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»Das bist du«, sagte Pat und lachte.»Ich will Leben und du willst Geld.«

»Um zu leben«, erwiderte ich.»Ein echter Idealist strebt nach Geld. Geld ist gemünzte Freiheit. Und Freiheit ist Leben.«

»Vierzehn«, zählte Pat.»Du hast schon mal anders darüber gesprochen.«

»Das war in meiner dunklen Zeit. Man sollte über Geld nicht verächtlich reden. Geld macht viele Frauen sogar verliebt. Die Liebe dagegen macht viele Männer geldgierig. Geld fördert also die Ideale – Liebe dagegen den Materialismus.«

»Du hast heute einen guten Tag«, erwiderte Pat.»Fünfunddreißig.«

»Der Mann«, erklärte ich weiter,»wird nur geldgierig durch die Wünsche der Frauen. Wenn es keine Frauen gäbe, würde es auch kein Geld geben, und die Männer wären ein heroisches Geschlecht. Im Schützengraben gab es keine Frauen – da spielte es auch keine große Rolle, was jemand irgendwo an Besitz hatte -, es kam nur darauf an, was er als Mann war. Das soll nicht für den Schützengraben sprechen – es soll nur die Liebe richtig beleuchten. Sie weckt die schlechten Instinkte des Mannes – den Drang nach Besitz, nach Geltung, nach Verdienen, nach Ruhe. Nicht umsonst sehen Diktatoren es gern, wenn ihre Mitarbeiter verheiratet sind – sie sind so weniger gefährlich. Und nicht umsonst haben die katholischen Priester keine Frauen – sie wären sonst nie so kühne Missionare geworden.«

»Du hast heute sogar einen fabelhaften Tag«, sagte Pat anerkennend.»Zweiundfünfzig.«

Ich steckte mein Geld wieder in die Tasche und zündete mir eine Zigarette an.»Willst du noch nicht bald mit dem Zählen aufhören?«fragte ich.»Du kommst schon weit über siebzig Jahre.«

»Hundert, Robby! Hundert ist eine gute Zahl. So weit möchte ich kommen.«

»Alle Achtung, das ist Mut! Aber was willst du nur damit anfangen?«

Sie streifte mich mit einem raschen Blick.»Das werde ich schon sehen. Ich habe ja andere Ansichten darüber als du.«

»Das sicher. Übrigens sollen nur die ersten siebzig die schwierigsten sein. Nachher soll's einfacher werden.«

»Hundert!«verkündete Pat, und wir brachen auf.

Das Meer kam uns entgegen wie ein ungeheures silbernes Segel. Schon lange vorher spürten wir seinen salzigen Hauch – der Horizont wurde immer weiter und heller, und plötzlich lag es vor uns, unruhig, mächtig und ohne Ende.

Die Straße führte in einem Bogen bis dicht heran. Dann kam ein Wald und hinter ihm ein Dorf. Wir erkundigten uns nach dem Hause, wo wir wohnen sollten. Es lag ein Stück außerhalb des Dorfes. Köster hatte uns die Adresse gegeben. Er war nach dem Kriege ein Jahr lang dort gewesen.

Es war eine kleine, alleinstehende Villa. Ich fuhr den Citroen in elegantem Bogen vor und gab Signal. Ein breites Gesicht erschien hinter einem der Fenster, glotzte bleich einen Augenblick und verschwand.»Hoffentlich ist das nicht Fräulein Müller«, sagte ich.

»Ganz egal, wie sie aussieht«, erwiderte Pat.

Die Tür öffnete sich. Gottlob, es war nicht Fräulein Müller. Es war das Dienstmädchen. Fräulein Müller, die Besitzerin des Hauses, erschien eine Minute später. Eine altjüngferliche, zierliche Dame mit grauen Haaren. Sie trug ein hochgeschlossenes schwarzes Kleid und ein goldenes Kreuz als Brosche.

»Zieh zur Vorsicht die Strümpfe wieder 'rauf, Pat«, flüsterte ich nach einem Blick auf die Brosche und stieg aus.

