»Schon fast eine Stunde.«-»Schade. Hätte ich das gewußt.«
Sie lachte.»Nein, es hätte nichts genützt. Ich liege zu Bett und habe schon wieder etwas Fieber. Es ist ganz gut, daß ich früh nach Hause gekommen bin.«
»Fieber? Was ist denn das nur für ein Fieber?«
»Ach, nichts Wichtiges. Was haben Sie denn heute abend noch gemacht?«
»Ich habe mich mit meiner Wirtin über die Weltlage unterhalten. Und Sie? Hat Ihre Sache geklappt?«
»Ich hoffe, daß sie klappt.«
Unter meinem Unterschlupf wurde es affenheiß. Ich lüftete deshalb jedesmal, wenn das Mädchen sprach, den Vorhang, atmete eilig die kühle Luft von außen und schloß die Klappe wieder, wenn ich selbst dicht über der Muschel sprach.
»Haben Sie in Ihrer Bekanntschaft nicht jemand, der Robert heißt?«fragte ich.
Sie lachte.»Ich glaube nicht…«
»Schade. Ich hätte gern mal gehört, wie Sie das aussprechen. Wollen Sie es nicht trotzdem mal versuchen?«
Sie lachte wieder.
»Nur so zum Spaß«, sagte ich.»Zum Beispiel: Robert ist ein Esel.«
»Robert ist ein Kindskopf…«
»Sie haben eine wunderbare Aussprache«, sagte ich.»Und nun wollen wir es einmal mit Robby versuchen. Also: Robby ist…«
»Robby ist ein Säufer…«, sagte die leise, ferne Stimme langsam,»und jetzt muß ich schlafen -. ich habe ein Schlafmittel genommen, und mein Kopf summt schon…«
»Ja – gute Nacht – schlafen Sie gut…«
Ich legte den Hörer auf und schob den Mantel und die Decke beiseite. Dann richtete ich mich auf und erstarrte. Einen Schritt hinter mir stand wie ein Geist der pensionierte Rechnungsrat, der das Zimmer neben der Küche bewohnte.
Ich grunzte ärgerlich irgend etwas.
»Pst!«machte er und grinste.
»Pst!«machte ich zurück und wünschte ihn zur Hölle.
Er hob einen Finger.»Ich verrate nichts – politisch, wie?«
»Was?«fragte ich erstaunt.
Er zwinkerte.»Ohne Sorge! Stehe selbst scharf rechts.
Geheimes politisches Gespräch, wie?«
Ich begriff.»Hochpolitisch!«sagte ich und grinste jetzt auch.
Er nickte und flüsterte:»Es lebe Seine Majestät!«
»Dreimal Vivat hoch!«erwiderte ich.»Aber nun mal was anderes: Wissen Sie eigentlich, wer das Telefon erfunden hat?«
Er schüttelte erstaunt den kahlen Schädel.
»Ich auch nicht«, sagte ich -»aber es muß ein fabelhafter Kerl gewesen sein…«
IX
Sonntag. Der Tag des Rennens. Köster hatte die letzte Woche jeden Tag trainiert. Abends hatten wir dann bis in die Nacht hinein Karl bis aufs kleinste Schräubchen kontrolliert, geschmiert und in Ordnung gebracht. Jetzt saßen wir am Ersatzteillager und warteten auf Köster, der zum Startplatz gegangen war.
Wir waren alle da: Grau, Valentin, Lenz, Patrice Hollmann und vor allem Jupp. Jupp im Overall, mit Rennbrille und Rennhaube. Er war Kösters Beifahrer, weil er am leichtesten war. Lenz hatte allerdings Bedenken gehabt. Er behauptete, Jupps riesige abstehende Ohren gäben zuviel Luftwiderstand; entweder verliere der Wagen zwanzig Kilometer an Geschwindigkeit oder er verwandele sich in ein Flugzeug.
»Wie kommen Sie eigentlich zu Ihrem englischen Vornamen?«fragte Gottfried Patrice Hollmann, die neben ihm saß.
»Meine Mutter war Engländerin. Sie hieß auch so. Pat.«
»Ah, Pat, das ist was anderes. Das spricht sich viel leichter.«
Er holte ein Glas und eine Flasche hervor.»Also auf gute Kameradschaft, Pat! Ich heiße Gottfried.«
Ich starrte ihn an. Während ich immer noch mit der Anrede herumlavierte, machte er am hellen Nachmittag unverfroren solche Sachen! Und sie lachte dazu und nannte ihn tatsächlich Gottfried.
Aber das war nichts gegen Ferdinand Grau. Der war völlig verrückt geworden und ließ sie nicht aus den Augen. Er rezitierte rollende Verse und erklärte, sie malen zu müssen.
Tatsächlich hockte er sich auf eine Kiste und fing an zu zeichnen.
