»Weißt du«, sagte ich,»mir ist jetzt bedeutend besser.«
XVIII
Unser Taxi stand vor der Bar. Ich ging hinein, um Lenz abzulösen und mir den Schlüssel und die Papiere zu holen. Gottfried kam mit heraus.»Hast du gute Kasse gehabt?«fragte ich.
»Mäßig«, erwiderte er.»Entweder gibt es zuviel Taxis oder zuwenig Leute, die Taxi fahren. Wie war's denn bei dir?«
»Schlecht. Habe die ganze Nacht herumgestanden und nicht mal zwanzig Mark eingenommen.«
»Trübe Zeiten!«Gottfried zog die Brauen hoch.»Na, dann hast du's ja wohl nicht so sehr eilig heute, was?«
»Nein, warum?«
»Kannst mich mal ein Stück mitnehmen.«
»Gut.«Wir stiegen ein.»Wo willst du denn hin?«fragte ich.
»Zum Dom.«
»Was?«fragte ich.»Glaubst du, daß ich mich verhört habe? Ich habe Dom verstanden.«
»Nein, mein Sohn, du hast dich nicht verhört. Dom ist richtig!«
Ich sah ihn erstaunt an.»Staune nicht, sondern fahre!«sagte Gottfried.
»Na schön.«Wir fuhren los.
Der Dom lag im alten Teil der Stadt, an einem freien Platz, der von den Häusern der Geistlichen umgeben war. Ich hielt vor dem Hauptportal.»Weiter«, sagte Gottfried.»Ganz herum.«
Er ließ mich vor einem kleinen Eingang an der Rückseite halten und stieg aus.»Viel Vergnügen«, sagte ich.»Ich nehme an, daß du beichten willst.«
»Komm mal mit«, erwiderte er.
Ich lachte.»Heute nicht. Ich habe heute morgen schon gebetet. Das reicht bei mir für den ganzen Tag.«
»Rede keinen Unsinn, Baby! Komm mit. Ich will großmütig sein und dir was zeigen.«
Neugierig folgte ich ihm. Wir gingen durch die kleine Eingangstür und kamen von dort sofort in die Kreuzgänge. Sie bildeten ein großes Viereck und bestanden aus langen Bogenreihen, die auf der Innenseite von grauen Granitsäulen gestützt wurden und einen Garten einrahmten. In der Mitte erhob sich ein großes, verwittertes Kreuz mit der Figur Christi. An den Seiten waren steinerne Reliefbilder der Stationen des schmerzhaften Rosenkranzes aufgestellt. Vor jedem Bilde befand sich eine alte Betbank. Der Garten war verwildert und blühte über und über.
Gottfried zeigte auf ein paar mächtige weiße und rote Rosenbüsche.»Das wollte ich dir zeigen! Erkennst du sie wieder?«
Überrascht blieb ich stehen.»Natürlich erkenne ich sie wieder«, sagte ich.»Also hier hast du geerntet, du alter Kirchenräuber!«
Pat war vor einer Woche zu Frau Zalewski umgezogen, und Lenz hatte ihr abends durch Jupp einen riesigen Strauß Rosen geschickt. Es war eine solche Menge gewesen, daß Jupp zweimal herunter mußte und jedesmal mit beiden Armen voll wiederkam. Ich hatte mir schon den Kopf zerbrochen, wo Gottfried sie nur herhaben mochte, denn ich kannte sein Prinzip, Blumen niemals zu kaufen. In den städtischen Anlagen hatte ich sie nie gesehen.
»Das ist eine Idee!«sagte ich anerkennend.»Darauf soll ein Mensch kommen!«
Gottfried schmunzelte.»Der Garten hier ist eine wahre Goldgrube!«Er legte mir feierlich die Hand auf die Schulter.»Hiermit nehme ich dich als Teilhaber auf! Denke, du kannst es gerade jetzt gut gebrauchen!«
»Wieso gerade jetzt?«fragte ich.
»Weil die städtischen Anlagen augenblicklich ziemlich kahl sind. Und die waren ja wohl bisher deine einzige Weide, was?«
Ich nickte.
»Außerdem«, erklärte Gottfried weiter,»kommst du jetzt in die Zeit, wo sich der Unterschied zwischen einem Bourgeois und einem Kavalier zeigt. Der Bourgeois wird immer unaufmerksamer, je länger er eine Frau kennt. Der Kavalier immer aufmerksamer.«Er machte eine weitläufige Handbewegung.»Hiermit kannst du ein geradezu erschütternder Kavalier werden!«
Ich lachte.»Alles ganz gut, Gottfried«, sagte ich.»Aber wie ist das, wenn man erwischt wird? Man kann hier schlecht ausreißen, und fromme Leute bezeichnen so was leicht als Schändung heiliger Stätten.«
»Mein lieber Junge«, erwiderte Lenz,»siehst du hier jemand? Seit dem Kriege gehen die Leute in politische Versammlungen, aber nicht in die Kirche.«
Das war richtig.»Aber wie ist es mit den Pastoren?«fragte ich.