»Ich glaube, Herr Köster hat uns schon angemeldet«, sagte ich.

»Ja, er hat mir telegrafiert, daß Sie kommen.«Sie musterte mich eingehend.»Wie geht es Herrn Köster denn?«

»Ach, ganz gut – soweit man das heute sagen kann.«

Sie nickte und musterte mich weiter.»Kennen Sie ihn schon lange?«Das wird ja ein Examen, dachte ich und gab Auskunft, wie lange ich Otto schon kannte. Sie schien zufrieden zu sein. Pat kam heran. Sie hatte die Strümpfe heraufgezogen. Fräulein Müllers Blick wurde milder. Pat schien mehr Gnade vor ihr zu finden als ich.»Haben Sie noch Zimmer für uns?«fragte ich.

»Wenn Herr Köster telegrafiert, bekommen Sie immer ein Zimmer«, erklärte Fräulein Müller und sah mich etwas abfällig an.»Sie bekommen sogar mein schönstes«, sagte sie zu Pat.

Pat lächelte. Fräulein Müller lächelte auch.»Ich werde es Ihnen zeigen«, sagte sie.

Beide gingen nebeneinander einen schmalen Weg entlang, der durch einen kleinen Garten führte. Ich trottete hinterher und schien ziemlich überflüssig zu sein, denn Fräulein Müller wandte sich nur an Pat.

Das Zimmer, das sie uns zeigte, lag im unteren Stock. Es hatte einen eigenen Eingang vom Garten her. Das gefiel mir sehr. Es war ziemlich groß, hell und freundlich. An einer Seite, in einer Art von Nische, standen zwei Betten.

»Nun?«fragte Fräulein Müller.

»Sehr schön«, sagte Pat.»Prachtvoll sogar«, fügte ich hinzu, um mich einzuschmeicheln.»Und wo ist das andere?«

Fräulein Müller drehte sich langsam zu mir herum.»Das andere? Was für ein anderes? Wollen Sie denn ein anderes? Gefällt Ihnen dieses nicht?«

»Es ist einfach herrlich«, erwiderte ich,»aber…«

»Aber?«sagte Fräulein Müller etwas spitz -»leider habe ich kein besseres als dieses.«

Ich wollte ihr gerade erklären, daß wir zwei Einzelzimmer brauchten, da fügte sie schon hinzu:»Ihre Frau findet es doch sehr schön.«

Ihre Frau – ich hatte das Gefühl, als wäre ich einen Schritt zurückgetreten. Aber ich hatte mich nicht von der Stelle gerührt. Vorsichtig warf ich einen Blick auf Pat, die am Fenster lehnte und ein Lachen unterdrückte, als sie mich so dastehen sah.»Meine Frau, gewiß…«, sagte ich und starrte auf das goldene Kreuz an Fräulein Müllers Hals. Es war nichts zu machen, ich durfte sie nicht aufklären. Sie wäre mit einem Schrei in Ohnmacht gefallen.»Wir sind nur gewohnt, in zwei Zimmern zu schlafen«, sagte ich.»Jeder in einem, meine ich.«

Mißbilligend schüttelte Fräulein Müller den Kopf,»Zwei Schlafzimmer, wenn man verheiratet ist – das sind so neue Moden…«

»Gar nicht«, sagte ich, bevor sie mißtrauisch werden konnte.»Meine Frau hat nur einen sehr leisen Schlaf. Und ich schnarche leider ziemlich laut.«

»Ach so, Sie schnarchen!«erwiderte Fräulein Müller, als hätte sie sich das längst denken können.

Ich fürchtete, sie würde mir jetzt ein Zimmer oben im zweiten Stock geben wollen, aber die Ehe schien ihr heilig zu sein. Sie öffnete die Tür zu einem kleinen Zimmer nebenan, in dem nicht viel mehr als ein Bett stand.

»Großartig«, sagte ich,»das genügt vollkommen. Aber störe ich auch niemanden sonst?«Ich wollte wissen, ob wir hier unten für uns allein waren.

