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Ich öffnete die Augen. Einen Moment mußte ich mich besinnen, wo ich war. Immer, wenn Erinnerungen aus dem Kriege kamen, war man gleich weit weg. Bei andern nicht.

Ich richtete mich auf. Pat kam aus dem Wasser. Sie ging gerade vor der Bahn der Sonne auf dem Meer, breiter Glanz floß über ihre Schultern, und sie war so umflutet von Licht, daß sie fast dunkel davor wirkte. Mit jedem Schritt den Strand hinauf wuchs sie höher in den starken Schein, bis die Sonne des späten Nachmittags hinter ihrem Kopfe stand wie eine Gloriole.

Ich sprang auf, so unwirklich, so wie aus einer anderen Welt erschien mir gerade jetzt dieses Bild – der weite blaue Himmel, die weißen Schaumreihen des Meeres und die schöne, schmale Gestalt davor -, als wäre ich allein auf der Welt und aus dem Wasser schritte die erste Frau herauf. Einen Augenblick lang empfand ich die ungeheure, stille Gewalt der Schönheit und spürte, daß sie stärker war als alle blutige Vergangenheit, daß sie stärker sein mußte, daß die Welt sonst zusammenbrechen würde, daß sie sonst ersticken müßte in ihrer furchtbaren Verwirrung. Und mehr als das noch empfand ich, daß ich da war, einfach da war, und daß Pat da war, daß ich lebte, daß ich herausgekommen war aus dem Grauen, daß ich Augen hatte und Hände und Gedanken und die heißen Wellen des Blutes und daß alles das ein unbegreifliches Wunder war.

»Robby!«rief Pat noch einmal und winkte.

Ich griff ihren Bademantel vom Boden auf und ging ihr rasch entgegen.»Du bist viel zu lange im Wasser gewesen«, sagte ich.

»Ich bin ganz warm«, erwiderte sie atemlos.

Ich küßte sie auf die feuchte Schulter.»Anfangs mußt du etwas vernünftiger sein.«

Sie schüttelte den Kopf und sah mich strahlend an.»Ich bin lange genug vernünftig gewesen.«

»So?«

»Natürlich. Viel zu lange! Ich will endlich einmal unvernünftig sein!«Sie lachte und legte ihre Wange an mein Gesicht.»Wir wollen unvernünftig sein, Robby! An nichts denken, an überhaupt nichts denken, nur an uns und die Sonne und die Ferien und das Meer!«

»Gut«, sagte ich und nahm das Frottiertuch.»Zunächst will ich dich mal trockenreiben. Woher bist du eigentlich schon so braun?«

Sie zog den Bademantel an.»Das stammt noch aus meinem vernünftigen Jahr. Da mußte ich jeden Tag auf dem Balkon eine Stunde in der Sonne liegen. Und abends um acht Uhr schlafen gehen. Heute abend gehe ich um acht Uhr noch einmal baden.«

»Das werden wir sehen«, sagte ich.»In Vorsätzen ist der Mensch immer groß. Im Ausführen nicht. Darin liegt sein Scharm.«

Mit dem Baden abends wurde es nichts. Wir machten noch einen Gang zum Dorf und eine Fahrt mit dem Citroen durch die Dämmerung – dann wurde Pat plötzlich sehr müde und verlangte nach Hause. Ich hatte das schon oft bei ihr gesehen – dieses rasche Abfallen von strahlender Lebendigkeit zu jäher Müdigkeit. Sie hatte nicht viel Kraft und gar keine Reserven – dabei wirkte sie gar nicht so. Sie verbrauchte immer alles, was sie an Lebenskraft in sich hatte, und schien dann unerschöpflich zu sein in ihrer geschmeidigen Jugend – aber auf einmal kam dann der Augenblick, wo ihr Gesicht blaß wurde und ihre Augen sich tief verschatteten -, dann war es zu Ende. Sie wurde nicht langsam müde, sie wurde es von einer Sekunde zur andern.

»Fahren wir nach Hause, Robby«, sagte sie, und ihre dunkle Stimme war noch tiefer als sonst.

»Nach Hause? Zu Fräulein Elfriede Müller mit dem goldenen Kreuz auf der Brust? Wer weiß, was sich der Teufel inzwischen wieder ausgedacht hat.«

»Nach Hause, Robby«, sagte Pat und lehnte sich müde an meine Schulter.»Es ist unser Zuhause.«

Ich nahm eine Hand vom Steuerrad und legte sie um ihre Schultern. So fuhren wir langsam durch die blaue, neblige Dämmerung, und als wir schließlich die erleuchteten Fenster des kleinen Hauses erblickten, das sich in die flache Talmulde einschmiegte wie ein dunkles Tier, war wirklich etwas wie Nachhausekommen dabei.

