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Mit einem Finger lockerte er sein Halstuch und beobachtete, wie ein Beiboot über das Schanzkleid geschwenkt und zu Wasser gelassen wurde. Wenn der Tag so warm blieb, mußten sie alle aussetzen und wässern, damit das Holz quoll und die Boote nicht undicht wurden.

Allmählich wurde sich Keen über seine Empfindungen klar. Er war froh, daß er auslaufen, mit Bolitho auslaufen konnte. Schon bei zwei Gelegenheiten hatte er auf anderen Schiffen unter ihm gedient, erst als Fähnrich, später als Dritter Offizier. Beide hatten sie geliebte Menschen verloren, aber während Bolitho nun geheiratet hatte, war Keen immer noch allein.

Er begann, über die Befehle nachzudenken, die ihm Bolitho vorab übersandt hatte.

Eine seltsame Mission. Einmalig und ungewöhnlich.

Sein Blick streifte die schwarze Reihe der Achtzehnpfünder an Steuerbord, deren Rohre wie vor einer Schlacht ausgefahren waren, damit die Segelmacher möglichst viel freie Decksfläche für ihre Arbeit bekamen.

Ob Krieg oder Frieden, ein Schiff mußte immer funktionstüchtig sein. Keen hatte auch zwischen den Kriegen unter Bolitho gedient und erfahren müssen, daß nur Toren einem unterzeichneten Friedensvertrag blind vertrauten.

Da hörte er Schritte im Niedergang und sah Leutnant Adam Pascoe an Deck kommen.

Immer wieder von neuem überrascht, stellte Keen fest, daß Pascoe Bolitho ähnelte wie ein jüngerer Bruder. Das gleiche schwarze Haar, auch wenn Pascoe es nach der neuen Marinemode kurzgeschnitten trug, nicht in einem Nackenzopf. Die gleiche Rastlosigkeit: eben noch ernst und in sich gekehrt, und gleich darauf voll jugendlichem Feuer. Kein Wunder mit 21 Jahren, dachte Keen. Trotzdem — ohne einen Krieg, der seinen Zoll an Menschenleben und Schiffen forderte, konnte Pascoe nur mit viel Glück auf Beförderung oder ein eigenes Kommando hoffen.

Er begrüßte den Flaggleutnant.»Nun, Mr. Pascoe, fanden Sie in der Admiralskajüte alles zu Ihrer Zufriedenheit?»

Pascoe lächelte.»Aye, Sir. Wir haben vier der achteren Achtzehn-pfünder abgebaut und durch Rohrattrappen ersetzt, damit er reichlich Platz findet.»

Keen warf einen Blick zum Hüttendeck hinauf.»Wie ich ihn kenne, wäre er auch mit zehn Schritten Auslauf zufrieden. Hauptsache, er kann irgendwo auf und ab marschieren, um sich beim Nachdenken Bewegung zu verschaffen.»

Scheinbar zusammenhanglos sagte Pascoe:»Ich sehe nicht ein, welchen Sinn unsere Mission hat, Sir. Wir haben gekämpft, bis der Feind eine Atempause brauchte, um sich zu erholen, und trotzdem hält es unsere Regierung für richtig, jetzt fast alle Besitzungen zurückzugeben, die wir den Franzosen abgerungen haben. Mit Ausnahme von Ceylon und Trinidad haben wir auf alles verzichtet und können uns nicht einmal dazu durchringen, Malta endgültig zu behalten. Jetzt geht auch San Felipe zum Teufel, und der Admiral muß diese schmutzige Arbeit sogar eigenhändig besorgen.»

Keen musterte den jungen Mann ernst.»Ein guter Rat, Mr. Pascoe. «Er sah Pascoe trotzig den Kopf heben, gewahrte das vertraute Aufbegehren in seinen Augen. Doch unbeirrt fuhr er fort:»In der Messe können Offiziere ihre privaten Ansichten frei diskutieren, vorausgesetzt, nichts davon kommt der Mannschaft zu Ohren. Aber das gilt nicht für den Kommandanten und den Flaggleutnant; wir müssen Zurückhaltung üben. Ich vermute, Ihr Wunsch. Ihrem Onkel zu dienen, war so stark, daß Sie diesen Posten eher um seinet- als um Ihretwillen übernommen haben?»

Keen sah an Pascoes Gesicht, daß er ins Schwarze getroffen hatte. Er setzte hinzu:»Der Auftrag eines Marineoffiziers unterscheidet sich gründlich von dem eines Adjutanten. Sie müssen diskret sein, sogar vorsichtig, denn es wird immer Zuhörer geben, die sich Ihr Vertrauen erschleichen wollen. «Er zögerte, sprach dann aber weiter, weil er es für wichtig hielt.»Manche könnten Ihrem Onkel übelwollen. Fällen Sie deshalb kein Urteil in Dingen, die Sie nicht ändern können. Andernfalls wäre es besser für Sie beide, wenn Sie sich umgehend an Land bringen ließen und den Hafenadmiral von Spithead um Ihre Versetzung bäten.»

