Ozzard hatte gehört, wie die Boote ausgeschwungen und zu Wasser gelassen wurden; jetzt hingen sie achtern im Schlepp. Sobald das Gefecht begann, würden die Schleppleinen gekappt werden; die Boote trieben dann ab, bis der Sieger — wer immer das sein mochte — sie wieder einfing. Aber es mußte sein, die Boote waren auf ihren Stellings an Deck eine zusätzliche Gefahr, denn sie barsten nach einem Treffer in tausend tödliche Splitter.
Ozzard starrte die verriegelte Tür an und schauderte zusammen. Hier unten, wo er den Wein aufbewahrte und in solchen Augenblicken Zuflucht suchte, war es kühl.
Wie Allday hatte auch er das Privileg, im Privatlager des Vizeadmirals zu gehen oder zu kommen, wie es ihm beliebte. Und obwohl er Bolitho für seine Stellung dankbar war, fürchtete er sich hier in der Bilge, der tiefsten Stelle des Rumpfes. Aber er akzeptierte diese Furcht wie etwas, an das er sich schon seit langem gewöhnt hatte. Er wußte, daß unter ihm nur noch der Kiel war und darunter der abgrundtiefe Ozean.
Ozzard verkrampfte sich, als ein zweiter Kanonenschuß die Planken erzittern ließ. Trotzdem, dieser klang weit entfernt und nicht sehr gefährlich. Später wollte er sich vielleicht an Deck wagen. Aber da krachte es wieder, und Ozzard beschloß, noch zu warten.
Abgeschirmt von der beengten Welt der Zwischendecks, begab sich Bolitho auf die Poop und hielt Ausschau nach dem französischen 74er. Er hatte mehr Segel gesetzt und die Distanz zu Achates verkürzt, aber noch keinen einzigen Schuß abgefeuert. Ihm schien, daß er leicht den Kurs geändert hatte und jetzt fast parallel zu ihnen lief. Im Gegensatz zu ihm war die kleine Fregatte mit dem Wind herangekommen und hatte gehalst, um dann in Lee, achteraus von Achates, ihre Position einzunehmen.
Er sagte:»Eröffnet das Feuer. «Sein Befehl wurde ans Batteriedeck weitergegeben, Ruder wurde gelegt, und das Schiff ging zögernd so hoch an den Wind, wie es nur konnte.
Die hinter ihre Finknetze geduckten Seesoldaten flüsterten miteinander, wetteten vielleicht um die nächsten Treffer.
Old Crocker war wirklich ein Meister seines Fachs. Schon mit dem ersten Schuß hätte er die Fregatte beinahe entmastet. Nun hatte er sich eingeschossen, hatte es» im Urin «wie jeder gute Stückmeister, der erst Maß nahm; und vor allem: Auch der französische Kommandant mußte das inzwischen begriffen haben.
Die Fregatte schoß mit einer Bugkanone auf Achates, aber der Einschlag lag viel zu kurz und verursachte nur trotziges Hohngeschrei bei den Briten.
Der Leutnant der Seesoldaten blaffte:»Sergeant Saxton, sorgen Sie gefälligst dafür, daß diese Rüpel sich ruhig und ordentlich verhalten!«Aber er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und gab sich wahrscheinlich nur Bolithos wegen so scharf.
Adam kletterte mit einem Fernrohr aufs Hüttendeck und spähte, achteraus, während unter ihm eine Heckkanone abermals feuerte.
Diesmal zeigte keine Gischtfontäne den Einschlag an. Statt dessen barst ein Toppsegel der Fregatte und wehte in langen Fetzen wie ein bleiches Banner aus.
Gedämpfter Jubel drang zu Bolitho herauf. Sie hatten den ersten Treffer erzielt. Wenn Crocker jetzt mit einer seiner achtzehn Pfund schweren Kugeln den schlanken Rumpf der Fregatte traf, konnte es für sie kritisch werden.
Adam rief:»Sir! Argonaute setzt das Großsegel!»
Die Silhouette des Linienschiffs schien sich aufzuplustern, als es sich mit immer mehr Segeln in den Wind legte und die unteren Stückpforten fast durch die See wuschen, während es auf Achates zuhielt.
Keen befahl:»Fallen Sie wieder drei Strich ab, Mr. Knocker! Neuer Kurs Nordost zu Nord!»
Während die Deckshände an den Brassen hievten und Knocker wachsam wie ein Habicht über seinem Kompaß hing, gab Crocker abermals einen Schuß ab, und diesmal wurde ein Klüversegel der Fregatte zerfetzt.
Quantocks Stimme gellte:»Mr. Mountsteven! Noch ein Pull an der Luvbrasse dort! Und jetzt belegen, verdammich — Sir!»
