»Kommen Sie«, sagte ich,»wir wollen zurückgehen. Es ist hoffnungslos – das was Sie wollen – und auch das, was ich will.«
Sie sah mich einen Augenblick an. Dann warf sie den Kopf in den Nacken und lachte.
Wir gingen noch in ein paar andere Lokale. Breuer war erhitzt, redselig und hoffnungsvoll. Pat war stiller geworden. Sie fragte mich nicht, sie machte mir keine Vorwürfe, sie versuchte nichts aufzuklären, sie war einfach da, manchmal tanzte sie, dann schien es, als glitte sie durch einen Schwarm von Marionetten und Karikaturen wie ein stilles, schönes, schmales Schiff, und manchmal lächelte sie mir zu.
Die Dösigkeit der Nachtlokale wischte mit graugelben Händen über die Wände und die Gesichter. Die Musik schien unter einem gläsernen Katafalk zu spielen. Der Kahlkopf trank Kaffee. Die Frau mit den Eidechsenhänden sah starr vor sich hin. Breuer kaufte von einem übermüdeten Blumenmädchen Rosen und verteilte sie an Pat und die beiden Frauen. Auf den halboffenen Knospen standen kleine, klare Wasserperlen.»Wir wollen einmal miteinander tanzen«, sagte Pat zu mir.
»Nein«, sagte ich und dachte an die Hände, die sie heute schon berührt hatten,»nein«, und fühlte mich ziemlich lächerlich und elend.
»Doch«, sagte sie, und ihre Augen wurden dunkel.
»Nein«, erwiderte ich,»nein, Pat.«
Dann gingen wir endlich.»Ich fahre Sie nach Hause«, sagte Breuer zu mir.
»Gut.«
Er hatte eine Decke im Wagen, die er Pat über die Knie legte. Sie sah auf einmal sehr blaß und müde aus. Die Frau von der Bar schob mir beim Abschied einen Zettel in die Hand. Ich tat, als sei nichts gewesen, und stieg ein. Unterwegs sah ich aus dem Fenster. Pat saß in der Ecke und regte sich nicht. Ich hörte sie nicht einmal atmen. Breuer fuhr zuerst zu ihr. Er wußte ihre Wohnung, ohne zu fragen. Sie stieg aus. Breuer küßte ihr die Hand.»Gute Nacht«, sagte ich und sah sie nicht an.
»Wo kann ich Sie absetzen?«fragte Breuer mich.
»An der nächsten Ecke«, sagte ich.
»Ich fahre Sie gern nach Hause«, erwiderte er etwas zu rasch und zu höflich.
Er wollte verhindern, daß ich zurückging. Ich überlegte, ob ich ihm eine herunterhauen sollte. Aber er war mir zu gleichgültig.»Schön, dann fahren Sie mich zur Bar Freddy«, sagte ich.
»Kommen Sie da denn um die Zeit noch 'rein?«fragte er.
»Nett, daß Sie so besorgt sind«, sagte ich,»aber seien Sie versichert, ich komme überall noch 'rein.«
Als ich es gesagt hatte, tat er mir leid. Er war sich sicher sehr großartig und gerissen vorgekommen den ganzen Abend. Man sollte so was nicht zerstören.
Ich verabschiedete mich freundlicher von ihm als von Pat.
In der Bar war es noch ziemlich voll. Lenz und Ferdinand Grau pokerten mit dem Konfektionär Bollwies und ein paar anderen.»Setz dich 'ran«, sagte Gottfried,»heute ist Pokerwetter.«
»Nein«, erwiderte ich.
»Sieh dir das an«, sagte er und zeigte auf einen Packen Geld.»Ohne Bluff. Die flushs liegen in der Luft.«
»Schön«, sagte ich,»gib her.«
Ich bluffte mit zwei Königen vier Mann zum Fenster 'raus.
»So was!«sagte ich.»Scheint auch Bluffwetter zu sein.«
»Das immer«, erwiderte Ferdinand und schob mir eine Zigarette 'rüber.
Ich hatte nicht lange bleiben wollen. Doch jetzt spürte ich etwas Boden unter den Füßen. Es ging mir nicht besonders; aber hier war die alte, ehrliche Heimat.»Stell mir eine halbe Flasche Rum her«, rief ich Fred zu.
»Tu mal Portwein 'rein«, sagte Lenz.
»Nein«, erwiderte ich.»Hab' keine Zeit für Experimente.
Will mich besaufen.«
»Dann nimm süße Liköre. Krach gehabt?«
»Unsinn.«
»Red nicht, Baby. Quatsch deinem alten Vater Lenz nichts vor, der in den Schluchten des Herzens zu Hause ist. Sag ja und sauf.«
»Mit einer Frau kann man keinen Krach haben. Man kann sich höchstens über sie ärgern.«
»Das sind zu feine Unterschiede für drei Uhr nachts. Ich habe übrigens mit jeder Krach gehabt. Wenn man keinen Krach mehr hat, ist's bald aus.«
»Schön«, sagte ich,»wer gibt?«
»Du«, sagte Ferdinand Grau.»Schätze, du hast Weltschmerz, Robby. Laß dich's nicht anfechten. Das Leben ist bunt, aber unvollkommen. Übrigens, für Weltschmerz bluffst du fabelhaft. Zwei Könige sind schon 'ne Frechheit.«
»Ich hab' mal 'ne Partie gesehen, da standen siebentausend Francs gegen zwei Könige«, sagte Fred vom Bartisch her.