»Den Pastoren sind die Blumen egal, sonst wäre der Garten besser gepflegt. Und der liebe Gott hat höchstens seinen Spaß dran, wenn du jemand damit eine Freude machst. Der ist gar nicht so.«
»Da hast du recht!«Ich betrachtete die riesigen alten Büsche.»Für die nächsten Wochen habe ich damit ausgesorgt, Gottfried.«
»Länger. Du hast Glück. Es ist eine sehr dauerhafte, lange blühende Rosensorte. Du reichst damit mindestens bis September. Und von da an gibt es hier dann Astern und Chrysanthemen. Komm, ich zeige sie dir auch gleich.«
Wir gingen durch den Garten. Die Rosen dufteten betäubend. Wie eine summende Wolke flogen Bienenschwärme von Blüte zu Blüte.
»Sieh dir das an«, sagte ich und blieb stehen.»Wo mögen die nur herkommen? Mitten in der Stadt? Hier gibt es in der Nähe doch gar keine Bienenkörbe. Oder glaubst du, daß die Pastoren welche auf ihren Dächern stehen haben?«
»Nein, Bruder«, erwiderte Lenz.»Die kommen todsicher von irgendeinem Bauernhof. Sie kennen nur eben ihren Weg.«Er zwinkerte mit den Augen.»Wir nicht, was?«
Ich hob die Schultern.
»Vielleicht doch. Wenigstens ein kleines Stück. Soweit man es eben kann. Du nicht?«
»Nein. Will's auch gar nicht wissen. Ziele machen das Leben bürgerlich.«
Ich blickte zum Domturm hinauf. Seidengrün stand er vor dem blauen Himmel, unendlich alt und ruhig, von Schwalben umflogen.
»Wie still es hier ist«, sagte ich.
Lenz nickte.»Ja, mein Alter, hier merkt man, daß einem eigentlich nur Zeit gefehlt hat, um ein guter Mensch zu werden, was?«
»Zeit und Ruhe«, erwiderte ich.»Ruhe auch.«
Er lachte.»Zu spät! Jetzt ist es schon so weit, daß man die Ruhe nicht mehr aushaken könnte. Also los! Wieder hinein in den Radau!«
Ich setzte Gottfried ab und fuhr zum Stand zurück. Unterwegs kam ich am Friedhof vorbei. Ich wußte, daß Pat jetzt in ihrem Liegestuhl auf dem Balkon lag, und hupte ein paarmal. Aber es zeigte sich nichts, und ich fuhr weiter. Dafür sah ich ein Stück weiter Frau Hasse in einer Art taftseidenem Umhang die Straße entlangrudern und um die Ecke verschwinden. Ich fuhr ihr nach, um sie zu fragen, ob ich sie irgendwo hinbringen könnte. Aber als ich an die Kreuzung kam, sah ich, daß sie in einen Wagen stieg, der hinter der Ecke gehalten hatte. Es war eine etwas klapprige Mercedeslimousine aus dem Jahre 23, die gleich darauf losratterte. Ein Mann mit einer Nase wie ein Entenschnabel und einem auffallend karierten Anzug saß am Steuer. Ich schaute dem Wagen ziemlich lange nach. Das kam also dabei heraus, wenn eine Frau dauernd allein zu Hause saß. Nachdenklich fuhr ich zum Stand und stellte mich in die Reihe der wartenden Taxis.
Die Sonne brütete auf das Verdeck. Es ging nur langsam vorwärts. Ich döste vor mich hin und versuchte zu schlafen. Doch das Bild von Frau Hasse ging mir nicht aus dem Kopf. Es war etwas ganz anderes, aber schließlich war Pat auch den ganzen Tag allein.
Ich stieg aus und ging nach vorn zu Gustavs Wagen.»Hier, trink mal«, forderte er mich auf und hielt mir eine Thermosflasche hin.
»Wunderbar kalt! Eigene Erfindung! Kaffee mit Eis. Bleibt stundenlang so bei der Hitze. Ja, Gustav ist praktisch!«
Ich nahm einen Becher und trank ihn aus.»Wenn du so praktisch bist«, sagte ich,»dann erzähl mir doch mal, wie man einer Frau etwas Unterhaltung verschaffen kann, wenn sie viel allein ist.«
»So was Einfaches!«Gustav sah mich überlegen an.»Mensch, Robert! Ein Kind oder ein Hund! Frag mich mal was Schwereres!«
»Ein Hund!«sagte ich überrascht,»verflucht ja, ein Hund! Da hast du recht! Mit einem Hund ist man nie allein.«
Ich bot ihm eine Zigarette an.»Hör mal, hast du zufällig eine Ahnung von so was? So ein Köter muß doch jetzt billig zu kaufen sein.«
Gustav schüttelte vorwurfsvoll den Schädel.»Aber Robert, du weißt wahrhaftig noch gar nicht, was du an mir hast! Mein künftiger Schwiegervater ist doch zweiter Schriftführer vom Dobermannpinscherverein! Natürlich kannst du einen Jungrüden haben, umsonst sogar, erstklassige Blutführung. Wir haben da einen Wurf, vierzwei, Großmutter Siegerin Hertha von der Toggenburg.«