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»Du solltest gleich hierbleiben«, sagte ich.

Sie richtete sich auf.»Heute nicht, Liebling…«

»Ich hätte viel lieber, wenn du hier bliebest…«

»Morgen…«

Sie stand auf und ging leise durch das dunkle Zimmer. Ich dachte an den Tag, als sie zum erstenmal bei mir geblieben und in der grauen Dämmerung der Frühe ebenso still durch das Zimmer gegangen war, um sich anzuziehen. Ich wußte nicht, was es war, aber es hatte etwas rührend Selbstverständliches und fast Erschütterndes an sich, es war wie eine Gebärde aus sehr fernen, verschütteten Zeiten, wie der schweigende Gehorsam unter ein Gebot, das niemand mehr kennt. Sie kam zurück aus der Dunkelheit zu mir und nahm mein Gesicht in ihre Hände.»Es war schön bei dir, Liebling. Sehr schön. Es ist gut, daß du da bist.«

Ich erwiderte nichts. Ich konnte nichts erwidern.

Ich brachte sie nach Hause und ging dann zurück in die Bar. Köster war da.»Setz dich«, sagte er.»Wie geht's?«

»Nicht besonders, Otto.«

»Willst du was trinken?«

»Wenn ich tränke, müßte ich viel trinken. Das will ich nicht. Es muß auch so gehen. Aber ich könnte etwas anderes machen. Ist Gottfried mit dem Taxi unterwegs?«

»Nein.«

»Gut. Dann werde ich noch ein paar Stunden damit losfahren.«

»Ich gehe mit 'runter«, sagte Köster.

Ich holte den Wagen heraus und verabschiedete mich von Otto. Dann fuhr ich an den Stand. Vor mir parkten zwei Wagen. Nachher kamen noch Gustav und Tommy, der Schauspieler, dazu. Dann gingen die beiden vorderen Wagen ab, und kurz darauf bekam ich auch eine Fuhre. Ein junges Mädchen, das ins Vineta wollte.

Das Vineta war ein populäres Tanzbums, mit Tischtelefon, Rohrpost und ähnlichen Sachen für Provinzler. Es lag etwas abseits von den andern Lokalen in einer dunklen Straße.

Wir hielten. Das Mädchen kramte in seinem Täschchen und hielt mir einen Fünfzigmarkschein hin. Ich zuckte die Achseln.»Kann ich leider nicht wechseln.«Der Portier war herangekommen.»Wieviel macht es?«

fragte das Mädchen.

»Eins siebzig.«

Sie wandte sich an den Portier.»Wollen Sie es für mich auslegen? Kommen Sie, ich gebe es Ihnen an der Kasse zurück.«

Der Portier riß die Tür auf und ging mit ihr zur Kasse. Dann kam er zurück.»Da…«

Ich zählte nach.»Eins fünfzig sind das…«

»Quatsch keinen Käse oder bist du noch grün? Zwei Groschen Portierstaxe fürs Wiederkommen. Hau ab!«

Es gab Plätze, wo man dem Portier ein Trinkgeld gab. Aber man gab es ihm, wenn er einem eine Fuhre besorgte, nicht, wenn man eine brachte.»Dafür bin ich nicht grün genug«, sagte ich,»ich kriege eins siebzig.«

»Du kannst was in die Schnauze kriegen«, knurrte er.»Mensch, zieh bloß Leine, ich stehe hier schon länger als du.«

Es lag mir nichts an den zwei Groschen. Ich hatte nur keine Lust, mich anschmieren zu lassen.»Quatsch keine Opern und gib den Rest 'raus«, sagte ich.

Der Portier schlug so schnell zu, daß ich mich nicht decken konnte. Ausweichen konnte ich ohnehin auf meinem Bock nicht. Ich prallte mit dem Kopf gegen das Steuerrad. Benommen richtete ich mich auf. Mein Kopf dröhnte wie eine Trommel, und meine Nase tropfte. Der Portier stand vor mir.

»Willst du noch eine, du Wasserleiche?«

Ich schätzte in der Sekunde meine Chancen ab. Es war nichts zu machen. Der Kerl war stärker als ich. Um ihn zu erwischen, hätte ich ihn überraschen müssen. Vom Bock aus schlagen konnte ich nicht, das hatte keine Kraft. Und bis ich aus dem Wagen kam, hatte er mich dreimal am Boden. Ich sah ihn an. Er blies mir seinen Bieratem ins Gesicht.»Noch ein Ding, und deine Frau ist Witwe.«

Ich sah ihn an. Ich bewegte mich nicht. Ich starrte in dieses breite, gesunde Gesicht. Ich fraß es mit den Augen. Ich sah, wohin ich schlagen mußte, ich war eiskalt zusammengezogen vor Wut. Aber ich rührte mich nicht. Ich sah das Gesicht überdicht, überdeutlich, wie durch ein Vergrößerungsglas, riesig, jede Bartstoppel, die rote, rauhe porige Haut…

Ein Schupohelm blitzte.»Was ist hier los?«

Der Portier verzog servil das Gesicht.»Nichts, Herr Wachtmeister.«

Er sah mich an.»Nichts«, sagte ich.

