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»Und wie er sie schmeißen wird!«Gottfried schmunzelte.

»Ich habe so was von einem Verfolgungswahnsinnigen noch nicht gesehen! Am ersten Tag seines Fahrunterrichtes hat er schon versucht, mit unserem alten, guten Taxi einen Mercedes-Kompressor zu überholen. Ein verdammter kleiner Satan!«

Jupp schwitzte vor Glück und sah Lenz anbetend an.»Dachte, ich könnte den protzigen Vogel vernaschen, Herr Lenz! Wollte ihn in der Kurve schnappen, wie Herr Köster.«

Ich mußte lachen.»Du fängst ja gut an, Jupp.«

Gottfried blickte mit väterlichem Stolz auf seinen Fahrschüler herab.

»Zunächst schnapp dir jetzt mal die Koffer und bring sie zum Bahnhof.«

»Allein?«Jupp explodierte fast vor Spannung.»Darf ich das Stück bis zum Bahnhof ganz allein fahren, Herr Lenz?«

Gottfried nickte, und Jupp raste ins Haus.

Wir gaben die Koffer auf. Dann holten wir Pat ab und fuhren zum Bahnhof. Es war noch eine Viertelstunde zu früh, als wir ankamen. Der Bahnsteig war leer. Nur ein paar Milchkannen standen herum.

»Fahrt nur los«, sagte ich.»Ihr kommt sonst zu spät nach Hause.«

Jupp am Steuer sah mich beleidigt an.

»Solche Bemerkungen gefallen dir nicht, was?«fragte Lenz ihn.

Jupp richtete sich auf.»Herr Lohkamp«, sagte er vorwurfsvoll,»ich habe mir die Sache genau durchgerechnet. Wir sind bequem um acht Uhr in der Werkstatt.«

»Sehr richtig!«Lenz klopfte ihm auf die Schulter.»Biete ihm doch eine Wette an, Jupp. Um eine Flasche Selterswasser.«»Selterswasser nicht«, erwiderte Jupp,»aber eine Schachtel Zigaretten riskiere ich sofort.«Er schaute mich herausfordernd an.»Weißt du auch, daß die Straßen ziemlich schlecht sind?«fragte ich.»Alles einkalkuliert, Herr Lohkamp!«»Und an die Kurven hast du auch gedacht?«»Kurven machen mir nichts aus. Ich habe keine Nerven.«»Gut, Jupp«, sagte ich ernsthaft.»Dann halte ich die Wette. Aber Herr Lenz darf unterwegs nicht fahren.«Jupp legte die Hand auf die Brust.»Mein Ehrenwort!«»Gut, gut. Aber sag mal, was hältst du denn da so krampfhaft in der Hand?«»Meine Stoppuhr. Ich will unterwegs die Zeit nehmen. Möchte doch mal sehen, was der Schlitten leistet.«Lenz schmunzelte.»Ja, Kinder, Jupp ist prima ausgerüstet. Ich glaube, der brave, alte Citroen zittert schon in allen Knochen vor ihm.«Jupp überhörte die Ironie. Er zerrte aufgeregt an seiner Mütze.»Dann wollen wir los, Herr Lenz, was? Wette ist Wette!«»Natürlich, du kleiner Kompressor! Auf Wiedersehen, Pat! Bis nachher, Robby!«Gottfried kletterte in den Sitz.»So, Jupp, nun zeige der Dame mal, wie ein Kavalier und künftiger Weltmeister startet!«

Jupp schob die Rennbrille vor die Augen, winkte wie ein Alter und zog schneidig im ersten Gang über das Kopfsteinpflaster der Chaussee zu.

Pat und ich saßen noch eine Weile vor dem Bahnhof auf einer Bank. Die heiße, weiße Sonne lag breit auf der hölzernen Wand, die den Bahnsteig absperrte. Es roch nach Harz und Salz. Pat lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. Sie saß ganz still, das Gesicht der Sonne zugewendet.

»Bist du müde?«fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf.»Nein, Robby.«

»Da kommt der Zug«, sagte ich.

Die Lokomotive stampfte heran, schwarz, klein und verloren vor der zitternden, großen Weite. Wir stiegen ein. Der Zug war wenig besetzt. Er fuhr schnaufend an. Der Rauch der Lokomotive blieb dick und schwarz in der Luft stehen. Langsam drehte sich die Landschaft vorbei, das Dorf mit den braunen Strohdächern, die Wiesen mit Kühen und Pferden, der Wald, und dann, friedlich und sehr verschlafen in der Mulde hinter den Dünen, das Haus von Fräulein Müller.

Pat stand neben mir am Fenster und schaute hinüber. Die Strecke führte in einer Kurve näher heran, und man konnte deutlich die Fenster unserer Zimmer sehen. Sie standen offen, und das weiße Bettzeug war halb herausgelegt in die Sonne.

»Da ist Fräulein Müller«, sagte Pat.

Sie stand vor der Haustür und winkte. Pat holte ihr Taschentuch hervor und ließ es zum Fenster hinausflattern.