Die Männer warfen sich mit aller Kraft in die Brassen und Schoten, und nur die Mannschaften der Steuerbordbatterie, deren Rohre auf den Feind zeigten, blieben an ihren Plätzen.
Bolitho griff haltsuchend in die Wanten, als das Deck sich unter dem Winddruck in den Segeln stärker überlegte.
Nun mußte der französische Kommandant wohl oder übel zu ihnen aufschließen. Es sei denn, er befahl seiner Fregatte abzudrehen, aber dann konnte Achates seine Herausforderung Schuß auf Schuß erwidern. Bolitho lächelte. Jedenfalls beinahe…
Ein Seesoldat, der mit angelegter Muskete hinter den Finknetzen kauerte, sah ihn lächeln und meinte vorlaut:»Wir werden die Franzmänner schon Mores lehren, Sir!«Aber dann wurde ihm bewußt, daß er unaufgefordert mit dem Vizeadmiral gesprochen hatte, und er verstummte verlegen.
Bolitho warf dem Mann einen Blick zu; er wußte nicht einmal seinen Namen.
Binnen kurzem würden sie um ihr Leben kämpfen müssen. Auf der ungeschützten Hütte und dem Achterdeck gab es immer die schwersten Verluste, und auch diesen Soldaten mochte es treffen.
So sagte er in ihre erwartungsvollen Gesichter hinein:»Ich zähle auf euch, Jungs. Gebt euer Bestes. «Aber die eigenen Worte beschämten ihn.
Wieder ein ohrenbetäubendes Krachen, als Crockers nächster Schuß zündete. Die Fregatte hatte zwar leicht den Kurs geändert, aber das war dem einäugigen Stückmeister nicht entgangen. Nur kurz bot ihr Rumpf ein besseres Ziel, aber schon riß Crocker an seiner Abzugsleine, und die Kugel schlug ins Backbord-Seitendeck des Feindes ein, so daß Planken und Splitter hoch aufwirbelten.
Neuer Jubel auf Achates; Bolitho hielt den Atem an, als die Fregatte Kurs änderte und mit knatternden Segelfetzen die Distanz zu ihrem Gegner vergrößerte.
Dann eilte er die Leiter hinunter und schritt zur Querreling oberhalb des Batteriedecks.
Jetzt war es bald soweit. Schnell warf er einen Blick querab und sah den Bug des Linienschiffs in sein Blickfeld gleiten; seine Segel wölbten sich im Wind, schlugen und füllten sich wieder, als es noch weiter auf Achates zudrehte.
«Klar zum Feuern!»
Sofort verstummte das Jubelgeschrei, die Stückmannschaften duckten sich hinter ihre Achtzehnpfünder und spähten durch die Pforten nach dem Feind aus.
«Ziel auffassen!»
Der Franzose hatte zwar den Windvorteil, aber der Druck in Achates' Segeln war so stark, daß die Kanonenrohre dank des schrägliegenden Decks mit höchster Elevation schießen konnten.
«Feuer!»
Schuß auf Schuß donnerte die sorgfältig gezielte Salve aus beiden Decks, auf ganzer Länge des Rumpfes. Die vordersten Kanonen waren bis zum äußersten nach achtern gerichtet, ihre Mannschaften warfen sich mit ganzem Gewicht in die Handspaken, bis auch sie ihre Rohre auf den Feind richten konnten.
Völlig absorbiert beobachtete Bolitho, wie die Toppsegel von Argo-naute einen wilden Tanz aufführten, plötzlich nicht mehr Meister, sondern Opfer des Windes, der gierig in die von den Doppelkugeln gerissenen Löcher griff und sie ganz aufriß.
Auch an der Wasserlinie des Feindes kochte die See, und Gischtfontänen stiegen auf, als immer mehr Kugeln mit verheerender Wirkung in den Rumpf schlugen.
Noch ließ sich nicht sagen, ob sie einen entscheidenden Treffer erzielt hatten. Aber die Distanz verringerte sich weiter, der französische Kommandant mußte sich — genau wie Keen — der Gefahr eines Glückstreffers bewußt sein. Sicherlich fühlte er sich jetzt, da die eine Fregatte außer Gefecht gesetzt und die andere in die Flucht geschlagen war, vor den Augen seines Admirals besonders gedemütigt.
Bolitho sah aus der Bordwand des Feindes die Reihe feuriger Zungen schießen und wappnete sich gegen das markerschütternde Heulen der Kugeln, das Krachen, mit dem sie in die Planken einschlagen mußten. Aber statt dessen hörte er das irrwitzige Kreischen von Kettenkugeln und sah sogleich im Rigg gebrochene Stage und Toppnante auswehen; das Vorbramsegel zerriß wie ein mürber Lumpen unter dem unsichtbaren Hagel.