Fräulein Müller erwartete uns bereits. Sie hatte sich umgezogen und trug jetzt statt des schwarzen Wollkleides ein schwarzes Seidenkleid von gleichem, puritanischem Schnitt. Dazu statt des Kreuzes ein Emblem von Herz, Anker und Kreuz gleichzeitig – das kirchliche Symbol für Glaube, Hoffnung und Liebe.

Sie war bedeutend freundlicher als nachmittags und fragte, ob es recht sei, daß sie als Abendessen Eier, kaltes Fleisch und geräucherten Fisch vorbereitet habe.

»Na ja«, sagte ich.

»Gefällt es Ihnen nicht? Es sind ganz frisch geräucherte Flundern.«Sie schaute mich etwas ängstlich an.

»Gewiß«, sagte ich kühl.

»Frisch geräucherte Flundern müssen herrlich schmecken«, erklärte Pat und blickte vorwurfsvoll zu mir herüber.»Ein richtiges Nachtessen, wie man es sich nur wünschen kann am ersten Tag an der See, Fräulein Müller. Wenn es noch ordentlich heißen Tee dazu gäbe…«

»Doch, doch! Ganz heißen Tee! Gern! Ich lasse alles gleich bringen.«Fräulein Müller raschelte erleichtert eilig in ihrem Seidenkleid davon.

»Magst du wirklich keinen Fisch?«fragte Pat.

»Und wie! Flundern! Davon habe ich schon seit Tagen geträumt.«

»Und dann tust du so erhaben? Das ist aber stark!«

»Ich mußte ihr doch den Empfang von heute nachmittag heimzahlen.«»Ach du lieber Gott!«Pat lachte.»Daß du auch ja nichts ausläßt! Ich hatte das schon längst vergessen.«»Ich nicht«, sagte ich.»Ich vergesse nicht so leicht.«»Das solltest du aber.«Das Dienstmädchen kam mit dem Tablett. Die Flundern hatten eine Haut wie Goldtopas und rochen wunderbar nach See und Rauch. Es waren auch noch frische Garnelen dabei.»Ich fange an zu vergessen«, sagte ich schwärmerisch.»Außerdem merke ich, daß ich einen Riesenhunger habe.«

»Ich auch. Aber gib mir erst rasch etwas heißen Tee. Es ist merkwürdig, aber mich friert. Dabei ist es doch ganz warm draußen.«

Ich sah sie an. Sie war blaß, obschon sie lächelte.»Kein Wort jetzt über zu langes Baden«, sagte ich und fragte das Dienstmädchen:»Haben Sie etwas Rum?«

»Was?«

»Rum. Ein Getränk in Flaschen.«

»Rum?«

»Ja.«

»Nee.«

Sie glotzte ausdruckslos mit ihrem Vollmondsgesicht aus Kuchenteig.»Nee«, sagte sie noch einmal.»Gut«, erwiderte ich.»Macht auch nichts. Leben Sie wohl. Gott mit Ihnen.«Sie verschwand.»Welch ein Glück, Pat, daß wir weitsichtige Freunde haben«, sagte ich.»Lenz hat mir da heute morgen noch rasch beim Wegfahren ein ziemlich schweres Paket in den Wagen gestopft. Wollen mal nachsehen, was drin ist.«

Ich holte das Paket aus dem Wagen. Es war eine kleine Kiste mit zwei Flaschen Rum, einer Flasche Kognak und einer Flasche Portwein. Ich hob sie hoch.»St.-James-Rum sogar! Auf die Jungens kann man sich verlassen!«

Ich korkte die Flasche auf und goß Pat einen guten Schuß in den Tee. Dabei sah ich, daß ihre Hand etwas zitterte.»Friert dich wirklich so?«fragte ich.

»Nur einen Augenblick. Jetzt ist es schon besser. Der Rum ist gut. Aber ich geh' bald zu Bett.«

»Tu das gleich, Pat«, sagte ich,»wir schieben den Tisch dann heran und essen so.«

Sie ließ sich überreden. Ich holte ihr noch eine Decke von meinem Bett und rückte den Tisch zurecht.»Willst du vielleicht einen ordentlichen Grog haben, Pat? Das ist noch besser. Ich kann rasch einen machen.«

Sie schüttelte den Kopf.»Ich fühle mich schon wieder wohl.«

Ich blickte sie an. Sie sah wirklich schon besser aus. Ihre Augen hatten wieder Glanz, der Mund war sehr rot, und die Haut schimmerte matt.»Fabelhaft, wie schnell das geht«, sagte ich.»Das ist sicher der Rum.«

Sie lächelte.»Es ist auch das Bett, Robby. Ich erhole mich am besten im Bett. Das ist meine Zuflucht.«

»Merkwürdig. Ich würde verrückt, wenn ich so früh im Bett liegen müßte. Allein, meine ich.«

Sie lachte.»Für eine Frau ist das etwas anderes.«

»Sag nicht für eine Frau. Du bist keine Frau.«

»Was denn?«

»Ich weiß nicht. Aber keine Frau. Wenn du eine richtige, normale Frau wärest, könnte ich dich nicht lieben.«

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