»Das sieht sie nicht«, sagte ich,»es ist zu klein und zu dünn. Hier, nimm meines.«

Sie nahm es und winkte. Fräulein Müller winkte heftig zurück.

Der Zug gewann allmählich das freie Feld. Das Haus versank, und die Dünen blieben zurück. Hinter dem schwarzen Strich des Waldes blinkte eine Zeitlang noch ab und zu das Meer auf. Es blinkte wie ein lauerndes, müdes Auge. Dann kam das sanfte Goldgrün der Felder und dehnte sich im weichen Wind der Ähren bis zum Horizont.

Pat gab mir mein Taschentuch zurück und setzte sich in eine Ecke. Ich zog das Fenster hoch. Vorbei! dachte ich, Gott sei Dank, vorbei! Es war nichts als ein Traum! Ein verfluchter, böser Traum!

Kurz vor sechs Uhr kamen wir in der Stadt an. Ich nahm ein Taxi und verstaute die Koffer. Dann fuhren wir zu Pats Wohnung.

»Kommst du mit herauf?«fragte sie.

»Natürlich.«

Ich brachte sie hinauf, dann fuhr ich wieder herunter, um mit dem Chauffeur zusammen die Koffer zu holen. Als ich zurückkam, stand Pat noch im Vorraum. Sie sprach mit Oberstleutnant von Hake und seiner Frau.

Wir gingen in ihr Zimmer. Es war heller, früher Abend draußen. Auf dem Tisch stand eine Glasvase mit blaßroten Rosen. Pat ging ans Fenster und sah hinaus. Dann wandte sie sich um.»Wie lange waren wir eigentlich fort, Robby?«

»Genau achtzehn Tage.«

»Achtzehn Tage. Mir kommt es viel länger vor.«

»Mir auch. Das ist aber immer so, wenn man mal 'rauskommt.«

Sie schüttelte den Kopf.»Das meine ich nicht…«

Sie öffnete die Balkontür und trat hinaus. Draußen lehnte ein zusammengeklappter, weißer Liegestuhl an der Wand.

Sie schob ihn zu sich heran und sah ihn schweigend an.

Als sie wieder hereinkam, war ihr Gesicht verändert, und ihre Augen waren dunkel.

»Sieh nur die Rosen«, sagte ich.»Sie sind von Köster. Hier liegt seine Karte dabei.«

Sie nahm die Karte auf und legte sie dann wieder auf den Tisch. Sie sah die Rosen an, aber ich sah, daß sie sie kaum bemerkte. Sie war mit ihren Gedanken noch bei dem Liegestuhl. Sie hatte geglaubt, ihm schon entronnen zu sein, und nun wurde er vielleicht doch wieder ein Teil ihres Lebens.

Ich ließ sie ruhig gewähren und sagte nichts mehr. Es hatte keinen Zweck, sie abzulenken. Sie mußte damit fertig werden, und es war besser, es geschah jetzt, während ich dabei war. Man konnte es mit noch so viel Worten höchstens verschieben, aber einmal kam es dann doch, und vielleicht war es dann noch viel schwerer.

Sie stand eine Weile neben dem Tisch, das Gesicht gesenkt und die Hände aufgestützt. Dann hob sie den Kopf und blickte mich an. Ich sagte nichts. Sie ging langsam um den Tisch herum und legte mir die Hände auf die Schultern.

»Alter Bursche«, sagte ich.

Sie lehnte sich an mich. Ich hielt sie fest.»Jetzt werden wir die Sache mal angehen, was?«

Sie nickte. Dann strich sie sich das Haar zurück.»War nur so ein Augenblick, Robby.«

»Natürlich.«

Es klopfte. Das Dienstmädchen kam mit dem Teewagen.»Das ist gut«, sagte Pat.

»Willst du Tee?«fragte ich.

»Nein, Kaffee, guten, starken Kaffee.«

Ich blieb noch eine halbe Stunde. Dann wurde sie müde. Ich sah es an ihren Augen.»Du solltest etwas schlafen«, schlug ich ihr vor.

»Und du?«

»Ich gehe nach Hause und schlafe auch etwas. Dann hole ich dich in zwei Stunden zum Essen ab.«

»Du bist müde?«fragte sie zweifelnd.

»Ja, etwas. Es war heiß im Zuge. Ich muß nachher auch noch mal in die Werkstatt.«

Sie fragte nichts mehr. Sie war sehr müde und fiel nur so zusammen. Ich brachte sie zu Bett und deckte sie zu. Sie schlief sofort ein. Ich stellte die Rosen neben sie und legte auch die Karte Kösters hinzu, damit sie gleich etwas hatte, um daran zu denken, wenn sie aufwachte. Dann ging ich.

Unterwegs blieb ich vor einem Telefonautomaten stehen. Ich beschloß, Jaffé gleich jetzt anzurufen. Zu Hause war es schwierig. Da mußte ich damit rechnen, daß die ganze Pension zuhörte.

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