»Sie stören niemand«, erklärte Fräulein Müller, und die Würde fiel plötzlich von ihr ab.»Außer Ihnen wohnt niemand hier. Die anderen Zimmer sind alle leer.«Sie stand einen Augenblick, dann raffte sie sich zusammen.»Wollen Sie hier im Zimmer essen oder im Speisezimmer?«

»Hier«, sagte ich.

Sie nickte und ging.

»Na, Frau Lohkamp«, sagte ich zu Pat.»Da sitzen wir drin. Aber ich habe mich nicht getraut, der alte Teufel hatte so was Kirchliches an sich. Ich schien ihm auch nicht zu gefallen. Komisch, dabei habe ich sonst bei alten Damen immer Glück.«

»Das war keine alte Dame, Robby. Das war ein sehr nettes, altes Fräulein.«

»Nett?«Ich hob die Achseln.»Aber immerhin, Haltung hatte sie. Kein Mensch im Hause und dieses hoheitsvolle Benehmen!«

»So hoheitsvoll war sie gar nicht…«

»Gegen dich nicht.«

Pat lachte.»Mir hat sie gut gefallen. Aber jetzt wollen wir die Koffer holen und die Badesachen auspacken.«

Ich hatte eine Stunde geschwommen und lag am Strande in der Sonne. Pat war noch im Wasser. Ihre weiße Badekappe tauchte ab und zu zwischen dem blauen Schwall der Wellen auf. Ein paar Möwen kreischten. Am Horizont zog langsam ein Dampfer mit wehender Rauchfahne vorüber.

Die Sonne brannte. Sie zerschmolz jeden Widerstand zu schläfrig gedankenloser Hingabe. Ich schloß die Augen und streckte mich lang aus. Der heiße Sand knisterte. Das Geräusch der schwachen Brandung rauschte mir in den Ohren. Es erinnerte mich an etwas, an einen heißen Tag, wo ich ebenso gelegen hatte – Es war im Sommer 1917 gewesen. Unsere Kompanie lag damals in Flandern, und wir hatten unverhofft ein paar Tage Urlaub nach Ostende bekommen, Meyer, Holthoff, Breyer, Lütgens, ich und noch einige andere. Die meisten von uns waren noch nie am Meere gewesen, und diese wenigen Tage, diese fast unbegreifliche Pause zwischen Tod und Tod, wurden zu einer wilden Hingabe an Sonne, Sand und Meer. Wir blieben den ganzen Tag am Strande, wir dehnten unsere nackten Körper in der Sonne – denn Nacktsein, nicht Bepacktsein mit den Waffen und der Uniform, das hieß schon soviel wie Frieden -, wir tobten am Strande herum und stürmten immer wieder in das Meer hinein, wir spürten unsere Glieder, unseren Atem, unsere Bewegungen mit der ganzen Stärke, die die Dinge des Lebens in dieser Zeit hatten, wir vergaßen alles in diesen Stunden und wollten auch alles vergessen. Aber abends, in der Dämmerung, wenn die Sonne fort war und die grauen Schatten vom Horizont her über das erblassende Meer liefen, dann mischte sich langsam in das Brausen der Brandung ein anderer Ton, er wurde stärker und übertönte es schließlich wie eine dumpfe Drohung: der Kanonendonner der Front. Dann kam es vor, daß plötzlich ein fahles Schweigen die Gespräche unterbrach, daß die Köpfe sich lauschend hoben und daß aus den fröhlichen Gesichtern müde gespielter Knaben jäh wieder das harte Antlitz der Soldaten hervorsprang, ergreifend überweht für einen Augenblick noch von einem Erstaunen, einer Schwermut, in der alles war, was nie ausgesprochen wurde: Mut und Bitterkeit und Lebensgier, der Wille zur Pflicht, die Verzweiflung, die Hoffnung und die rätselhafte Trauer der früh Gezeichneten. Ein paar Tage später begann die große Offensive, und schon am dritten Juli hatte die Kompanie nur noch zweiunddreißig Mann, und Meyer, Holthoff und Lütgens waren tot. -»Robby!«rief Pat.

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