»Hör mal, Ferdinand, alter Totenvogel«, sagte ich und nahm ihm den Block fort,»vergreif dich nicht an lebendigen Menschen. Bleib bei deinen Leichen. Und rede mehr ins Allgemeine. Mit dem Mädchen bin ich empfindlich.«
»Versauft ihr nachher mit mir den Rest der Erbtante meines Gastwirts?«
»Ob den ganzen Rest, weiß ich nicht. Aber einen Fuß sicher.«
»Gut. Dann will ich dich schonen, Knabe.«
Das Geknatter der Motoren wanderte wie Maschinengewehrfeuer um die Bahn. Geruch nach verbranntem Öl, Benzin und Rizinus. Erregender, wunderbarer Geruch, erregender, wunderbarer Trommelwirbel der Motoren!
Nebenan lärmten die Monteure in ihren wohlausgerüsteten Boxen. Wir selbst waren nur sehr dürftig versorgt. Ein bißchen Werkzeug, Zündkerzen, ein paar Räder mit Reservereifen, die wir umsonst von einer Fabrik bekommen hatten, ein paar kleinere Ersatzteile – das war schon alles. Köster fuhr nicht für eine Fabrik. Wir mußten alles selbst bezahlen. Deshalb hatten wir nicht viel.
Otto kam. Hinter ihm Braumüller, der schon zum Rennen angezogen war.»Na, Otto«, sagte er,»wenn meine Kerzen heute halten, bist du verloren! Aber sie werden nicht halten.«
»Mal sehen«, erwiderte Köster.
Braumüller drohte zu Karl hinüber.»Nimm dich in acht vor meinem Nußknacker!«
Der Nußknacker war eine ganz schwere, neue Maschine, die Braumüller fuhr. Er galt als Favorit.
»Karl wird dir schon Beine machen, Theo!«rief Lenz zu ihm hinüber.
Braumüller wollte in der alten ehrlichen Soldatensprache antworten, verschluckte sich aber, als er Patrice Hollmann bei uns sah, machte Stielaugen, grinste ziellos in die Gegend und schob ab.
»Voller Erfolg«, sagte Lenz befriedigt.
Das Gebell der Motorräder fegte über die Bahn. Köster mußte sich fertigmachen. Karl war in der Sportwagenklasse gemeldet.
»Viel helfen können wir dir ja nicht, Otto«, sagte ich und sah nach dem Werkzeug.
Er winkte ab.»Ist auch nicht nötig. Wenn Karl Bruch macht, nützt selbst eine ganze Werkstatt nichts.«
»Sollen wir nicht doch Schilder 'raushalten, damit du weißt, wie du liegst?«
Köster schüttelte den Kopf.»Ist ja Sammelstart. Da seh' ich's schon. Außerdem paßt Jupp auf.«
Jupp nickte eifrig. Er zitterte vor Aufregung und fraß andauernd Schokolade. Aber das war nur jetzt. Beim Startschuß wurde er sofort ruhig wie eine Schildkröte.
»Also los, Hals- und Beinbruch!«
Wir schoben Karl vor.»Bleib ja beim Start nicht stehen, du geliebtes Aas«, sagte Lenz und tätschelte den Kühler.»Enttäusche deinen alten Vater nicht, Karl!«
Karl dampfte ab. Wir sahen ihm nach.»Guck mal, die komische Klamotte«, sagte plötzlich jemand neben uns.»Das Hintergestell, Mensch, wie ein Strauß!«
Lenz richtete sich auf.»Meinen Sie den weißen Wagen?«fragte er mit rotem Kopf, aber noch ruhig.
»Eben«, erwiderte ihm der riesige Monteur aus der Nachbarbox wegwerfend über die Schulter weg und reichte seinem Nachbarn die Bierflasche. Lenz begann vor Wut zu stottern und schickte sich an, die niedrige Bretterwand zu übersteigen. Gottlob hatte er seine Beleidigungen noch nicht draußen. Ich zerrte ihn zurück.»Laß den Quatsch«, fluchte ich,»wir brauchen dich hier. Wozu willst du schon vorher ins Lazarett!«Störrisch wie ein Esel wollte er sich losmachen. Er konnte nun einmal bei Karl nichts vertragen.
»Sehen Sie«, sagte ich zu Patrice Hollmann,»das ist angeblich der letzte Romantiker, dieser irrsinnige Ziegenbock! Können Sie glauben, daß er mal Gedichte geschrieben hat?«
Das wirkte sofort. Es war Gottfrieds wunde Stelle.»Lange vor dem Kriege«, entschuldigte er sich.»Außerdem, Baby, beim Rennen verrückt zu werden ist keine Schande. Was, Pat?«
»Verrückt sein ist überhaupt keine Schande.«
Gottfried salutierte.»Ein großes Wort!«
Das Donnern der Motoren übertönte alles Weitere. Die Luft bebte. Erde und Himmel bebten. Das Feld raste vorbei.»Vorletzter!«knurrte Lenz.»Das Biest hat beim Anfahren doch wieder gestottert.«
»Macht nichts«, sagte ich,»der Start ist Karls Schwäche. Er zieht langsam ab, aber dann hört er überhaupt nicht mehr auf.«