»Dafür haben wir diesen Bruder wie barmherzige Schwestern behandelt und uns um die Klamotte noch geprügelt«, knurrte Lenz.»Damit wir jetzt mit viertausend Mark in der Luft hängen.«
»Wer kann so was ahnen!«sagte ich.
Lenz fing an zu lachen.»Es ist zu blödsinnig!«
»Was machen wir nun, Otto?«fragte ich.
»Ich habe unsere Forderung beim Konkursverwalter angemeldet. Aber ich fürchte, es wird nicht viel dabei herauskommen.«
»Wir machen die Bude zu, das wird dabei herauskommen«, sagte Gottfried.»Das Finanzamt ist auch schon rebellisch wegen der Steuern.«
»Möglich«, gab Köster zu.
Lenz erhob sich.»Gleichmut und gute Haltung in schwierigen Situationen zieren den Soldaten.«Er ging zum Schrank und holte den Kognak.
»Bei dem Kognak können wir sogar heroische Haltung haben«, sagte ich.»Wenn ich nicht irre, ist das unsere letzte gute Flasche.«
»Heroische Haltung, Knabe«, erwiderte Lenz verweisend,»ist was für schwere Zeiten. Wir aber leben in verzweifelten Zeiten. Da ist die einzige anständige Haltung der Humor.«Er trank sein Glas aus.»So, und jetzt werde ich mal unsere alte Rosinante besteigen und etwas Kleingeld zusammenfahren.«
Er ging über den dunklen Hof und fuhr mit dem Taxi los. Köster und ich blieben noch eine Weile sitzen.»Pech, Otto«, sagte ich.»Wir haben verdammt viel Pech in der letzten Zeit.«
»Ich habe mir angewöhnt, nicht mehr nachzudenken, als unbedingt nötig ist«, erwiderte Köster.»Das ist immer noch genug. Wie war's oben?«
»Wenn diese Krankheit nicht wäre, ein Paradies. Schnee und Sonne.«
Er hob den Kopf.»Schnee und Sonne. Klingt ein bißchen unwahrscheinlich, was?«»Ja. Verflucht unwahrscheinlich. Da oben ist alles unwahrscheinlich.«
Er sah mich an.»Was hast du heute abend vor?«
Ich zuckte die Achseln.»Werde erst mal meinen Koffer nach Hause bringen.«
»Ich muß noch auf eine Stunde weg. Kommst du nachher in die Bar?«
»Auf jeden Fall«, sagte ich.»Was soll ich sonst machen?«
Ich holte meinen Koffer vom Bahnhof und brachte ihn nach Hause. Ich öffnete die Tür, so leise ich konnte, denn ich hatte keine Lust, mit irgend jemand zu reden. Es gelang mir durchzukommen, ohne Frau Zalewski in die Hände zu fallen. Eine Weile blieb ich in meinem Zimmer sitzen. Auf dem Tisch lagen Briefe und Zeitungen. Die Briefe waren lauter Drucksachen. Ich hatte niemand, der mir schrieb. Jetzt würde ich jemand haben, dachte ich.
Nach einiger Zeit stand ich auf, wusch mich und zog mich um. Meinen Koffer packte ich nicht aus; ich wollte nachher, wenn ich allein nach Hause kam, noch etwas zu tun haben. Ich ging auch nicht in Pats Zimmer, obschon ich wußte, daß niemand da wohnte. Leise schlich ich mich über den Korridor und atmete auf, als ich draußen war.
Ich ging ins Café International, um da etwas zu essen. Der Kellner Alois begrüßte mich an der Tür.»Auch mal wieder da?«
»Ja«, sagte ich.»Schließlich kommt man ja immer mal wieder zurück.«
Rosa saß mit den andern Mädchen um einen großen Tisch herum. Sie waren fast alle da; es war die Zeit zwischen dem ersten und zweiten Patrouillengang.»Mein Gott, Robert!«sagte Rosa.»Ein seltener Gast.«
»Frag mich nicht soviel«, sagte ich.»Hauptsache, daß ich wieder da bin.«
»Wieso? Kommst du denn jetzt öfter?«
»Wahrscheinlich.«
»Mach dir nichts draus«, sagte sie und sah mich an.»Es geht alles vorüber.«
»Stimmt«, sagte ich.»Das ist die sicherste Wahrheit, die es auf der Welt gibt.«
»Klar«, erwiderte Rosa.»Lilly kann auch ein Lied davon singen.«
»Lilly?«Ich sah sie jetzt erst neben Rosa sitzen.»Was machst du denn hier? Du bist doch verheiratet und solltest zu Hause sitzen in deinem Installationsgeschäft.«
Lilly antwortete nicht.»Installationsgeschäft«, sagte Rosa höhnisch.
