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Ich nahm den Hörer ab und meldete die Nummer der Klinik an. Nach einer Weile kam Jaffé an den Apparat.»Hier ist Lohkamp«, sagte ich und räusperte mich.»Wir sind heute zurückgekommen. Seit einer Stunde sind wir wieder hier.«

»Sind Sie mit dem Wagen gefahren?«fragte Jaffé.»Nein, mit der Bahn.«

»So, und wie geht es?«

»Gut«, erwiderte ich.

Er überlegte einen Augenblick.»Ich werde Fräulein Hollmann morgen untersuchen. Morgen vormittag um elf. Wollen Sie ihr das bestellen?«

»Nein«, sagte ich.»Ich möchte nicht, daß sie weiß, daß ich Sie angerufen habe. Sie wird sicher morgen selbst telefonieren. Vielleicht sagen Sie es ihr dann.«

»Gut. Machen wir es so. Ich werde es ihr sagen.«

Ich schob mechanisch das dicke, fettige Telefonbuch beiseite. Es lag auf einem kleinen, hölzernen Pult. Darüber waren mit Bleistift Telefonnummern an die Wand gekritzelt.»Darf ich dann morgen nachmittag bei Ihnen vorbeikommen?«fragte ich.

Jaffé antwortete nicht.»Ich möchte gern wissen, wie es mit ihr steht«, sagte ich.

»Das kann ich Ihnen morgen noch nicht sagen«, erwiderte Jaffé.»Ich muß sie mindestens eine Woche lang beobachten. Aber ich werde Ihnen dann Bescheid geben.«

»Danke.«Ich starrte immer noch auf das Pult vor mir. Jemand hatte da etwas gezeichnet. Ein dickes Mädchen mit einem großen Strohhut. Ella, du Ziege! stand darunter.»Muß sie inzwischen noch etwas Besonderes tun?«fragte ich.

»Das werde ich morgen sehen. Aber ich glaube, sie ist mit der Pflege ganz gut aufgehoben in ihrer Wohnung.«

»Ich weiß nicht. Ich habe gehört, daß die Leute nächste Woche verreisen. Dann ist sie allein, nur mit dem Dienstmädchen.«

»So? Gut, dann werde ich morgen mit ihr auch darüber sprechen.«

Ich schob das Telefonbuch wieder über die Zeichnung.

»Glauben Sie, daß sie – daß sich so ein Anfall wiederholen kann?«

Jaffé zögerte eine Sekunde.»Möglich ist es natürlich«, sagte er dann,»aber es ist nicht wahrscheinlich. Ich werde Ihnen das erst sagen können, wenn ich sie genau untersucht habe. Ich rufe Sie dann an.«

»Ja, danke.«

Ich hängte den Hörer an. Draußen stand ich noch eine Weile auf der Straße herum. Es war staubig und schwül. Dann ging ich nach Hause.

An der Tür stieß ich auf Frau Zalewski. Sie kam wie eine Kanonenkugel aus dem Zimmer von Frau Bender geschossen. Als sie mich sah, stoppte sie.»Was, schon zurück?«

»Wie Sie sehen. Ist inzwischen was gewesen?«

»Für Sie nichts. Post auch nicht. Aber Frau Bender ist ausgezogen.«

»So? Warum denn?«

Frau Zalewski stemmte die Arme in die Seiten.»Weil es überall Lumpen gibt. Ins Christliche Hospiz ist sie gezogen. Mit ihrer Katze und ganzen sechsundzwanzig Mark Vermögen.«

Sie erzählte, daß das Kinderheim, in dem Frau Bender Säuglingsschwester gewesen war, inzwischen verkracht sei. Der Leiter, ein Pastor, hatte unglücklich an der Börse spekuliert. Frau Bender war entlassen worden und hatte dabei noch ihr rückständiges Gehalt für zwei Monate eingebüßt.

»Hat sie schon was Neues gefunden?«fragte ich gedankenlos.

Frau Zalewski sah mich nur an.

»Na ja, natürlich nicht«, sagte ich.

»Ich habe ihr gesagt, sie könne ruhig wohnen bleiben. Mit dem Bezahlen eile es nicht. Aber sie wollte nicht.«»Arme Leute sind meistens ehrlich«, sagte ich.»Wer zieht denn da jetzt ein?«»Hasses. Es ist billiger als das Zimmer, das Hasses bis jetzt hatten.«»Und das von Hasses?«Sie zuckte die Achseln.»Mal sehen. Viel Hoffnung habe ich nicht, daß jemand kommt.«»Wann wird es denn frei?«»Morgen. Hasses sind schon am Umziehen.«»Was soll das Zimmer eigentlich kosten?«fragte ich. Mir war plötzlich eine Idee gekommen.»Siebzig Mark.«»Viel zu teuer«, sagte ich, jetzt ganz wach.»Mit Morgenkaffee, zwei Brötchen und reichlich Butter?«»Erst recht. Den Morgenkaffee Fridas müssen Sie abziehen. Fünfzig, nicht einen Pfennig mehr.«»Wollen Sie es etwa mieten?«fragte Frau Zalewski.»Vielleicht.«Ich ging in meine Bude und betrachtete nachdenklich die Verbindungstür zu dem Hasseschen Zimmer. Pat in der Zalewskischen Pension! Nein, das war nicht gut auszudenken! Aber trotzdem ging ich nach einer Weile hinüber und klopfte an.