Er blickte von dem Portier zu mir herüber.»Sie bluten ja.«

»Habe mich gestoßen.«

Der Portier trat einen Schritt zurück. In seinen Augen lag ein Grinsen. Er meinte, ich hätte Angst, ihn anzuzeigen.

»Los, weiterfahren«, sagte der Schupo.

Ich gab Gas und fuhr zum Stand zurück.

»Mensch, siehst du aus!«sagte Gustav.

»Das ist nur die Nase«, erwiderte ich und erzählte die Geschichte.

»Komm mal mit in die Kneipe«, sagte Gustav.»Ich war nicht umsonst mal Sanitätsgefreiter. Schweinerei, auf einen sitzenden Mann loszuschlagen.«

Er nahm mich mit in die Küche der Kneipe, ließ sich Eis geben und bearbeitete mich eine halbe Stunde lang.»Nicht mal 'ne Beule sollst du kriegen«, erklärte er.

Endlich hörte er auf.»Na, wie steht's mit dem Schädel? Gut, was? Dann wollen wir keine Zeit verlieren.«

Tommy kam herein.»War das der große Portier vom Vineta?

Der ist berüchtigt für sein Schlagen. Hat leider noch nie selber Dunst gekriegt.«

»Jetzt kriegt er welchen«, sagte Gustav.

»Ja, aber von mir«, erwiderte ich.

Gustav sah mich mißmutig an.»Bis du aus dem Wagen 'raus bist…«

»Habe mir schon einen Dreh ausgedacht. Wenn ich's nicht schaffe, kannst du ja immer noch losgehen.«

»Schön.«

Ich setzte Gustavs Mütze auf, und wir nahmen auch seinen Wagen, damit der Portier nicht gleich Lunte roch. Sehen konnte er ohnehin nicht viel, dazu war die Straße zu dunkel.

Wir kamen an. Kein Mensch war auf der Straße zu sehen. Gustav sprang heraus, einen Zwanzigmarkschein in der Hand.

»Verflucht, kein Kleingeld! Portier, können Sie wechseln? Eins siebzig macht es? Legen Sie es doch eben aus.«

Er tat, als ginge er zur Kasse. Der Portier näherte sich mir hustend und schob mir eine Mark fünfzig hin. Ich hielt die Hand weiter hin.

»Schieb ab…«, knurrte er.

»Rest 'raus, dreckiger Hund!«brüllte ich.

Er stand eine Sekunde wie versteinert.»Mensch«, sagte er dann leise und leckte sich die Lippen,»das wird dir noch monatelang leid tun!«Er holte aus. Der Schlag hätte mich bewußtlos gemacht. Aber ich war vorbereitet, drehte und duckte mich, und die Faust sauste mit voller Gewalt auf die scharfe Stahlklaue meiner Andrehkurbel, die ich in der linken Hand versteckt bereitgehalten hatte. Aufheulend sprang der Portier zurück und schüttelte die Hand. Er zischte vor Schmerz wie eine Dampfmaschine und stand ganz frei, ohne Deckung.

Ich schoß aus dem Wagen.»Kennst du mich wieder?«fauchte ich und schlug ihm gegen den Magen.

Er kippte um.»Eins«, begann Gustav von der Kasse her zu zählen,»zwei – drei…«

Bei fünf kam der Portier glasig wieder hoch. Ich sah wie vorher sein Gesicht vor mir, ganz genau, dieses gesunde, breite, dumme, gemeine Gesicht, diesen ganzen gesunden, kräftigen Kerl, dieses Schwein, das nie kranke Lungen haben würde, und ich spürte plötzlich roten Qualm im Gehirn und in den Augen, ich sprang los und schlug und schlug, ich schlug alles, was sich in mir aufgespeichert hatte in diesen Tagen und Wochen hinein in dieses gesunde, breite, blökende Gesicht, bis ich zurückgerissen wurde…

»Mensch, du schlägst ihn ja tot…«, rief Gustav.

Ich sah mich um. Der Portier lehnte blutüberströmt an der Mauer. Jetzt knickte er zusammen, fiel um und begann langsam wie ein riesiges, glitzerndes Insekt in seiner Uniform auf allen vieren dem Eingang zuzukriechen.

»Der schlägt so leicht nicht wieder«, sagte Gustav.»Aber los, jetzt türmen, bevor jemand kommt! Das war schon schwere Körperverletzung.«

Wir warfen das Geld aufs Pflaster, stiegen ein und fuhren ab.

»Blute ich eigentlich auch?«fragte ich,»oder ist das der Portier?«

»Deine Nase wieder«, erklärte Gustav.»Er hat einen sehr schönen Linken darauf gelandet.«

»Habe ich gar nicht gemerkt.«

Gustav lachte.

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