»Als sie ihr Geld noch hatte, war alles in Butter, Lilly hier und Lilly da, es machte alles nichts, was früher gewesen war. Genau ein halbes Jahr hat die Herrlichkeit gedauert! Als der letzte Pfennig aus ihr 'rausgeholt war, konnte der feine Herr, der er mit ihrem Gelde geworden war, auf einmal keine Hure als Frau mehr brauchen.«Sie schnaufte.»Hat natürlich plötzlich von nichts was gewußt! War maßlos überrascht über ihre Vergangenheit! So maßlos, daß es einen Scheidungsgrund abgab. Aber das Geld ist natürlich weg.«
»Wieviel war's denn?«fragte ich.
»Viertausend Mark, keine Kleinigkeit! Was meinst du, mit wieviel Schweinehunden sie dafür hat schlafen müssen!«
»Viertausend Mark«, sagte ich.»Schon wieder. Scheint heute in der Luft zu liegen.«
Rosa sah mich verständnislos an.»Spiel lieber etwas«, sagte sie,»damit wir eine andere Stimmung kriegen.«
»Schön – wo wir jetzt alle wieder hier sind.«
Ich setzte mich ans Klavier und spielte ein paar Schlager. Während ich spielte, dachte ich daran, daß Pats Geld nur ungefähr bis Ende Januar für das Sanatorium reichen würde und daß ich mehr verdienen müßte als bisher. Ich schlug mechanisch auf die Tasten los und sah neben mir im Sofa Rosa hingerissen lauschen und daneben das blasse, von einer ungeheuren Enttäuschung völlig versteinerte Gesicht Lillys, kälter und lebloser, als wenn es tot gewesen wäre.
Ein Schrei weckte mich aus meinem Dahinbrüten. Rosa war aus ihren Träumen aufgefahren. Sie stand hinter dem Tisch, der Hut war schief gerutscht, die Augen waren weit aufgerissen, und langsam, ohne daß sie es merkte, lief der Kaffee aus ihrer umgeworfenen Tasse den Tisch herunter in ihre aufgeklappte Handtasche.»Arthur!«stammelte sie,»Arthur, bist du's wirklich?«
Ich hörte auf zu spielen. Ein Mann war eingetreten, hager, mit schlenkrigen Bewegungen, eine Melone weit hinten auf dem Kopf. Er hatte eine gelbe, ungesunde Gesichtsfarbe, eine große Nase und einen zu kleinen, eiförmigen Kopf.
»Arthur«, stammelte Rosa immer noch.»Du?«
»Na, wer sonst?«knurrte Arthur.
»Mein Gott, wo kommst du her?«
»Wo soll ich denn herkommen? Von der Straße durch die Tür.«
Arthur war dafür, daß er nach so langer Zeit heimkehrte, nicht besonders liebenswürdig. Ich betrachtete ihn neugierig. Das also war das sagenhafte Idol Rosas, der Vater ihres Kindes. Er sah aus, als käme er frisch aus dem Gefängnis. Ich konnte gar nichts an ihm entdecken, was einen Anhaltspunkt für Rosas Affenliebe gegeben hätte. Aber vielleicht war es das gerade. Es war sonderbar, auf was diese diamantharten Männerkennerinnen hereinfielen.
Arthur griff, ohne jemand zu fragen, nach einem vollen Glas Bier, das in der Nähe Rosas auf dem Tisch stand, und trank es aus. Der Adamsapfel seines dünnen, sehnigen Halses stieg dabei wie ein Fahrstuhl hinauf und herunter. Rosa schaute ihm strahlend zu.
»Willst du noch eins?«fragte sie.
»Natürlich«, brummte Arthur.»Aber größer.«
»Alois!«Rosa winkte glücklich dem Kellner.»Er will noch ein Bier!«
»Seh' ich«, erklärte Alois ungerührt und zapfte ab.
»Und das Kleine! Arthur, du hast Klein-Elvira ja noch gar nicht gesehen!«
»Du!«Arthur wurde zum erstenmal lebhafter. Er hob die Hand abwehrend in Brusthöhe.»Damit meckere mich nicht an! Das geht mich nischt an! Ich wollte dir den Balg wegmachen lassen. Wär' auch weggekommen, wenn ich nicht…«Er versank in trübes Nachsinnen.»Jetzt kostet der natürlich und kostet.«
»Ist nicht so schlimm, Arthur. Und dann ist's ein Mädchen.«
»Kostet auch«, sagte Arthur und goß das zweite Bier hinter den Kragen.»Vielleicht findet man mal so ein verrücktes, reiches Weib, das es als Kind annimmt. Gegen 'ne anständige Abfindung natürlich. Wäre das einzige.«
Er erwachte aus seinen Überlegungen.»Hast du cash bei dir?«
Rosa holte dienstfertig ihre kaffeebeschmierte Handtasche hervor.
»Fünf Mark nur, Arthur, ich konnte ja nicht ahnen, daß du kommst, aber zu Hause hab' ich mehr.«
Arthur ließ das Silber wie ein Pascha in die Westentasche gleiten.
»Kannst auch nichts verdienen, wenn du hier mit dem Hintern im Sofa sitzt«, murrte er mißmutig.