»Schweizer oder französische?«fragte Lenz.
»Schweizer.«
»Dein Glück«, erwiderte Gottfried.»Mit französischen hättest du das Spiel nicht unterbrechen dürfen.«
Wir spielten eine Stunde weiter. Ich gewann ziemlich viel. Bollwies verlor dauernd. Ich trank, aber ich kriegte nur Kopfschmerzen. Die braunen, wehenden Tücher blieben aus. Es wurde alles nur schärfer. Mein Magen brannte.
»So, jetzt hör auf und iß was«, sagte Lenz.»Fred, gib ihm ein Sandwich und ein paar Sardinen. Steck das Geld ein, Robby.«
»Eine Runde noch.«
»Gut. Letzte Runde. Doppelt?«
»Doppelt«, sagten die andern.
Ich kaufte ziemlich sinnlos auf Kreuz zehn und König drei Karten. Es waren Bube, Dame und As. Ich gewann damit gegen Bollwies, der einen Achter-Vierling in der Hand hatte und bis zum Mond hoch reizte. Fluchend zahlte er mir einen Haufen Geld aus.»Siehst du«, sagte Lenz,»Flushwetter.«
Wir setzten uns an die Bar. Bollwies fragte nach Karl. Er konnte nicht vergessen, daß Köster seinen Sportwagen geschlagen hatte. Er wollte Karl immer noch kaufen.»Frag Otto«, sagte Lenz.»Aber ich glaube, er verkauft dir lieber eine Hand.«
»Na, na«, sagte Bollwies.
»Das verstehst du nicht«, erwiderte Lenz,»du kommerzieller Sohn des zwanzigsten Jahrhunderts.«Ferdinand Grau lachte.
Fred auch. Schließlich lachten wir alle. Wenn man über das zwanzigste Jahrhundert nicht lachte, mußte man sich erschießen. Aber man konnte nicht lange darüber lachen. Es war ja eigentlich zum Heulen.
»Kannst du tanzen, Gottfried?«fragte ich.
»Natürlich. Ich war doch mal Tanzlehrer. Hast du das schon vergessen?«
»Vergessen – laß ihn doch vergessen«, sagte Ferdinand Grau.»Vergessen ist das Geheimnis ewiger Jugend. Man altert nur durch das Gedächtnis. Es wird viel zuwenig vergessen.«
»Nein«, sagte Lenz.»Es wird nur immer das Falsche vergessen.«
»Kannst du mir's beibringen?«fragte ich.
»Tanzen? An einem Abend, Baby. Ist das dein ganzer Kummer?«
»Hab' keinen Kummer«, sagte ich.»Kopfschmerzen.«
»Die Krankheit unserer Zeit, Robby«, sagte Ferdinand.
»Am besten wäre es, ohne Kopf geboren zu werden.«
Ich ging noch ins Café International. Alois wollte gerade die Läden 'runtermachen.»Noch wer da?«fragte ich.
»Rosa.«
»Komm, wir nehmen alle drei noch einen.«
»Gemacht.«
Rosa saß neben der Theke und strickte kleine Wollstrümpfe für ihre Tochter. Sie zeigte mir die Muster. Sie hatte auch schon ein Jäckchen fertig.»Wie war's Geschäft?«fragte ich.
»Schlecht. Kein Mensch hat mehr Geld.«
»Soll ich dir was leihen? Hier – hab' beim Pokern gewonnen.«
»Spielgeld bringt Handgeld«, sagte Rosa, spuckte darauf und steckte es ein.
Alois brachte drei Gläser. Nachher, als Fritzi kam, noch eins.
»Feierabend«, sagte er dann.»Bin todmüde.«
Er drehte das Licht aus. Wir gingen. Rosa verabschiedete sich an der Tür. Fritzi hängte sich bei Alois ein. Sie ging frisch und leicht neben ihm her. Er schlurfte mit seinen Plattfüßen über das Pflaster. Ich blieb stehen und sah ihnen nach. Ich sah, wie Fritzi sich zu dem schmutzigen, krummen Kellner niederbeugte und ihn küßte. Er wehrte sie gleichgültig ab. Und plötzlich, ich wußte nicht, wie es kam, während ich mich umdrehte und über die leere Straße und die Häuser mit den dunklen Fenstern und den kalten Nachthimmel hinwegblickte, schlug wie mit Fäusten eine so irrsinnige Sehnsucht nach Pat auf mich ein, daß ich glaubte zu taumeln. Ich verstand nichts mehr – mich nicht und mein Verhalten nicht und den ganzen Abend nicht, nichts mehr.