Frau Hasse war da. Sie saß mitten in dem halbausgeräumten Zimmer vor dem Spiegel, einen Hut auf dem Kopf, und puderte sich.

Ich begrüßte sie und schaute mir dabei den Raum an. Er war größer, als ich gedacht hatte. Jetzt, wo die Möbel zum Teil heraus waren, sah man es erst. Die Tapeten waren einfarbig, hell und ziemlich neu, die Türen und Fenster frisch gestrichen, und der Balkon war sehr groß und schön.»Was er mir jetzt zumutet, haben Sie ja wohl schon gehört«, sagte Frau Hasse.»In das Zimmer von der Person da drüben soll ich ziehen! Diese Schande!«

»Schande?«fragte ich.

»Ja, Schande!«brach sie erregt los.»Sie wissen doch, daß wir uns nicht leiden konnten, und jetzt zwingt mich Hasse, in ihr Zimmer zu ziehen, ohne Balkon und nur mit einem Fenster. Bloß weil es billiger ist. Was meinen Sie, wie die in ihrem Christlichen Hospiz triumphiert!«

»Ich glaube nicht, daß sie triumphiert.«

»Doch, die triumphiert, diese falsche Säuglingsschwester, dieses stille Wasser, die es faustdick hinter den Ohren hat! Und nebenan dazu noch diese Kokotte, diese Erna Bönig! Und der Katzengestank!«

Ich schaute verblüfft auf. Ein stilles Wasser mit Ohren? Es war merkwürdig: Wirklich neu und bildkräftig im Ausdruck wurde der Mensch nur, wenn er schimpfte. Wie ewig gleichmäßig waren die Ausdrücke der Liebe – und wie wechselvoll dagegen war die Skala der Flüche!

»Katzen sind doch sehr saubere und schöne Tiere«, sagte ich.»Ich war übrigens eben in dem Zimmer. Es riecht nicht nach Katzen.«

»So?«erwiderte Frau Hasse feindselig und schob ihren Hut zurecht,»das kommt dann ja wohl auf die Nase an.

Aber ich denke nicht daran, noch was dazu zu tun! Soll er sich selbst die Möbel 'rüberschleppen! Ich gehe aus! Wenigstens das will ich von diesem Hundeleben haben!«

Sie stand auf. Ihr schwammiges Gesicht bebte derart vor Wut, daß der Puder herunterstäubte. Ich sah, daß sie ihre Lippen sehr rot bemalt hatte und überhaupt mächtig aufgedonnert war. Sie roch wie eine ganze Parfümerie, als sie hinausrauschte.

Ich blickte ihr verdutzt nach. Dann schaute ich mir noch einmal genau das Zimmer an. Ich überlegte, wo man Pats Möbel hinstellen könnte. Aber ich hörte bald damit auf. Pat hier, immer hier, bei mir – ich konnte mir das nicht vorstellen! Ich wäre auch nie auf den Gedanken gekommen, wenn sie gesund gewesen wäre. So aber – ich öffnete die Tür und maß den Balkon aus. Doch dann schüttelte ich den Kopf und ging in meine Bude zurück.

Sie schlief noch, als ich bei ihr eintrat. Ich setzte mich leise in einen Sessel neben das Bett, aber sie erwachte sofort.

»Schade, ich habe dich aufgeweckt«, sagte ich.

»Bist du die ganze Zeit hier gewesen?«fragte sie.

»Nein. Eben erst wiedergekommen.«

Sie dehnte sich und legte ihr Gesicht gegen meine Hand.»Das ist gut. Ich habe nicht gern, wenn man mir beim Schlafen zusieht.«

»Das kann ich verstehen. Ich habe es auch nicht gern. Ich wollte dir auch nicht zusehen. Ich wollte dich nur nicht wecken. Willst du noch ein bißchen schlafen?«

»Nein, ich bin ganz ausgeschlafen. Ich stehe gleich auf.«

Ich ging in das Zimmer nebenan, während sie sich anzog.

Es wurde draußen langsam dunkel. Aus einem offenen Fenster gegenüber quakte ein Grammophon den Hohenfriedberger Marsch. Ein Mann mit einer Glatze und mit Hosenträgern bediente den Apparat. Er ging im Zimmer hin und her und machte zu der Musik Freiübungen. Seine Glatze leuchtete aus dem Halbdunkel wie ein aufgeregter Mond. Ich sah gleichgültig zu. Ich fühlte mich stumpf und traurig.

Pat kam herein. Sie sah wunderschön aus, ganz frisch und gar nicht mehr abgespannt.»Du siehst glänzend aus«, sagte ich überrascht.

»Ich fühle mich auch gut, Robby. Als wenn ich eine ganze Nacht geschlafen hätte. So etwas wechselt rasch bei mir.«

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