sie brauchen sie morgen nur im Laufe des Tages hierher zurückzuschicken.«

»Ja, danke«, sagte Köster.»Komm, Robby.«

»Ich kann Ihnen helfen«, sagte der Sanitäter.

Ich schüttelte den Kopf.»Es geht schon.«

Wir nahmen die Bahre, trugen sie hinaus und legten sie auf die beiden linken Sitze, die mit der heruntergeklappten Lehne eine Ebene bildeten. Der Sanitäter und der Arzt kamen heraus und sahen zu. Wir deckten Gottfrieds Mantel über ihn und fuhren ab. Nach einer Weile wandte sich Köster zu mir um.»Wir fahren die Straße noch einmal ab. Ich habe es vorhin schon getan. Aber da war es zu früh. Vielleicht sind sie jetzt unterwegs.«

Es fing langsam an zu schneien. Köster fuhr den Wagen fast unhörbar. Er kuppelte aus, und oft stellte er auch die Zündung ab. Er wollte nicht gehört werden, obschon die vier, die wir suchten, ja nicht wußten, daß wir den Wagen hatten. Dann glitten wir lautlos wie ein weißes Gespenst durch den immer stärker fallenden Schnee. Ich holte mir aus dem Werkzeug einen Hammer heraus und legte ihn neben mich, um sofort aus dem Wagen springen und zuschlagen zu können. Wir kamen die Straße entlang, in der es passiert war. Unter der Laterne war noch der schwarze Fleck des Blutes. Köster schaltete das Licht aus. Wir glitten dicht an der Bordkante entlang und beobachteten die Straße. Niemand war zu sehen. Nur aus einer erleuchteten Kneipe hörten wir Stimmen.

Köster hielt an der Kreuzung.»Bleib hier«, sagte er,»ich will in der Kneipe nachsehen.«

»Ich gehe mit«, erwiderte ich.

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