Wieder lächelte Pascoe:»Ich danke Ihnen, Sir. Das habe ich verdient. Aber ich würde meinen Onkel niemals im Stich lassen, weder jetzt noch in Zukunft. Er bedeutet mir viel.»

Keen nahm den ungewöhnlichen Gefühlsausbruch des jungen Leutnants gelassen auf. Pascoes Geschichte war ihm größtenteils bekannt: unehelich geboren, war er der Sohn von Bolithos totem Bruder Hugh, einem Abtrünnigen und Verräter, der sich auf die Seite der amerikanischen Rebellen geschlagen und einen feindlichen Freibeuter befehligt hatte — mindestens ebenso kühn wie John Paul Jones. Für Bolitho mußte das eine große Belastung sein, und auch für diesen jungen Offizier, den seine sterbende Mutter ausgeschickt hatte, seinen einzigen Onkel zu suchen, als letzte Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Leise sagte Keen:»Ich verstehe schon. Vielleicht besser, als Sie glauben.»

Der Midshipman[2] der Wache hastete quer übers Deck auf sie zu und grüßte nervös. Keen erinnerte sich, daß auch er neu angemustert hatte.»Sir, da legt ein Boot von der Werft ab«, stammelte der Junge.

Keen spähte durch das Gitter der Webeleinen.

Ein werfteigenes Boot pullte bereits auf den verankerten Zweidecker zu. Keen sah Sonnenlicht von Goldepauletten und Zweispitz reflektieren und wurde von Panik gepackt. Typisch Bolitho, daß er es nicht abwarten konnte, bis ihn sein eigenes Boot abholen kam. Also hatte er es eilig, den Auftrag anzupacken, ob der ihm nun behagte oder nicht.

Mit unbewegtem Gesicht sagte er zu dem Jungen:»Empfehlung an den Offizier der Wache, Mr. - äh.«»Puxley, Sir.»

«Also, Mr. Puxley, pfeifen Sie die Ehrenwache an die Pforte. «Er packte den Jungen, der zur Achterdecksleiter rennen wollte, und fügte hinzu:»Gehen, Mr. Puxley, nicht rennen!»

Pascoe wandte sich ab, um ein Grinsen zu verbergen. Genau das hatte Bolitho wahrscheinlich zu Keen gesagt, als dieser noch ein kleiner Kadett gewesen war. Er selbst hatte es oft genug zu hören bekommen.

Als die Bootsmannsgehilfen durch die Decks eilten und ihre Pfeifen zwitschern ließen, stapften die Marinesoldaten zur Eingangspforte; ihre roten Uniformröcke mit den gekreuzten weißen Brustriemen leuchteten bunt aus dem Gewühl der Matrosen.

Keen winkte den wachhabenden Offizier heran und sagte unwirsch:»Vielleicht, Mr. Mountsteven, machen Sie sich künftig die Mühe, rechtzeitig nach Ihren Vorgesetzten Ausschau zu halten.»

Pascoe drückte den Hut fester auf sein rebellisches Haar. Auch das hätte Bolitho genauso gesagt.

Keen schritt zur Pforte und blickte dem Boot entgegen. Im Heck konnte er Bolitho sitzen sehen, den alten Säbel zwischen den Knien. Wenn er ohne die ehrwürdige Familienwaffe an Bord gekommen wäre, hätte Keen das als Sakrileg empfunden.

Und da war auch Allday; vierschrötig und wachsam, musterte er die Bootscrew mit angewidertem Blick. Wie hatte der Ehrenwerte Oliver Browne; Pascoes Vorgänger, ihr altes Geschwader bezeichnet? Als >happy few<, eine kleine Schar Auserwählter. Klein war die Schar gewiß geworden. Keen sah zu der großen roten Nationalflagge am Heck zurück, die nur hin und wieder auswehte. Aber die wenigen waren genug.

Auch der Erste Offizier der Achates, ein hochgewachsener, breitgesichtiger Mann von der Insel Man, beobachtete das Boot.»Alles klar zum Empfang, Sir«, sagte er.

«Danke, Mr. Quantock.»

Keen hatte sich in seinen ersten Wochen an Bord, während das Schiff überholt wurde, mit Vorsicht durch die Listen, Stammrollen und Logbücher gearbeitet. Zwar unterstand nicht zum erstenmal ein Schiff seinem Befehl, aber für diese Mannschaft war er ein unbeschriebenes Blatt. Ehe er sich nicht ihre Achtung errungen hatte, setzte er nichts als selbstverständlich voraus.

Der Erste Offizier sah kurz.nach vorn zum Signalfähnrich am Fuß des Fockmasts und sagte leise, wie zu sich selbst:»Ich wette, das alte Käthchen hat nie damit gerechnet, noch einmal Flaggschiff zu werden.»

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Seekadett oder Fähnrich zur See

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